Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906.werden! Rundum schauen und planen. Wie der Kondor über den höchsten Bergesgipfeln. Meine Frau, mein Kind, mein Geschäft - - - das heisst: meine Vorurteile, meine Leere, meine Un-Menschlichkeit! Er ging in die Vorstadt hinaus, zu der Frau, die ihr Kindchen misshandelt hatte. Er trat ein, gab der Bestie zwei fürchterliche Ohrfeigen, liess sich verurteilen, fertig. Er hätte ruhig sagen können: "Nevermind, was geht es mich an, mein Knäbchen macht wirklich im Französischen bereits ganz prächtige Fortschritte - - -." [Abbildung]Wir sassen an der ersten Tisch-Reihe, hart an der Rampe der Variete-Bühne. Nummer 12, die amerikanische Tanz-Sängerin. Ich setzte mir gleichsam zehntausend Augen ein, um sie damit ganz in mich einzusaugen. Aber mein Freund drehte den Sessel gegen die Bühne zu, sass mit dem Rücken dagegen, um sich "die Tantalus-Qualen zu ersparen" - - -. "Ich kann sie ja doch nicht haben" fühlte er. Ich aber hatte sie, mit meinen begeisterten Augen! [Abbildung]Kannst du dich erfreuen an dem edlen Gewebe eines Leinen-Taschentuches?!? Dann beginnst du! Kannst du es gegen das Licht halten und es gleich mysteriösem Spinneweben-Netze achten?!? Einer, der ein vollkommenes Spinnweben-Netz werden! Rundum schauen und planen. Wie der Kondor über den höchsten Bergesgipfeln. Meine Frau, mein Kind, mein Geschäft – – – das heisst: meine Vorurteile, meine Leere, meine Un-Menschlichkeit! Er ging in die Vorstadt hinaus, zu der Frau, die ihr Kindchen misshandelt hatte. Er trat ein, gab der Bestie zwei fürchterliche Ohrfeigen, liess sich verurteilen, fertig. Er hätte ruhig sagen können: „Nevermind, was geht es mich an, mein Knäbchen macht wirklich im Französischen bereits ganz prächtige Fortschritte – – –.“ [Abbildung]Wir sassen an der ersten Tisch-Reihe, hart an der Rampe der Variété-Bühne. Nummer 12, die amerikanische Tanz-Sängerin. Ich setzte mir gleichsam zehntausend Augen ein, um sie damit ganz in mich einzusaugen. Aber mein Freund drehte den Sessel gegen die Bühne zu, sass mit dem Rücken dagegen, um sich „die Tantalus-Qualen zu ersparen“ – – –. „Ich kann sie ja doch nicht haben“ fühlte er. Ich aber hatte sie, mit meinen begeisterten Augen! [Abbildung]Kannst du dich erfreuen an dem edlen Gewebe eines Leinen-Taschentuches?!? Dann beginnst du! Kannst du es gegen das Licht halten und es gleich mysteriösem Spinneweben-Netze achten?!? Einer, der ein vollkommenes Spinnweben-Netz <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0100" n="100"/> werden! Rundum schauen und planen. Wie der Kondor über den höchsten Bergesgipfeln. <hi rendition="#g">Meine</hi> Frau, <hi rendition="#g">mein</hi> Kind, <hi rendition="#g">mein</hi> Geschäft – – – das heisst: <hi rendition="#g">meine Vorurteile</hi>, meine <hi rendition="#g">Leere</hi>, meine <hi rendition="#g">Un</hi>-Menschlichkeit!</p> <p>Er ging in die Vorstadt hinaus, zu der Frau, die ihr Kindchen misshandelt hatte. Er trat ein, gab der Bestie zwei fürchterliche Ohrfeigen, liess sich verurteilen, fertig. Er hätte ruhig sagen können: „Nevermind, was geht es mich an, mein Knäbchen macht wirklich im Französischen bereits ganz prächtige Fortschritte – – –.“</p> <figure/><lb/> <p>Wir sassen an der ersten Tisch-Reihe, hart an der Rampe der Variété-Bühne. Nummer 12, die amerikanische Tanz-Sängerin. Ich setzte mir gleichsam zehntausend Augen ein, um sie damit ganz in mich einzusaugen. Aber mein Freund drehte den Sessel gegen die Bühne zu, sass mit dem Rücken dagegen, um sich „die Tantalus-Qualen zu ersparen“ – – –.</p> <p>„Ich kann sie ja doch nicht haben“ fühlte er.</p> <p>Ich aber hatte sie, mit meinen begeisterten Augen!</p> <figure/><lb/> <p>Kannst du dich erfreuen an dem edlen Gewebe eines Leinen-Taschentuches?!? Dann beginnst du!</p> <p>Kannst du es gegen das Licht halten und es gleich mysteriösem Spinneweben-Netze achten?!?</p> <p>Einer, der ein vollkommenes Spinnweben-Netz </p> </div> </body> </text> </TEI> [100/0100]
werden! Rundum schauen und planen. Wie der Kondor über den höchsten Bergesgipfeln. Meine Frau, mein Kind, mein Geschäft – – – das heisst: meine Vorurteile, meine Leere, meine Un-Menschlichkeit!
Er ging in die Vorstadt hinaus, zu der Frau, die ihr Kindchen misshandelt hatte. Er trat ein, gab der Bestie zwei fürchterliche Ohrfeigen, liess sich verurteilen, fertig. Er hätte ruhig sagen können: „Nevermind, was geht es mich an, mein Knäbchen macht wirklich im Französischen bereits ganz prächtige Fortschritte – – –.“
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Wir sassen an der ersten Tisch-Reihe, hart an der Rampe der Variété-Bühne. Nummer 12, die amerikanische Tanz-Sängerin. Ich setzte mir gleichsam zehntausend Augen ein, um sie damit ganz in mich einzusaugen. Aber mein Freund drehte den Sessel gegen die Bühne zu, sass mit dem Rücken dagegen, um sich „die Tantalus-Qualen zu ersparen“ – – –.
„Ich kann sie ja doch nicht haben“ fühlte er.
Ich aber hatte sie, mit meinen begeisterten Augen!
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Kannst du dich erfreuen an dem edlen Gewebe eines Leinen-Taschentuches?!? Dann beginnst du!
Kannst du es gegen das Licht halten und es gleich mysteriösem Spinneweben-Netze achten?!?
Einer, der ein vollkommenes Spinnweben-Netz
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Zitationshilfe: | Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906/100>, abgerufen am 16.02.2025. |