Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gefressen oder geschossen werden, der Käfer vom Sperling, der Sperling vom Habicht, der Habicht vom Adler und der Adler vom Jäger, und doch kümmert sie's nicht. Sie sind lustiger als wir. Der Hase spielt im Kohlfeld, die Eichkatze klettert auf den Aesten, das Reh springt übers Grün so froh, wie als die Welt geschaffen wurde, und es kümmert sie nicht, daß im nächsten Augenblick Fuchs und Wolf ihnen wie ihren hunderttausend Vätern und Großvätern das Garaus machen werden. Ihnen fällt's auch gar nicht ein, daß es einmal anders werden könnte, was sie bei uns Ordnung, Cultur oder Gerechtigkeitspflege nennen. Allein der Mensch bildet sich so etwas ein, und weil das nie zu Stande kommt, was er sich denkt, ist Jeder unzufrieden. -- Wissen möcht' ich nur, weßhalb die Canaillen, die Krähen, immerfort schreien. Es geht ihnen doch nicht schlechter, als den andern Bestien. Ueberall sind sie zu Haus, auf den Gassen, den Höfen, am Meeresstrand und im Walde, haben immer Gesellschaft und vollauf zu fressen, denn überall bleibt für sie übrig, und doch sind sie die lautesten in der ganzen Compagnie und machen ein Wesen, als gehörte ihnen die Welt, ob ihnen doch nur das Aas zukommt. Kurz, sie haben, was sie nur verlangen können, kein Mensch und kein Thier ist ihnen besonders feind, und wenn es nicht müßige Buben thun, so stellt ihnen kaum Einer nach. Was muß ein Pferd ausstehen, was ein Hund lernen, wie viel Schläge kriegt der Ochs, bis man ihm den letzten auf die Stirn giebt und das Leder ab- gefressen oder geschossen werden, der Käfer vom Sperling, der Sperling vom Habicht, der Habicht vom Adler und der Adler vom Jäger, und doch kümmert sie's nicht. Sie sind lustiger als wir. Der Hase spielt im Kohlfeld, die Eichkatze klettert auf den Aesten, das Reh springt übers Grün so froh, wie als die Welt geschaffen wurde, und es kümmert sie nicht, daß im nächsten Augenblick Fuchs und Wolf ihnen wie ihren hunderttausend Vätern und Großvätern das Garaus machen werden. Ihnen fällt's auch gar nicht ein, daß es einmal anders werden könnte, was sie bei uns Ordnung, Cultur oder Gerechtigkeitspflege nennen. Allein der Mensch bildet sich so etwas ein, und weil das nie zu Stande kommt, was er sich denkt, ist Jeder unzufrieden. — Wissen möcht' ich nur, weßhalb die Canaillen, die Krähen, immerfort schreien. Es geht ihnen doch nicht schlechter, als den andern Bestien. Ueberall sind sie zu Haus, auf den Gassen, den Höfen, am Meeresstrand und im Walde, haben immer Gesellschaft und vollauf zu fressen, denn überall bleibt für sie übrig, und doch sind sie die lautesten in der ganzen Compagnie und machen ein Wesen, als gehörte ihnen die Welt, ob ihnen doch nur das Aas zukommt. Kurz, sie haben, was sie nur verlangen können, kein Mensch und kein Thier ist ihnen besonders feind, und wenn es nicht müßige Buben thun, so stellt ihnen kaum Einer nach. Was muß ein Pferd ausstehen, was ein Hund lernen, wie viel Schläge kriegt der Ochs, bis man ihm den letzten auf die Stirn giebt und das Leder ab- <TEI> <text> <body> <div n="5"> <p><pb facs="#f0050"/> gefressen oder geschossen werden, der Käfer vom Sperling, der Sperling vom Habicht, der Habicht vom Adler und der Adler vom Jäger, und doch kümmert sie's nicht. Sie sind lustiger als wir. Der Hase spielt im Kohlfeld, die Eichkatze klettert auf den Aesten, das Reh springt übers Grün so froh, wie als die Welt geschaffen wurde, und es kümmert sie nicht, daß im nächsten Augenblick Fuchs und Wolf ihnen wie ihren hunderttausend Vätern und Großvätern das Garaus machen werden. Ihnen fällt's auch gar nicht ein, daß es einmal anders werden könnte, was sie bei uns Ordnung, Cultur oder Gerechtigkeitspflege nennen. Allein der Mensch bildet sich so etwas ein, und weil das nie zu Stande kommt, was er sich denkt, ist Jeder unzufrieden. — Wissen möcht' ich nur, weßhalb die Canaillen, die Krähen, immerfort schreien. Es geht ihnen doch nicht schlechter, als den andern Bestien. Ueberall sind sie zu Haus, auf den Gassen, den Höfen, am Meeresstrand und im Walde, haben immer Gesellschaft und vollauf zu fressen, denn überall bleibt für sie übrig, und doch sind sie die lautesten in der ganzen Compagnie und machen ein Wesen, als gehörte ihnen die Welt, ob ihnen doch nur das Aas zukommt. Kurz, sie haben, was sie nur verlangen können, kein Mensch und kein Thier ist ihnen besonders feind, und wenn es nicht müßige Buben thun, so stellt ihnen kaum Einer nach. Was muß ein Pferd ausstehen, was ein Hund lernen, wie viel Schläge kriegt der Ochs, bis man ihm den letzten auf die Stirn giebt und das Leder ab-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0050]
gefressen oder geschossen werden, der Käfer vom Sperling, der Sperling vom Habicht, der Habicht vom Adler und der Adler vom Jäger, und doch kümmert sie's nicht. Sie sind lustiger als wir. Der Hase spielt im Kohlfeld, die Eichkatze klettert auf den Aesten, das Reh springt übers Grün so froh, wie als die Welt geschaffen wurde, und es kümmert sie nicht, daß im nächsten Augenblick Fuchs und Wolf ihnen wie ihren hunderttausend Vätern und Großvätern das Garaus machen werden. Ihnen fällt's auch gar nicht ein, daß es einmal anders werden könnte, was sie bei uns Ordnung, Cultur oder Gerechtigkeitspflege nennen. Allein der Mensch bildet sich so etwas ein, und weil das nie zu Stande kommt, was er sich denkt, ist Jeder unzufrieden. — Wissen möcht' ich nur, weßhalb die Canaillen, die Krähen, immerfort schreien. Es geht ihnen doch nicht schlechter, als den andern Bestien. Ueberall sind sie zu Haus, auf den Gassen, den Höfen, am Meeresstrand und im Walde, haben immer Gesellschaft und vollauf zu fressen, denn überall bleibt für sie übrig, und doch sind sie die lautesten in der ganzen Compagnie und machen ein Wesen, als gehörte ihnen die Welt, ob ihnen doch nur das Aas zukommt. Kurz, sie haben, was sie nur verlangen können, kein Mensch und kein Thier ist ihnen besonders feind, und wenn es nicht müßige Buben thun, so stellt ihnen kaum Einer nach. Was muß ein Pferd ausstehen, was ein Hund lernen, wie viel Schläge kriegt der Ochs, bis man ihm den letzten auf die Stirn giebt und das Leder ab-
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