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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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Wir zweifeln nicht, daß der Legationsrath auch
jetzt noch Mittel gefunden -- wenigstens würde er
danach gesucht haben, das Mißtrauen der Wittwe
zu beschwichtigen, wenn sein Blick nicht plötzlich durch
einen Gegenstand an der Thür absorbirt worden
wäre. Es lag in der Natur der Dinge, daß, nach¬
dem durch die Diener die Nachricht vom Tode des
Barons bekannt geworden, eine Anzahl Freunde,
Angehöriger und Theilnehmender sich in das Haus
drängte. Eben so natürlich war es, wenn bei der
obwaltenden Krisis einige unangemeldet in das
Zimmer drangen, zur Förmlichkeit eines Trauer¬
besuches war nicht mehr Zeit. Alle trauerten, und
alle Trauer mischt sich. Die Baronin ward em¬
brassirt, Dienstleute aus dem Hause drängten herein
und schrieen beim Anblick der Leiche auf. Das:
"Wissen Sie schon?" -- "O der ist glücklich, der
nichts davon hört!" "Ach wer weiß, was uns
Allen bevorsteht!" -- "Und so jung noch!" -- Das
Schluchzen, das stille Weinen, das Händeringen, es
war Alles zusammen wohl geeignet, die peinliche Lage
der Baronin zu vermehren und ihre Aufmerksamkeit
abzuziehen, aber die Wandels war auf einen andern
Gegenstand gerichtet gewesen. Er glaubte, als die
Thür aufgerissen ward, den rothen Kragen eines
obern Polizeibeamten entdeckt zu haben.

Der war zwar noch nicht eingetreten, aber wie
aus einer geöffneten Schleuse ergossen sich Nachrichten,
die ihm nicht alle angenehm waren. Dem "Wissen

Wir zweifeln nicht, daß der Legationsrath auch
jetzt noch Mittel gefunden — wenigſtens würde er
danach geſucht haben, das Mißtrauen der Wittwe
zu beſchwichtigen, wenn ſein Blick nicht plötzlich durch
einen Gegenſtand an der Thür abſorbirt worden
wäre. Es lag in der Natur der Dinge, daß, nach¬
dem durch die Diener die Nachricht vom Tode des
Barons bekannt geworden, eine Anzahl Freunde,
Angehöriger und Theilnehmender ſich in das Haus
drängte. Eben ſo natürlich war es, wenn bei der
obwaltenden Kriſis einige unangemeldet in das
Zimmer drangen, zur Förmlichkeit eines Trauer¬
beſuches war nicht mehr Zeit. Alle trauerten, und
alle Trauer miſcht ſich. Die Baronin ward em¬
braſſirt, Dienſtleute aus dem Hauſe drängten herein
und ſchrieen beim Anblick der Leiche auf. Das:
„Wiſſen Sie ſchon?“ — „O der iſt glücklich, der
nichts davon hört!“ „Ach wer weiß, was uns
Allen bevorſteht!“ — „Und ſo jung noch!“ — Das
Schluchzen, das ſtille Weinen, das Händeringen, es
war Alles zuſammen wohl geeignet, die peinliche Lage
der Baronin zu vermehren und ihre Aufmerkſamkeit
abzuziehen, aber die Wandels war auf einen andern
Gegenſtand gerichtet geweſen. Er glaubte, als die
Thür aufgeriſſen ward, den rothen Kragen eines
obern Polizeibeamten entdeckt zu haben.

Der war zwar noch nicht eingetreten, aber wie
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[362/0372] Wir zweifeln nicht, daß der Legationsrath auch jetzt noch Mittel gefunden — wenigſtens würde er danach geſucht haben, das Mißtrauen der Wittwe zu beſchwichtigen, wenn ſein Blick nicht plötzlich durch einen Gegenſtand an der Thür abſorbirt worden wäre. Es lag in der Natur der Dinge, daß, nach¬ dem durch die Diener die Nachricht vom Tode des Barons bekannt geworden, eine Anzahl Freunde, Angehöriger und Theilnehmender ſich in das Haus drängte. Eben ſo natürlich war es, wenn bei der obwaltenden Kriſis einige unangemeldet in das Zimmer drangen, zur Förmlichkeit eines Trauer¬ beſuches war nicht mehr Zeit. Alle trauerten, und alle Trauer miſcht ſich. Die Baronin ward em¬ braſſirt, Dienſtleute aus dem Hauſe drängten herein und ſchrieen beim Anblick der Leiche auf. Das: „Wiſſen Sie ſchon?“ — „O der iſt glücklich, der nichts davon hört!“ „Ach wer weiß, was uns Allen bevorſteht!“ — „Und ſo jung noch!“ — Das Schluchzen, das ſtille Weinen, das Händeringen, es war Alles zuſammen wohl geeignet, die peinliche Lage der Baronin zu vermehren und ihre Aufmerkſamkeit abzuziehen, aber die Wandels war auf einen andern Gegenſtand gerichtet geweſen. Er glaubte, als die Thür aufgeriſſen ward, den rothen Kragen eines obern Polizeibeamten entdeckt zu haben. Der war zwar noch nicht eingetreten, aber wie aus einer geöffneten Schleuſe ergoſſen ſich Nachrichten, die ihm nicht alle angenehm waren. Dem „Wiſſen

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/372>, abgerufen am 24.11.2024.