Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.absteigen und die Pferde losschirren. Es war feuchte Nacht um ihn. Sie wechselten Worte, die er verstand, sie verließen ihn, anderwärts Rettung zu suchen, vielleicht nur für sich, für die Thiere. Ihn ließ man allein, verschlossen, hülflos, in der Nacht, der Wüste, dem sibirischen Schneemeer zurück. Er schrie, er klopfte an die Bretter, er beschwor sie bei Gott und allen Heiligen, ihn nicht zu verlassen, ihn mitzunehmen. Umsonst. Sie hörten ihn nicht, oder wollten ihn nicht hören. Die Pferde mit ihren Reitern arbeiteten sich durch den Schnee, jetzt hörte er nichts mehr, und war allein, eingekerkert, dem Verderben geopfert. Er war nicht mehr allein, denn durch die Schneemassen arbeiteten sich die Ungethüme der Wüste. Von weit her gaben sie sich Signale, daß sie ihre Beute wieder gefunden, eine Beute, von den Wächtern selbst ihnen preisgegeben. Nie hatte ihm das Heulen der Wölfe so entsetzlich geklungen, so lang ausholend, so teuflisch lächelnd, das Symbol des Hungers und der Höllenfreude zugleich. Nun stürzten sie heran in wilden Sprüngen. Das Heulen wurde lauter, heller, freudiger, es war die Witterung des Menschenfleisches. Preisgegeben war er den Bestien, zerrissen von ihnen, verschlungen, bestimmt, spurlos zu verschwinden, ohne Abschied von der Welt, ohne Lebewohl von irgend einem Wesen, wahrscheinlich ohne daß eine menschliche Seele von seinem Untergange Kunde erhielt. Er war auf seine Kniee gesunken, er preßte die Hände, er versuchte zu beten. Da absteigen und die Pferde losschirren. Es war feuchte Nacht um ihn. Sie wechselten Worte, die er verstand, sie verließen ihn, anderwärts Rettung zu suchen, vielleicht nur für sich, für die Thiere. Ihn ließ man allein, verschlossen, hülflos, in der Nacht, der Wüste, dem sibirischen Schneemeer zurück. Er schrie, er klopfte an die Bretter, er beschwor sie bei Gott und allen Heiligen, ihn nicht zu verlassen, ihn mitzunehmen. Umsonst. Sie hörten ihn nicht, oder wollten ihn nicht hören. Die Pferde mit ihren Reitern arbeiteten sich durch den Schnee, jetzt hörte er nichts mehr, und war allein, eingekerkert, dem Verderben geopfert. Er war nicht mehr allein, denn durch die Schneemassen arbeiteten sich die Ungethüme der Wüste. Von weit her gaben sie sich Signale, daß sie ihre Beute wieder gefunden, eine Beute, von den Wächtern selbst ihnen preisgegeben. Nie hatte ihm das Heulen der Wölfe so entsetzlich geklungen, so lang ausholend, so teuflisch lächelnd, das Symbol des Hungers und der Höllenfreude zugleich. Nun stürzten sie heran in wilden Sprüngen. Das Heulen wurde lauter, heller, freudiger, es war die Witterung des Menschenfleisches. Preisgegeben war er den Bestien, zerrissen von ihnen, verschlungen, bestimmt, spurlos zu verschwinden, ohne Abschied von der Welt, ohne Lebewohl von irgend einem Wesen, wahrscheinlich ohne daß eine menschliche Seele von seinem Untergange Kunde erhielt. Er war auf seine Kniee gesunken, er preßte die Hände, er versuchte zu beten. Da <TEI> <text> <body> <div n="7"> <p><pb facs="#f0096"/> absteigen und die Pferde losschirren. Es war feuchte Nacht um ihn. Sie wechselten Worte, die er verstand, sie verließen ihn, anderwärts Rettung zu suchen, vielleicht nur für sich, für die Thiere. Ihn ließ man allein, verschlossen, hülflos, in der Nacht, der Wüste, dem sibirischen Schneemeer zurück. Er schrie, er klopfte an die Bretter, er beschwor sie bei Gott und allen Heiligen, ihn nicht zu verlassen, ihn mitzunehmen. Umsonst. Sie hörten ihn nicht, oder wollten ihn nicht hören. Die Pferde mit ihren Reitern arbeiteten sich durch den Schnee, jetzt hörte er nichts mehr, und war allein, eingekerkert, dem Verderben geopfert.</p><lb/> <p>Er war nicht mehr allein, denn durch die Schneemassen arbeiteten sich die Ungethüme der Wüste. Von weit her gaben sie sich Signale, daß sie ihre Beute wieder gefunden, eine Beute, von den Wächtern selbst ihnen preisgegeben. Nie hatte ihm das Heulen der Wölfe so entsetzlich geklungen, so lang ausholend, so teuflisch lächelnd, das Symbol des Hungers und der Höllenfreude zugleich. Nun stürzten sie heran in wilden Sprüngen. Das Heulen wurde lauter, heller, freudiger, es war die Witterung des Menschenfleisches. Preisgegeben war er den Bestien, zerrissen von ihnen, verschlungen, bestimmt, spurlos zu verschwinden, ohne Abschied von der Welt, ohne Lebewohl von irgend einem Wesen, wahrscheinlich ohne daß eine menschliche Seele von seinem Untergange Kunde erhielt. Er war auf seine Kniee gesunken, er preßte die Hände, er versuchte zu beten. Da<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0096]
absteigen und die Pferde losschirren. Es war feuchte Nacht um ihn. Sie wechselten Worte, die er verstand, sie verließen ihn, anderwärts Rettung zu suchen, vielleicht nur für sich, für die Thiere. Ihn ließ man allein, verschlossen, hülflos, in der Nacht, der Wüste, dem sibirischen Schneemeer zurück. Er schrie, er klopfte an die Bretter, er beschwor sie bei Gott und allen Heiligen, ihn nicht zu verlassen, ihn mitzunehmen. Umsonst. Sie hörten ihn nicht, oder wollten ihn nicht hören. Die Pferde mit ihren Reitern arbeiteten sich durch den Schnee, jetzt hörte er nichts mehr, und war allein, eingekerkert, dem Verderben geopfert.
Er war nicht mehr allein, denn durch die Schneemassen arbeiteten sich die Ungethüme der Wüste. Von weit her gaben sie sich Signale, daß sie ihre Beute wieder gefunden, eine Beute, von den Wächtern selbst ihnen preisgegeben. Nie hatte ihm das Heulen der Wölfe so entsetzlich geklungen, so lang ausholend, so teuflisch lächelnd, das Symbol des Hungers und der Höllenfreude zugleich. Nun stürzten sie heran in wilden Sprüngen. Das Heulen wurde lauter, heller, freudiger, es war die Witterung des Menschenfleisches. Preisgegeben war er den Bestien, zerrissen von ihnen, verschlungen, bestimmt, spurlos zu verschwinden, ohne Abschied von der Welt, ohne Lebewohl von irgend einem Wesen, wahrscheinlich ohne daß eine menschliche Seele von seinem Untergange Kunde erhielt. Er war auf seine Kniee gesunken, er preßte die Hände, er versuchte zu beten. Da
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/96 |
Zitationshilfe: | Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/96>, abgerufen am 17.07.2024. |