Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Der Wagen fuhr langsam. Er hörte das Streifen der Sensen, das Fallen der Mahd. Die Schnitter sangen. -- Die Chinesen, dachte der Freiherr, sollen das gedrückteste Volk sein, und doch mögen sie singen! Also es giebt Stoff zur Heiterkeit in der ganzen Welt. -- Er drückte die Augen zu, sanft geschaukelt von der lauen Luft, von dem sandigen Wege. Angenehme Bilder von Glück und Friede gaukelten ihm vor. Da hörte er sie singen, in kurischer Sprache: Wieder ist er, aus der großen Stadt, zurückgekehrt, der Herr. Bringt der Gnäd'ge Honigkuchen, Bringt er Zuckerbrod für uns? Honigkuchen nicht und Zucker, Schlimme Mienen, sauren Blick, Arbeit doppelt, böse Worte. Schelten kann er wie Zweihundert, Böse sehen wie Dreihundert, Und die Schläge zählt er nicht. Wenn er doch recht gnädig wäre, Und in sammtnem Handschuh ginge, Wollte Weizenbrod dem Priester Opfern, und zwei Kannen Meth. Was war das? -- Er wachte; es war kein Traum. Wie kamen kurländische Bauern an die Gränze von China? -- Der Wagen stand ganz still. Die warme, stille Nachmittagssonne drang durch die Ritzen, der Sonnenstaub wirbelte so befreundet, der Harzgeruch der Kiefern, das Rauschen der Lüfte in den Zweigen, Alles Der Wagen fuhr langsam. Er hörte das Streifen der Sensen, das Fallen der Mahd. Die Schnitter sangen. — Die Chinesen, dachte der Freiherr, sollen das gedrückteste Volk sein, und doch mögen sie singen! Also es giebt Stoff zur Heiterkeit in der ganzen Welt. — Er drückte die Augen zu, sanft geschaukelt von der lauen Luft, von dem sandigen Wege. Angenehme Bilder von Glück und Friede gaukelten ihm vor. Da hörte er sie singen, in kurischer Sprache: Wieder ist er, aus der großen Stadt, zurückgekehrt, der Herr. Bringt der Gnäd'ge Honigkuchen, Bringt er Zuckerbrod für uns? Honigkuchen nicht und Zucker, Schlimme Mienen, sauren Blick, Arbeit doppelt, böse Worte. Schelten kann er wie Zweihundert, Böse sehen wie Dreihundert, Und die Schläge zählt er nicht. Wenn er doch recht gnädig wäre, Und in sammtnem Handschuh ginge, Wollte Weizenbrod dem Priester Opfern, und zwei Kannen Meth. Was war das? — Er wachte; es war kein Traum. Wie kamen kurländische Bauern an die Gränze von China? — Der Wagen stand ganz still. Die warme, stille Nachmittagssonne drang durch die Ritzen, der Sonnenstaub wirbelte so befreundet, der Harzgeruch der Kiefern, das Rauschen der Lüfte in den Zweigen, Alles <TEI> <text> <body> <div n="7"> <p><pb facs="#f0102"/> Der Wagen fuhr langsam. Er hörte das Streifen der Sensen, das Fallen der Mahd. Die Schnitter sangen. — Die Chinesen, dachte der Freiherr, sollen das gedrückteste Volk sein, und doch mögen sie singen! Also es giebt Stoff zur Heiterkeit in der ganzen Welt. — Er drückte die Augen zu, sanft geschaukelt von der lauen Luft, von dem sandigen Wege. Angenehme Bilder von Glück und Friede gaukelten ihm vor. Da hörte er sie singen, in kurischer Sprache:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Wieder ist er, aus der großen</l> <l>Stadt, zurückgekehrt, der Herr.</l> <l>Bringt der Gnäd'ge Honigkuchen,</l> <l>Bringt er Zuckerbrod für uns?</l> <l>Honigkuchen nicht und Zucker,</l> <l>Schlimme Mienen, sauren Blick,</l> <l>Arbeit doppelt, böse Worte.</l> <l>Schelten kann er wie Zweihundert,</l> <l>Böse sehen wie Dreihundert,</l> <l>Und die Schläge zählt er nicht.</l> <l>Wenn er doch recht gnädig wäre,</l> <l>Und in sammtnem Handschuh ginge,</l> <l>Wollte Weizenbrod dem Priester</l> <l>Opfern, und zwei Kannen Meth.</l> </lg> <p>Was war das? — Er wachte; es war kein Traum. Wie kamen kurländische Bauern an die Gränze von China? — Der Wagen stand ganz still. Die warme, stille Nachmittagssonne drang durch die Ritzen, der Sonnenstaub wirbelte so befreundet, der Harzgeruch der Kiefern, das Rauschen der Lüfte in den Zweigen, Alles<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0102]
Der Wagen fuhr langsam. Er hörte das Streifen der Sensen, das Fallen der Mahd. Die Schnitter sangen. — Die Chinesen, dachte der Freiherr, sollen das gedrückteste Volk sein, und doch mögen sie singen! Also es giebt Stoff zur Heiterkeit in der ganzen Welt. — Er drückte die Augen zu, sanft geschaukelt von der lauen Luft, von dem sandigen Wege. Angenehme Bilder von Glück und Friede gaukelten ihm vor. Da hörte er sie singen, in kurischer Sprache:
Wieder ist er, aus der großen Stadt, zurückgekehrt, der Herr. Bringt der Gnäd'ge Honigkuchen, Bringt er Zuckerbrod für uns? Honigkuchen nicht und Zucker, Schlimme Mienen, sauren Blick, Arbeit doppelt, böse Worte. Schelten kann er wie Zweihundert, Böse sehen wie Dreihundert, Und die Schläge zählt er nicht. Wenn er doch recht gnädig wäre, Und in sammtnem Handschuh ginge, Wollte Weizenbrod dem Priester Opfern, und zwei Kannen Meth.
Was war das? — Er wachte; es war kein Traum. Wie kamen kurländische Bauern an die Gränze von China? — Der Wagen stand ganz still. Die warme, stille Nachmittagssonne drang durch die Ritzen, der Sonnenstaub wirbelte so befreundet, der Harzgeruch der Kiefern, das Rauschen der Lüfte in den Zweigen, Alles
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Zitationshilfe: | Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/102>, abgerufen am 16.07.2024. |