Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ihn gekränkt hatten. Was hatte er ein Recht, was sein Neffe als Lebensglück betrachtete, aus nichts Anderm als einer schwarzen Grille zu hintertreiben, wie tyrannisch war er dabei gegen seinen uneigennützigen Königsberger Freund und dessen unschuldige Tochter verfahren! Und durfte er danach Biron, wenn er es war, der ihm die Qual bereitet, nur tyrannisch nennen? Bei der Erinnerung an Benigna Trotha gährte noch einmal der Kelch bitter auf; allein freundlich blickte ihn ihr kluges Auge wieder an, und sie reichte ihm über die sibirischen Wüsten die Hand zur Versöhnung. Wer war hier der Tyrann gewesen, wer hatte das Glück von sich gestoßen? Nicht sie. Aber sie, die er so ernst geliebt, die er so hoch geschätzt, daß er ihren Werth durch Prüfungen läutern wollen, zu denen er nicht berufen war, sie jetzt sittlich entwürdigt, zur Scheingattin, mit Verleugnung ihrer eigenen Würde, ihrer heiligen Rechte, einem andern sinnlichen Bunde den Deckmantel der Decenz umwerfend! Trug er auch da die Schuld? -- Er gedachte des Tatarchans, in dessen Filzzelt er während eines zweiten Fieberanfalls einige Tage ausgeruht, der zwei Frauen zugleich hatte, eine alternde und eine jugendliche. Er hatte jene gefragt: ob sie mit der Rivalin zufrieden sei? Sie hatte geantwortet: Wenn nur mein Herr zufrieden ist.

Der Winter war vorüber, die Lerchen sangen wieder, der würzige Duft frischer Kräuter drang erquickend in seinen Käfich. Aber grausamer Weise schloß man

ihn gekränkt hatten. Was hatte er ein Recht, was sein Neffe als Lebensglück betrachtete, aus nichts Anderm als einer schwarzen Grille zu hintertreiben, wie tyrannisch war er dabei gegen seinen uneigennützigen Königsberger Freund und dessen unschuldige Tochter verfahren! Und durfte er danach Biron, wenn er es war, der ihm die Qual bereitet, nur tyrannisch nennen? Bei der Erinnerung an Benigna Trotha gährte noch einmal der Kelch bitter auf; allein freundlich blickte ihn ihr kluges Auge wieder an, und sie reichte ihm über die sibirischen Wüsten die Hand zur Versöhnung. Wer war hier der Tyrann gewesen, wer hatte das Glück von sich gestoßen? Nicht sie. Aber sie, die er so ernst geliebt, die er so hoch geschätzt, daß er ihren Werth durch Prüfungen läutern wollen, zu denen er nicht berufen war, sie jetzt sittlich entwürdigt, zur Scheingattin, mit Verleugnung ihrer eigenen Würde, ihrer heiligen Rechte, einem andern sinnlichen Bunde den Deckmantel der Decenz umwerfend! Trug er auch da die Schuld? — Er gedachte des Tatarchans, in dessen Filzzelt er während eines zweiten Fieberanfalls einige Tage ausgeruht, der zwei Frauen zugleich hatte, eine alternde und eine jugendliche. Er hatte jene gefragt: ob sie mit der Rivalin zufrieden sei? Sie hatte geantwortet: Wenn nur mein Herr zufrieden ist.

Der Winter war vorüber, die Lerchen sangen wieder, der würzige Duft frischer Kräuter drang erquickend in seinen Käfich. Aber grausamer Weise schloß man

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="7">
        <p><pb facs="#f0100"/>
ihn gekränkt hatten. Was hatte er ein Recht, was sein Neffe als Lebensglück                betrachtete, aus nichts Anderm als einer schwarzen Grille zu hintertreiben, wie                tyrannisch war er dabei gegen seinen uneigennützigen Königsberger Freund und dessen                unschuldige Tochter verfahren! Und durfte er danach Biron, wenn er es war, der ihm                die Qual bereitet, nur tyrannisch nennen? Bei der Erinnerung an Benigna Trotha gährte                noch einmal der Kelch bitter auf; allein freundlich blickte ihn ihr kluges Auge                wieder an, und sie reichte ihm über die sibirischen Wüsten die Hand zur Versöhnung.                Wer war hier der Tyrann gewesen, wer hatte das Glück von sich gestoßen? Nicht sie.                Aber sie, die er so ernst geliebt, die er so hoch geschätzt, daß er ihren Werth durch                Prüfungen läutern wollen, zu denen er nicht berufen war, sie jetzt sittlich                entwürdigt, zur Scheingattin, mit Verleugnung ihrer eigenen Würde, ihrer heiligen                Rechte, einem andern sinnlichen Bunde den Deckmantel der Decenz umwerfend! Trug er                auch da die Schuld? &#x2014; Er gedachte des Tatarchans, in dessen Filzzelt er während eines                zweiten Fieberanfalls einige Tage ausgeruht, der zwei Frauen zugleich hatte, eine                alternde und eine jugendliche. Er hatte jene gefragt: ob sie mit der Rivalin                zufrieden sei? Sie hatte geantwortet: Wenn nur mein Herr zufrieden ist.</p><lb/>
        <p>Der Winter war vorüber, die Lerchen sangen wieder, der würzige Duft frischer Kräuter                drang erquickend in seinen Käfich. Aber grausamer Weise schloß man<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] ihn gekränkt hatten. Was hatte er ein Recht, was sein Neffe als Lebensglück betrachtete, aus nichts Anderm als einer schwarzen Grille zu hintertreiben, wie tyrannisch war er dabei gegen seinen uneigennützigen Königsberger Freund und dessen unschuldige Tochter verfahren! Und durfte er danach Biron, wenn er es war, der ihm die Qual bereitet, nur tyrannisch nennen? Bei der Erinnerung an Benigna Trotha gährte noch einmal der Kelch bitter auf; allein freundlich blickte ihn ihr kluges Auge wieder an, und sie reichte ihm über die sibirischen Wüsten die Hand zur Versöhnung. Wer war hier der Tyrann gewesen, wer hatte das Glück von sich gestoßen? Nicht sie. Aber sie, die er so ernst geliebt, die er so hoch geschätzt, daß er ihren Werth durch Prüfungen läutern wollen, zu denen er nicht berufen war, sie jetzt sittlich entwürdigt, zur Scheingattin, mit Verleugnung ihrer eigenen Würde, ihrer heiligen Rechte, einem andern sinnlichen Bunde den Deckmantel der Decenz umwerfend! Trug er auch da die Schuld? — Er gedachte des Tatarchans, in dessen Filzzelt er während eines zweiten Fieberanfalls einige Tage ausgeruht, der zwei Frauen zugleich hatte, eine alternde und eine jugendliche. Er hatte jene gefragt: ob sie mit der Rivalin zufrieden sei? Sie hatte geantwortet: Wenn nur mein Herr zufrieden ist. Der Winter war vorüber, die Lerchen sangen wieder, der würzige Duft frischer Kräuter drang erquickend in seinen Käfich. Aber grausamer Weise schloß man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:11:53Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:11:53Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/100
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/100>, abgerufen am 27.11.2024.