Verrath, eine Denunciation, eine geheime Sympathie im Spiele? Die Thatsache war, im Gouvernements¬ gebäude mußte der Feldmarschall Möllendorf, oder wer ihn vertrat, wach gewesen sein, denn Husaren und Polizeidiener sprengten heran, um dem Unfug zu steuern, die Thäter zu ergreifen.
Der Lärm wuchs. Die sympathisirenden Zu¬ schauer bildeten noch einen Wall gegen die andrin¬ gende Polizeimacht. Unter den besonnenen Theil¬ nehmern an dem Abenteuer war die Gewissensfrage, ob sie für ihre Personen sich in's Dunkel salviren, und die jüngern Unbesonnenen, die nichts von der Gefahr ahnten, ihrem Schicksal überlassen sollten, oder ob ihre Pflicht erheische, sie mit ihnen zu theilen? Bei einem Rittmeister, den mittleren Jahren näher als denen der Jugend, war der Entschluß schnell zum Durchbruch gekommen, denn aus dem Dunkel der Bäume, wo er sich den Mantel schon fest umge¬ knöpft, sprang er plötzlich zurück, umfaßte einen jün¬ gern Officier, der eben mit seiner Degenspitze eine Scheibe im Fenster des Erdgeschosses berührte -- in welcher Absicht, wußte der junge Mensch nachher selbst nicht -- und mit den Worten: "Fritz, bist Du toll?" schleuderte oder riß der starke Mann ihn zurück. Fritz schrie Worte, die vor jedem Gericht als Landes¬ verrath gelten mußten, der Rittmeister küßte sie ihm von den Lippen: "Ja, Fritz, wenn's losgeht, schla¬ gen wir ihn mit einander todt. Du nicht allein, Fritz, Respect, ich bin Dein Onkel, Dein Chef, ich schlage
Verrath, eine Denunciation, eine geheime Sympathie im Spiele? Die Thatſache war, im Gouvernements¬ gebäude mußte der Feldmarſchall Möllendorf, oder wer ihn vertrat, wach geweſen ſein, denn Huſaren und Polizeidiener ſprengten heran, um dem Unfug zu ſteuern, die Thäter zu ergreifen.
Der Lärm wuchs. Die ſympathiſirenden Zu¬ ſchauer bildeten noch einen Wall gegen die andrin¬ gende Polizeimacht. Unter den beſonnenen Theil¬ nehmern an dem Abenteuer war die Gewiſſensfrage, ob ſie für ihre Perſonen ſich in's Dunkel ſalviren, und die jüngern Unbeſonnenen, die nichts von der Gefahr ahnten, ihrem Schickſal überlaſſen ſollten, oder ob ihre Pflicht erheiſche, ſie mit ihnen zu theilen? Bei einem Rittmeiſter, den mittleren Jahren näher als denen der Jugend, war der Entſchluß ſchnell zum Durchbruch gekommen, denn aus dem Dunkel der Bäume, wo er ſich den Mantel ſchon feſt umge¬ knöpft, ſprang er plötzlich zurück, umfaßte einen jün¬ gern Officier, der eben mit ſeiner Degenſpitze eine Scheibe im Fenſter des Erdgeſchoſſes berührte — in welcher Abſicht, wußte der junge Menſch nachher ſelbſt nicht — und mit den Worten: „Fritz, biſt Du toll?“ ſchleuderte oder riß der ſtarke Mann ihn zurück. Fritz ſchrie Worte, die vor jedem Gericht als Landes¬ verrath gelten mußten, der Rittmeiſter küßte ſie ihm von den Lippen: „Ja, Fritz, wenn's losgeht, ſchla¬ gen wir ihn mit einander todt. Du nicht allein, Fritz, Reſpect, ich bin Dein Onkel, Dein Chef, ich ſchlage
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0064"n="54"/>
Verrath, eine Denunciation, eine geheime Sympathie<lb/>
im Spiele? Die Thatſache war, im Gouvernements¬<lb/>
