Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906.

Bild:
<< vorherige Seite

Lob der Mangelhaftigkeit.

Er hatte die Dame innerlich ganz überwunden, war mit ihr, mit sich fertig geworden. Sein siedendes Rückenmark war durch die Nordpolarkälte seines Gehirnes besiegt worden. Aus einem Träumer war ein Erwacher, aus einem dunklen Romantiker ein heller Klarseher, ein Clairvoyanter geworden!

Und dennoch verdankte er diesen Sieg dem Zufall! Dem Zufall ihrer Unzulänglichkeiten!

Hätte sie die Hände der N. B. gehabt, das Adelsantlitz der Prinzessin R. in M., den Ambrateint der Frau Professor T., die Stirne der E. T., die tönende und dennoch sanft-mysteriöse Stimme der Ch. de V., die französische Grazie der R. L., die Lawn-tennis-Kunst der Schwestern P., die Naturliebe, die Rax- und Schneebergliebe der Gr. E., den englischen, über den Dingen sanftmütig schwebenden Humor der M. M., die süsse Bohemenatur der L. L., die sehnige Elastizität der Th. K., den Adel und die sanfte Würde der Fr. M. - - - er hätte niemals die Krankheit seiner sehnsuchts-irrsinnigen Nerven heilen können durch diesen ernsten kalten Arzt "Erkenntnis"! Er wäre unterlegen seinem Herzen! Was ihn rettete, was ihn ewig retten wird, ist der glückliche Zufall der Unzulänglichkeiten der Angebeteten! Wehe, wenn er eine Zulängliche anträfe auf seinen Wegen! Da triebe er mit einem abgerissenen Säumchen ihres Kleides einen Kultus bis an sein Lebensende, der mehr dem Irrsinn gliche als der

Lob der Mangelhaftigkeit.

Er hatte die Dame innerlich ganz überwunden, war mit ihr, mit sich fertig geworden. Sein siedendes Rückenmark war durch die Nordpolarkälte seines Gehirnes besiegt worden. Aus einem Träumer war ein Erwacher, aus einem dunklen Romantiker ein heller Klarseher, ein Clairvoyanter geworden!

Und dennoch verdankte er diesen Sieg dem Zufall! Dem Zufall ihrer Unzulänglichkeiten!

Hätte sie die Hände der N. B. gehabt, das Adelsantlitz der Prinzessin R. in M., den Ambrateint der Frau Professor T., die Stirne der E. T., die tönende und dennoch sanft-mysteriöse Stimme der Ch. de V., die französische Grazie der R. L., die Lawn-tennis-Kunst der Schwestern P., die Naturliebe, die Rax- und Schneebergliebe der Gr. E., den englischen, über den Dingen sanftmütig schwebenden Humor der M. M., die süsse Bohêmenatur der L. L., die sehnige Elastizität der Th. K., den Adel und die sanfte Würde der Fr. M. – – – er hätte niemals die Krankheit seiner sehnsuchts-irrsinnigen Nerven heilen können durch diesen ernsten kalten Arzt „Erkenntnis“! Er wäre unterlegen seinem Herzen! Was ihn rettete, was ihn ewig retten wird, ist der glückliche Zufall der Unzulänglichkeiten der Angebeteten! Wehe, wenn er eine Zulängliche anträfe auf seinen Wegen! Da triebe er mit einem abgerissenen Säumchen ihres Kleides einen Kultus bis an sein Lebensende, der mehr dem Irrsinn gliche als der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0150" n="150"/>
        <p> <hi rendition="#g">Lob der Mangelhaftigkeit.</hi> </p>
        <p>Er hatte die Dame innerlich ganz überwunden, war mit <hi rendition="#g">ihr</hi>, mit <hi rendition="#g">sich</hi> fertig geworden. Sein <hi rendition="#g">siedendes</hi> Rückenmark war durch die <hi rendition="#g">Nordpolarkälte</hi> seines Gehirnes besiegt worden. Aus einem <hi rendition="#g">Träumer</hi> war ein <hi rendition="#g">Erwacher</hi>, aus einem dunklen Romantiker ein heller Klarseher, ein Clairvoyanter geworden!</p>
        <p>Und dennoch verdankte er diesen Sieg dem Zufall! Dem Zufall ihrer <hi rendition="#g">Unzulänglichkeiten</hi>!</p>
        <p>Hätte sie die Hände der N. B. gehabt, das Adelsantlitz der Prinzessin R. in M., den Ambrateint der Frau Professor T., die Stirne der E. T., die tönende und dennoch sanft-mysteriöse Stimme der Ch. de V., die französische Grazie der R. L., die Lawn-tennis-Kunst der Schwestern P., die Naturliebe, die Rax- und Schneebergliebe der Gr. E., den englischen, über den Dingen sanftmütig schwebenden Humor der M. M., die süsse Bohêmenatur der L. L., die sehnige Elastizität der Th. K., den Adel und die sanfte Würde der Fr. M. &#x2013; &#x2013; &#x2013; er hätte niemals die Krankheit seiner sehnsuchts-irrsinnigen Nerven heilen können durch diesen ernsten kalten Arzt &#x201E;Erkenntnis&#x201C;! Er wäre unterlegen seinem Herzen! Was ihn rettete, was ihn ewig retten wird, ist der glückliche Zufall der <hi rendition="#g">Unzulänglichkeiten</hi> der Angebeteten! Wehe, wenn er eine <hi rendition="#g">Zulängliche</hi> anträfe auf seinen Wegen! Da triebe er mit einem abgerissenen Säumchen ihres Kleides einen Kultus bis an sein Lebensende, der mehr dem Irrsinn gliche als der
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0150] Lob der Mangelhaftigkeit. Er hatte die Dame innerlich ganz überwunden, war mit ihr, mit sich fertig geworden. Sein siedendes Rückenmark war durch die Nordpolarkälte seines Gehirnes besiegt worden. Aus einem Träumer war ein Erwacher, aus einem dunklen Romantiker ein heller Klarseher, ein Clairvoyanter geworden! Und dennoch verdankte er diesen Sieg dem Zufall! Dem Zufall ihrer Unzulänglichkeiten! Hätte sie die Hände der N. B. gehabt, das Adelsantlitz der Prinzessin R. in M., den Ambrateint der Frau Professor T., die Stirne der E. T., die tönende und dennoch sanft-mysteriöse Stimme der Ch. de V., die französische Grazie der R. L., die Lawn-tennis-Kunst der Schwestern P., die Naturliebe, die Rax- und Schneebergliebe der Gr. E., den englischen, über den Dingen sanftmütig schwebenden Humor der M. M., die süsse Bohêmenatur der L. L., die sehnige Elastizität der Th. K., den Adel und die sanfte Würde der Fr. M. – – – er hätte niemals die Krankheit seiner sehnsuchts-irrsinnigen Nerven heilen können durch diesen ernsten kalten Arzt „Erkenntnis“! Er wäre unterlegen seinem Herzen! Was ihn rettete, was ihn ewig retten wird, ist der glückliche Zufall der Unzulänglichkeiten der Angebeteten! Wehe, wenn er eine Zulängliche anträfe auf seinen Wegen! Da triebe er mit einem abgerissenen Säumchen ihres Kleides einen Kultus bis an sein Lebensende, der mehr dem Irrsinn gliche als der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-04-18T07:14:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-04-18T07:14:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-04-18T07:14:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906/150
Zitationshilfe: Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906/150>, abgerufen am 24.11.2024.