Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.nach, je mehr die Reise aus den Gegenden sich entfernte, wo noch Deutsch verstanden und gesprochen wurde. Jetzt fuhr man schon Wochen lang durch das eigentliche Rußland. Sacken kannte so viel von der Sprache, um dies zu erkennen. Man übernachtete in Dörfern, und das Gerassel des Wagens auf Steinpflaster sagte ihm, daß man durch Städte fuhr. Hier geschah Mehreres zu seiner Bequemlichkeit, nur war man noch taub gegen den Wunsch, daß ihm einmal ein Nachtlager, sei es auch die nackte Erde, außerhalb des Wagens vergönnt werde. Erst als nach Monaten auch dieses weiten Reiches Grenzen hinter ihnen liegen mochten und ganz fremde asiatische Laute, von denen man nicht voraussetzen konnte, daß der Deutsche davon etwas verstand, wechselten, gab man auch darin nach. Man ließ ihn am heißen Mittag oder in lauen Nächten einige Stunden im Moose schlafen; in Gehöften durfte er dagegen niemals aussteigen. Fast hätte er alle diese Gunst durch eine Unbesonnenheit verscherzt. Der Wagen fuhr wieder auf Straßen; ein Geschwirr von viel tausend Menschenstimmen wogte durch einander, er war auf einem großen Markte. Das sagte ihm das Kreischen und Zanken der Weiber, die ihre Waare ausboten, das Gebrüll der Kühe und Ochsen, das Piepen und Flattern des Federviehs, der Geruch der Früchte und Kräuter. Der Wagen konnte kaum Schritt für Schritt fort; jetzt hielt er an. Auf dem Knie liegend, das Ohr an das Leder gedrückt, nach, je mehr die Reise aus den Gegenden sich entfernte, wo noch Deutsch verstanden und gesprochen wurde. Jetzt fuhr man schon Wochen lang durch das eigentliche Rußland. Sacken kannte so viel von der Sprache, um dies zu erkennen. Man übernachtete in Dörfern, und das Gerassel des Wagens auf Steinpflaster sagte ihm, daß man durch Städte fuhr. Hier geschah Mehreres zu seiner Bequemlichkeit, nur war man noch taub gegen den Wunsch, daß ihm einmal ein Nachtlager, sei es auch die nackte Erde, außerhalb des Wagens vergönnt werde. Erst als nach Monaten auch dieses weiten Reiches Grenzen hinter ihnen liegen mochten und ganz fremde asiatische Laute, von denen man nicht voraussetzen konnte, daß der Deutsche davon etwas verstand, wechselten, gab man auch darin nach. Man ließ ihn am heißen Mittag oder in lauen Nächten einige Stunden im Moose schlafen; in Gehöften durfte er dagegen niemals aussteigen. Fast hätte er alle diese Gunst durch eine Unbesonnenheit verscherzt. Der Wagen fuhr wieder auf Straßen; ein Geschwirr von viel tausend Menschenstimmen wogte durch einander, er war auf einem großen Markte. Das sagte ihm das Kreischen und Zanken der Weiber, die ihre Waare ausboten, das Gebrüll der Kühe und Ochsen, das Piepen und Flattern des Federviehs, der Geruch der Früchte und Kräuter. Der Wagen konnte kaum Schritt für Schritt fort; jetzt hielt er an. Auf dem Knie liegend, das Ohr an das Leder gedrückt, <TEI> <text> <body> <div n="7"> <p><pb facs="#f0092"/> nach, je mehr die Reise aus den Gegenden sich entfernte, wo noch Deutsch verstanden und gesprochen wurde. Jetzt fuhr man schon Wochen lang durch das eigentliche Rußland. Sacken kannte so viel von der Sprache, um dies zu erkennen. Man übernachtete in Dörfern, und das Gerassel des Wagens auf Steinpflaster sagte ihm, daß man durch Städte fuhr. Hier geschah Mehreres zu seiner Bequemlichkeit, nur war man noch taub gegen den Wunsch, daß ihm einmal ein Nachtlager, sei es auch die nackte Erde, außerhalb des Wagens vergönnt werde. Erst als nach Monaten auch dieses weiten Reiches Grenzen hinter ihnen liegen mochten und ganz fremde asiatische Laute, von denen man nicht voraussetzen konnte, daß der Deutsche davon etwas verstand, wechselten, gab man auch darin nach. Man ließ ihn am heißen Mittag oder in lauen Nächten einige Stunden im Moose schlafen; in Gehöften durfte er dagegen niemals aussteigen.</p><lb/> <p>Fast hätte er alle diese Gunst durch eine Unbesonnenheit verscherzt. Der Wagen fuhr wieder auf Straßen; ein Geschwirr von viel tausend Menschenstimmen wogte durch einander, er war auf einem großen Markte. Das sagte ihm das Kreischen und Zanken der Weiber, die ihre Waare ausboten, das Gebrüll der Kühe und Ochsen, das Piepen und Flattern des Federviehs, der Geruch der Früchte und Kräuter. Der Wagen konnte kaum Schritt für Schritt fort; jetzt hielt er an. Auf dem Knie liegend, das Ohr an das Leder gedrückt,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0092]
nach, je mehr die Reise aus den Gegenden sich entfernte, wo noch Deutsch verstanden und gesprochen wurde. Jetzt fuhr man schon Wochen lang durch das eigentliche Rußland. Sacken kannte so viel von der Sprache, um dies zu erkennen. Man übernachtete in Dörfern, und das Gerassel des Wagens auf Steinpflaster sagte ihm, daß man durch Städte fuhr. Hier geschah Mehreres zu seiner Bequemlichkeit, nur war man noch taub gegen den Wunsch, daß ihm einmal ein Nachtlager, sei es auch die nackte Erde, außerhalb des Wagens vergönnt werde. Erst als nach Monaten auch dieses weiten Reiches Grenzen hinter ihnen liegen mochten und ganz fremde asiatische Laute, von denen man nicht voraussetzen konnte, daß der Deutsche davon etwas verstand, wechselten, gab man auch darin nach. Man ließ ihn am heißen Mittag oder in lauen Nächten einige Stunden im Moose schlafen; in Gehöften durfte er dagegen niemals aussteigen.
Fast hätte er alle diese Gunst durch eine Unbesonnenheit verscherzt. Der Wagen fuhr wieder auf Straßen; ein Geschwirr von viel tausend Menschenstimmen wogte durch einander, er war auf einem großen Markte. Das sagte ihm das Kreischen und Zanken der Weiber, die ihre Waare ausboten, das Gebrüll der Kühe und Ochsen, das Piepen und Flattern des Federviehs, der Geruch der Früchte und Kräuter. Der Wagen konnte kaum Schritt für Schritt fort; jetzt hielt er an. Auf dem Knie liegend, das Ohr an das Leder gedrückt,
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Zitationshilfe: | Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/92>, abgerufen am 16.07.2024. |