gebäude mußte der Feldmarſchall Möllendorf, oder<lb/>
wer ihn vertrat, wach geweſen ſein, denn Huſaren<lb/>
und Polizeidiener ſprengten heran, um dem Unfug<lb/>
zu ſteuern, die Thäter zu ergreifen.</p><lb/><p>Der Lärm wuchs. Die ſympathiſirenden Zu¬<lb/>ſchauer bildeten noch einen Wall gegen die andrin¬<lb/>
gende Polizeimacht. Unter den beſonnenen Theil¬<lb/>
nehmern an dem Abenteuer war die Gewiſſensfrage,<lb/>
ob ſie für ihre Perſonen ſich in's Dunkel ſalviren,<lb/>
und die jüngern Unbeſonnenen, die nichts von der<lb/>
Gefahr ahnten, ihrem Schickſal überlaſſen ſollten,<lb/>
oder ob ihre Pflicht erheiſche, ſie mit ihnen zu theilen?<lb/>
Bei einem Rittmeiſter, den mittleren Jahren näher<lb/>
als denen der Jugend, war der Entſchluß ſchnell<lb/>
zum Durchbruch gekommen, denn aus dem Dunkel<lb/>
der Bäume, wo er ſich den Mantel ſchon feſt umge¬<lb/>
knöpft, ſprang er plötzlich zurück, umfaßte einen jün¬<lb/>
gern Officier, der eben mit ſeiner Degenſpitze eine<lb/>
Scheibe im Fenſter des Erdgeſchoſſes berührte — in<lb/>
welcher Abſicht, wußte der junge Menſch nachher ſelbſt<lb/>
nicht — und mit den Worten: „Fritz, biſt Du toll?“<lb/>ſchleuderte oder riß der ſtarke Mann ihn zurück.<lb/>
Fritz ſchrie Worte, die vor jedem Gericht als Landes¬<lb/>
verrath gelten mußten, der Rittmeiſter küßte ſie ihm<lb/>
von den Lippen: „Ja, Fritz, wenn's losgeht, ſchla¬<lb/>
gen wir ihn mit einander todt. Du nicht allein, Fritz,<lb/>
Reſpect, ich bin Dein Onkel, Dein Chef, ich ſchlage<lb/></p></div></body></text></TEI>
[54/0064]
Verrath, eine Denunciation, eine geheime Sympathie
im Spiele? Die Thatſache war, im Gouvernements¬
gebäude mußte der Feldmarſchall Möllendorf, oder
wer ihn vertrat, wach geweſen ſein, denn Huſaren
und Polizeidiener ſprengten heran, um dem Unfug
zu ſteuern, die Thäter zu ergreifen.
Der Lärm wuchs. Die ſympathiſirenden Zu¬
ſchauer bildeten noch einen Wall gegen die andrin¬
gende Polizeimacht. Unter den beſonnenen Theil¬
nehmern an dem Abenteuer war die Gewiſſensfrage,
ob ſie für ihre Perſonen ſich in's Dunkel ſalviren,
und die jüngern Unbeſonnenen, die nichts von der
Gefahr ahnten, ihrem Schickſal überlaſſen ſollten,
oder ob ihre Pflicht erheiſche, ſie mit ihnen zu theilen?
Bei einem Rittmeiſter, den mittleren Jahren näher
als denen der Jugend, war der Entſchluß ſchnell
zum Durchbruch gekommen, denn aus dem Dunkel
der Bäume, wo er ſich den Mantel ſchon feſt umge¬
knöpft, ſprang er plötzlich zurück, umfaßte einen jün¬
gern Officier, der eben mit ſeiner Degenſpitze eine
Scheibe im Fenſter des Erdgeſchoſſes berührte — in
welcher Abſicht, wußte der junge Menſch nachher ſelbſt
nicht — und mit den Worten: „Fritz, biſt Du toll?“
ſchleuderte oder riß der ſtarke Mann ihn zurück.
Fritz ſchrie Worte, die vor jedem Gericht als Landes¬
verrath gelten mußten, der Rittmeiſter küßte ſie ihm
von den Lippen: „Ja, Fritz, wenn's losgeht, ſchla¬
gen wir ihn mit einander todt. Du nicht allein, Fritz,
Reſpect, ich bin Dein Onkel, Dein Chef, ich ſchlage
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/64>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.