Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

doch ausreichend, um die Hauptstadt vor dem ersten
Anprall zu schützen, die zersprengten und flüchtigen
Truppen aufzunehmen, in Cadres zu sammeln --
als der Minister mit Entsetzen ihn unterbrach:

"Sind sie rasend! In ein brennend Haus sich
stürzen! Wir -- wir werben nicht, was neue Sol¬
daten -- sollen wir noch den Kaiser reizen! Wir
können Gott danken --"

"Wenn wir unser elendes Leben salviren," rief
eine Stimme von der Hofthür her.

"Machen Sie sich aus dem Staube, liebster Frei¬
herr Eisenhauch, verschwinden Sie, schnell, schnell, ehe
ein Spion Sie erblickt. Gott sei Dank, mir gelang
wenigstens eins: das Pulver ist aus Berlin, ehe er
eintrifft. Er wittert überall Verschwörungen, Empö¬
rungen, Herr Gott, er hätte in Zorn gerathen können --"

"Ueber die Creatur, die er zum Mann schuf, und
sie ward ein Wurm!" rief die Stimme und der alte
Rittgarten hob seinen Stock. Es war ein erschrecken¬
der Anblick, der Greis, der sichtlich auf den Füßen
schwankte, seine Brust bebend, sein Gesicht vom Blut¬
andrang geröthet, aber weiße, verrätherische Streifen
zogen sich von der Nasenwurzel bis an die Mund¬
winkel. Seine Stimme polterte, aber die Laute wa¬
ren nicht mehr articulirt. Man konnte auf einen
Schlaganfall aus Gemüthserschütterung schließen.
Und den Stock in der Luft schwingend, drohte er das
Gleichgewicht zu verlieren. Eisenhauch hatte ihn
rasch unterfaßt. Mit äußerster Anstrengung stieß der

23*

doch ausreichend, um die Hauptſtadt vor dem erſten
Anprall zu ſchützen, die zerſprengten und flüchtigen
Truppen aufzunehmen, in Cadres zu ſammeln —
als der Miniſter mit Entſetzen ihn unterbrach:

„Sind ſie raſend! In ein brennend Haus ſich
ſtürzen! Wir — wir werben nicht, was neue Sol¬
daten — ſollen wir noch den Kaiſer reizen! Wir
können Gott danken —“

„Wenn wir unſer elendes Leben ſalviren,“ rief
eine Stimme von der Hofthür her.

„Machen Sie ſich aus dem Staube, liebſter Frei¬
herr Eiſenhauch, verſchwinden Sie, ſchnell, ſchnell, ehe
ein Spion Sie erblickt. Gott ſei Dank, mir gelang
wenigſtens eins: das Pulver iſt aus Berlin, ehe er
eintrifft. Er wittert überall Verſchwörungen, Empö¬
rungen, Herr Gott, er hätte in Zorn gerathen können —“

„Ueber die Creatur, die er zum Mann ſchuf, und
ſie ward ein Wurm!“ rief die Stimme und der alte
Rittgarten hob ſeinen Stock. Es war ein erſchrecken¬
der Anblick, der Greis, der ſichtlich auf den Füßen
ſchwankte, ſeine Bruſt bebend, ſein Geſicht vom Blut¬
andrang geröthet, aber weiße, verrätheriſche Streifen
zogen ſich von der Naſenwurzel bis an die Mund¬
winkel. Seine Stimme polterte, aber die Laute wa¬
ren nicht mehr articulirt. Man konnte auf einen
Schlaganfall aus Gemüthserſchütterung ſchließen.
Und den Stock in der Luft ſchwingend, drohte er das
Gleichgewicht zu verlieren. Eiſenhauch hatte ihn
raſch unterfaßt. Mit äußerſter Anſtrengung ſtieß der

