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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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Verrath, eine Denunciation, eine geheime Sympathie
im Spiele? Die Thatsache war, im Gouvernements¬
gebäude mußte der Feldmarschall Möllendorf, oder
wer ihn vertrat, wach gewesen sein, denn Husaren
und Polizeidiener sprengten heran, um dem Unfug
zu steuern, die Thäter zu ergreifen.

Der Lärm wuchs. Die sympathisirenden Zu¬
schauer bildeten noch einen Wall gegen die andrin¬
gende Polizeimacht. Unter den besonnenen Theil¬
nehmern an dem Abenteuer war die Gewissensfrage,
ob sie für ihre Personen sich in's Dunkel salviren,
und die jüngern Unbesonnenen, die nichts von der
Gefahr ahnten, ihrem Schicksal überlassen sollten,
oder ob ihre Pflicht erheische, sie mit ihnen zu theilen?
Bei einem Rittmeister, den mittleren Jahren näher
als denen der Jugend, war der Entschluß schnell
zum Durchbruch gekommen, denn aus dem Dunkel
der Bäume, wo er sich den Mantel schon fest umge¬
knöpft, sprang er plötzlich zurück, umfaßte einen jün¬
gern Officier, der eben mit seiner Degenspitze eine
Scheibe im Fenster des Erdgeschosses berührte -- in
welcher Absicht, wußte der junge Mensch nachher selbst
nicht -- und mit den Worten: "Fritz, bist Du toll?"
schleuderte oder riß der starke Mann ihn zurück.
Fritz schrie Worte, die vor jedem Gericht als Landes¬
verrath gelten mußten, der Rittmeister küßte sie ihm
von den Lippen: "Ja, Fritz, wenn's losgeht, schla¬
gen wir ihn mit einander todt. Du nicht allein, Fritz,
Respect, ich bin Dein Onkel, Dein Chef, ich schlage

Verrath, eine Denunciation, eine geheime Sympathie
im Spiele? Die Thatſache war, im Gouvernements¬
gebäude mußte der Feldmarſchall Möllendorf, oder
wer ihn vertrat, wach geweſen ſein, denn Huſaren
und Polizeidiener ſprengten heran, um dem Unfug
zu ſteuern, die Thäter zu ergreifen.

Der Lärm wuchs. Die ſympathiſirenden Zu¬
ſchauer bildeten noch einen Wall gegen die andrin¬
gende Polizeimacht. Unter den beſonnenen Theil¬
nehmern an dem Abenteuer war die Gewiſſensfrage,
ob ſie für ihre Perſonen ſich in's Dunkel ſalviren,
und die jüngern Unbeſonnenen, die nichts von der
Gefahr ahnten, ihrem Schickſal überlaſſen ſollten,
oder ob ihre Pflicht erheiſche, ſie mit ihnen zu theilen?
Bei einem Rittmeiſter, den mittleren Jahren näher
als denen der Jugend, war der Entſchluß ſchnell
zum Durchbruch gekommen, denn aus dem Dunkel
der Bäume, wo er ſich den Mantel ſchon feſt umge¬
knöpft, ſprang er plötzlich zurück, umfaßte einen jün¬
gern Officier, der eben mit ſeiner Degenſpitze eine
Scheibe im Fenſter des Erdgeſchoſſes berührte — in
welcher Abſicht, wußte der junge Menſch nachher ſelbſt
nicht — und mit den Worten: „Fritz, biſt Du toll?“
ſchleuderte oder riß der ſtarke Mann ihn zurück.
Fritz ſchrie Worte, die vor jedem Gericht als Landes¬
verrath gelten mußten, der Rittmeiſter küßte ſie ihm
von den Lippen: „Ja, Fritz, wenn's losgeht, ſchla¬
gen wir ihn mit einander todt. Du nicht allein, Fritz,
Reſpect, ich bin Dein Onkel, Dein Chef, ich ſchlage

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[54/0064] Verrath, eine Denunciation, eine geheime Sympathie im Spiele? Die Thatſache war, im Gouvernements¬ gebäude mußte der Feldmarſchall Möllendorf, oder wer ihn vertrat, wach geweſen ſein, denn Huſaren und Polizeidiener ſprengten heran, um dem Unfug zu ſteuern, die Thäter zu ergreifen. Der Lärm wuchs. Die ſympathiſirenden Zu¬ ſchauer bildeten noch einen Wall gegen die andrin¬ gende Polizeimacht. Unter den beſonnenen Theil¬ nehmern an dem Abenteuer war die Gewiſſensfrage, ob ſie für ihre Perſonen ſich in's Dunkel ſalviren, und die jüngern Unbeſonnenen, die nichts von der Gefahr ahnten, ihrem Schickſal überlaſſen ſollten, oder ob ihre Pflicht erheiſche, ſie mit ihnen zu theilen? Bei einem Rittmeiſter, den mittleren Jahren näher als denen der Jugend, war der Entſchluß ſchnell zum Durchbruch gekommen, denn aus dem Dunkel der Bäume, wo er ſich den Mantel ſchon feſt umge¬ knöpft, ſprang er plötzlich zurück, umfaßte einen jün¬ gern Officier, der eben mit ſeiner Degenſpitze eine Scheibe im Fenſter des Erdgeſchoſſes berührte — in welcher Abſicht, wußte der junge Menſch nachher ſelbſt nicht — und mit den Worten: „Fritz, biſt Du toll?“ ſchleuderte oder riß der ſtarke Mann ihn zurück. Fritz ſchrie Worte, die vor jedem Gericht als Landes¬ verrath gelten mußten, der Rittmeiſter küßte ſie ihm von den Lippen: „Ja, Fritz, wenn's losgeht, ſchla¬ gen wir ihn mit einander todt. Du nicht allein, Fritz, Reſpect, ich bin Dein Onkel, Dein Chef, ich ſchlage

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/64>, abgerufen am 27.11.2024.