Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906.Wenn eine Frau ihre eigene "ästhetische Unzulänglichkeit" betrauert, wie muss sie den eigentlich verachten, der davor weinend in die Kniee sänke - - -. "Ich weiss, was du von mir brauchst, Schurke, aber sage es doch wenigstens gerade heraus - - -" fühlt sie. Man kann nur Vollkommenheiten anbeten. Denn nur diese sind in der Lage, es uns zu glauben, dass sie vollkommen sind! "Jawohl, mein Herr, mein Busen ist so, wie sie ihn besingen - - -." [Abbildung]In bezug auf ihre mysteriöse Anziehungskraft erscheinen einer schönen Frau alle Männer eigentlich als Irrsinnige. Aber sie äussert es nicht, sondern nützt die günstige Konstellation einfach aus. Wie wenn in einem Irrenhause einer zur alten Wärterin sagte: "Sie sind die Kaiserin von China!" "Jawohl, mein Herr, das bin ich" erwidert ruhig die versierte Wärterin. [Abbildung]Der Mann hat nicht die geringste Ahnung davon, wodurch er ununterbrochen und in jedem Augenblicke eine Frau bitterlich enttäuschen könnte. "Weshalb lässt Karl morgens jedesmal die Seife in das Seifenschüsselchen herabfallen?! Kann er sie denn nicht leise hinlegen?! Oh wie ich auf dieses Geräusch Wenn eine Frau ihre eigene „ästhetische Unzulänglichkeit“ betrauert, wie muss sie den eigentlich verachten, der davor weinend in die Kniee sänke – – –. „Ich weiss, was du von mir brauchst, Schurke, aber sage es doch wenigstens gerade heraus – – –“ fühlt sie. Man kann nur Vollkommenheiten anbeten. Denn nur diese sind in der Lage, es uns zu glauben, dass sie vollkommen sind! „Jawohl, mein Herr, mein Busen ist so, wie sie ihn besingen – – –.“ [Abbildung]In bezug auf ihre mysteriöse Anziehungskraft erscheinen einer schönen Frau alle Männer eigentlich als Irrsinnige. Aber sie äussert es nicht, sondern nützt die günstige Konstellation einfach aus. Wie wenn in einem Irrenhause einer zur alten Wärterin sagte: „Sie sind die Kaiserin von China!“ „Jawohl, mein Herr, das bin ich“ erwidert ruhig die versierte Wärterin. [Abbildung]Der Mann hat nicht die geringste Ahnung davon, wodurch er ununterbrochen und in jedem Augenblicke eine Frau bitterlich enttäuschen könnte. „Weshalb lässt Karl morgens jedesmal die Seife in das Seifenschüsselchen herabfallen?! Kann er sie denn nicht leise hinlegen?! Oh wie ich auf dieses Geräusch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0183" n="183"/> <p>Wenn eine Frau ihre eigene „ästhetische Unzulänglichkeit“ betrauert, wie muss sie den eigentlich verachten, der davor weinend in die Kniee sänke – – –.</p> <p>„Ich weiss, was du von mir brauchst, Schurke, aber sage es doch wenigstens gerade heraus – – –“ fühlt sie.</p> <p>Man kann nur Vollkommenheiten anbeten. Denn nur diese sind in der Lage, es uns zu glauben, dass sie vollkommen sind!</p> <p>„Jawohl, mein Herr, mein Busen <hi rendition="#g">ist</hi> so, wie sie ihn <hi rendition="#g">besingen</hi> – – –.“</p> <figure/><lb/> <p>In bezug auf ihre mysteriöse Anziehungskraft erscheinen einer schönen Frau alle Männer eigentlich als Irrsinnige. Aber sie äussert es nicht, sondern nützt die günstige Konstellation einfach aus. Wie wenn in einem Irrenhause einer zur alten Wärterin sagte: „Sie sind die Kaiserin von China!“</p> <p>„Jawohl, mein Herr, das bin ich“ erwidert ruhig die versierte Wärterin.</p> <figure/><lb/> <p>Der Mann hat nicht die geringste Ahnung davon, wodurch er ununterbrochen und in jedem Augenblicke eine Frau bitterlich enttäuschen könnte.</p> <p>„Weshalb lässt Karl morgens jedesmal die Seife in das Seifenschüsselchen herabfallen?! Kann er sie denn nicht leise hinlegen?! Oh wie ich auf dieses Geräusch </p> </div> </body> </text> </TEI> [183/0183]
Wenn eine Frau ihre eigene „ästhetische Unzulänglichkeit“ betrauert, wie muss sie den eigentlich verachten, der davor weinend in die Kniee sänke – – –.
„Ich weiss, was du von mir brauchst, Schurke, aber sage es doch wenigstens gerade heraus – – –“ fühlt sie.
Man kann nur Vollkommenheiten anbeten. Denn nur diese sind in der Lage, es uns zu glauben, dass sie vollkommen sind!
„Jawohl, mein Herr, mein Busen ist so, wie sie ihn besingen – – –.“
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In bezug auf ihre mysteriöse Anziehungskraft erscheinen einer schönen Frau alle Männer eigentlich als Irrsinnige. Aber sie äussert es nicht, sondern nützt die günstige Konstellation einfach aus. Wie wenn in einem Irrenhause einer zur alten Wärterin sagte: „Sie sind die Kaiserin von China!“
„Jawohl, mein Herr, das bin ich“ erwidert ruhig die versierte Wärterin.
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Der Mann hat nicht die geringste Ahnung davon, wodurch er ununterbrochen und in jedem Augenblicke eine Frau bitterlich enttäuschen könnte.
„Weshalb lässt Karl morgens jedesmal die Seife in das Seifenschüsselchen herabfallen?! Kann er sie denn nicht leise hinlegen?! Oh wie ich auf dieses Geräusch
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Zitationshilfe: | Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906/183>, abgerufen am 08.07.2024. |