23*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0365" n="355"/>
doch ausreichend, um die Haupt&#x017F;tadt vor dem er&#x017F;ten<lb/>
Anprall zu &#x017F;chützen, die zer&#x017F;prengten und flüchtigen<lb/>
Truppen aufzunehmen, in Cadres zu &#x017F;ammeln &#x2014;<lb/>
als der Mini&#x017F;ter mit Ent&#x017F;etzen ihn unterbrach:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sind &#x017F;ie ra&#x017F;end! In ein brennend Haus &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;türzen! Wir &#x2014; wir werben nicht, was neue Sol¬<lb/>
daten &#x2014; &#x017F;ollen wir noch den Kai&#x017F;er reizen! Wir<lb/>
können Gott danken &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenn wir un&#x017F;er elendes Leben &#x017F;alviren,&#x201C; rief<lb/>
eine Stimme von der Hofthür her.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Machen Sie &#x017F;ich aus dem Staube, lieb&#x017F;ter Frei¬<lb/>
herr Ei&#x017F;enhauch, ver&#x017F;chwinden Sie, &#x017F;chnell, &#x017F;chnell, ehe<lb/>
ein Spion Sie erblickt. Gott &#x017F;ei Dank, mir gelang<lb/>
wenig&#x017F;tens eins: das Pulver i&#x017F;t aus Berlin, ehe er<lb/>
eintrifft. Er wittert überall Ver&#x017F;chwörungen, Empö¬<lb/>
rungen, Herr Gott, er hätte in Zorn gerathen können &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ueber die Creatur, die er zum Mann &#x017F;chuf, und<lb/>
&#x017F;ie ward ein Wurm!&#x201C; rief die Stimme und der alte<lb/>
Rittgarten hob &#x017F;einen Stock. Es war ein er&#x017F;chrecken¬<lb/>
der Anblick, der Greis, der &#x017F;ichtlich auf den Füßen<lb/>
&#x017F;chwankte, &#x017F;eine Bru&#x017F;t bebend, &#x017F;ein Ge&#x017F;icht vom Blut¬<lb/>
andrang geröthet, aber weiße, verrätheri&#x017F;che Streifen<lb/>
zogen &#x017F;ich von der Na&#x017F;enwurzel bis an die Mund¬<lb/>
winkel. Seine Stimme polterte, aber die Laute wa¬<lb/>
ren nicht mehr articulirt. Man konnte auf einen<lb/>
Schlaganfall aus Gemüthser&#x017F;chütterung &#x017F;chließen.<lb/>
Und den Stock in der Luft &#x017F;chwingend, drohte er das<lb/>
Gleichgewicht zu verlieren. Ei&#x017F;enhauch hatte ihn<lb/>
ra&#x017F;ch unterfaßt. Mit äußer&#x017F;ter An&#x017F;trengung &#x017F;tieß der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">23*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[355/0365] doch ausreichend, um die Hauptſtadt vor dem erſten Anprall zu ſchützen, die zerſprengten und flüchtigen Truppen aufzunehmen, in Cadres zu ſammeln — als der Miniſter mit Entſetzen ihn unterbrach: „Sind ſie raſend! In ein brennend Haus ſich ſtürzen! Wir — wir werben nicht, was neue Sol¬ daten — ſollen wir noch den Kaiſer reizen! Wir können Gott danken —“ „Wenn wir unſer elendes Leben ſalviren,“ rief eine Stimme von der Hofthür her. „Machen Sie ſich aus dem Staube, liebſter Frei¬ herr Eiſenhauch, verſchwinden Sie, ſchnell, ſchnell, ehe ein Spion Sie erblickt. Gott ſei Dank, mir gelang wenigſtens eins: das Pulver iſt aus Berlin, ehe er eintrifft. Er wittert überall Verſchwörungen, Empö¬ rungen, Herr Gott, er hätte in Zorn gerathen können —“ „Ueber die Creatur, die er zum Mann ſchuf, und ſie ward ein Wurm!“ rief die Stimme und der alte Rittgarten hob ſeinen Stock. Es war ein erſchrecken¬ der Anblick, der Greis, der ſichtlich auf den Füßen ſchwankte, ſeine Bruſt bebend, ſein Geſicht vom Blut¬ andrang geröthet, aber weiße, verrätheriſche Streifen zogen ſich von der Naſenwurzel bis an die Mund¬ winkel. Seine Stimme polterte, aber die Laute wa¬ ren nicht mehr articulirt. Man konnte auf einen Schlaganfall aus Gemüthserſchütterung ſchließen. Und den Stock in der Luft ſchwingend, drohte er das Gleichgewicht zu verlieren. Eiſenhauch hatte ihn raſch unterfaßt. Mit äußerſter Anſtrengung ſtieß der 23*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/365
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/365>, abgerufen am 15.08.2024.