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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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Sollen Wagen und Proviant hinaus, die Flüchtlinge
einzuholen. Soll ihnen ein Lager abgesteckt werden?
Soll junge Mannschaft geworben werden? Sollen
wir Pulver holen, Kugeln gießen, abkochen für die
Ankömmlinge? Alles das weiß der Bürger nicht,
Excellenz, aber er hat ein Recht, von denen es zu
erfahren, die der König zurückließ an seiner Statt.
Die müssen es wissen, die uns vorangehen. Und die
und wir Alle haben die Verpflichtung, uns so zu
zeigen, daß der Feind erfährt, er hat eine Stadt von
Männern vor sich, nicht von Memmen."

Gewirkt hätte die Rede, wenn nicht zwei Um¬
stände die Wirkung paralysirten. Von draußen schrie
es: "Die Königin! die Königin flieht aus Berlin!"
-- "Die Königin redet zu den Bürgern!" Darauf
eilten die Entschlossensten nach dem Palais. Vielleicht
war dort Rath und Hülfe. Im hintern Hofe aber
hatten Andere einen Reisewagen umgestürzt. Wo
mischt sich nicht schlechtes Gesindel hinein, wenn der
Patriotismus aufbraust! "Sie plündern! Herr Major,
hindern Sie's! Man weiß nicht, was draus wird!
-- Es sind Soldaten bei." Es bedurfte für den
Officier kaum der Aufforderung.

Die Excellenz ließ ihren Wagen im Stich, sie
hatte eine höhere Aufgabe, das Terrain war günstiger,
die Haufen gelichtet, er glaubte geneigtere Gesichter zu
sehen. Er war auf die letzte Stufe in ihren Kreis getreten:

"Mitbürger! Theuerste Freunde! Der Augenblick
ist entsetzlich, aber lassen Sie sich von unruhigen

Sollen Wagen und Proviant hinaus, die Flüchtlinge
einzuholen. Soll ihnen ein Lager abgeſteckt werden?
Soll junge Mannſchaft geworben werden? Sollen
wir Pulver holen, Kugeln gießen, abkochen für die
Ankömmlinge? Alles das weiß der Bürger nicht,
Excellenz, aber er hat ein Recht, von denen es zu
erfahren, die der König zurückließ an ſeiner Statt.
Die müſſen es wiſſen, die uns vorangehen. Und die
und wir Alle haben die Verpflichtung, uns ſo zu
zeigen, daß der Feind erfährt, er hat eine Stadt von
Männern vor ſich, nicht von Memmen.“

Gewirkt hätte die Rede, wenn nicht zwei Um¬
ſtände die Wirkung paralyſirten. Von draußen ſchrie
es: „Die Königin! die Königin flieht aus Berlin!“
— „Die Königin redet zu den Bürgern!“ Darauf
eilten die Entſchloſſenſten nach dem Palais. Vielleicht
war dort Rath und Hülfe. Im hintern Hofe aber
hatten Andere einen Reiſewagen umgeſtürzt. Wo
miſcht ſich nicht ſchlechtes Geſindel hinein, wenn der
Patriotismus aufbrauſt! „Sie plündern! Herr Major,
hindern Sie's! Man weiß nicht, was draus wird!
— Es ſind Soldaten bei.“ Es bedurfte für den
Officier kaum der Aufforderung.

Die Excellenz ließ ihren Wagen im Stich, ſie
hatte eine höhere Aufgabe, das Terrain war günſtiger,
die Haufen gelichtet, er glaubte geneigtere Geſichter zu
ſehen. Er war auf die letzte Stufe in ihren Kreis getreten:

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[350/0360] Sollen Wagen und Proviant hinaus, die Flüchtlinge einzuholen. Soll ihnen ein Lager abgeſteckt werden? Soll junge Mannſchaft geworben werden? Sollen wir Pulver holen, Kugeln gießen, abkochen für die Ankömmlinge? Alles das weiß der Bürger nicht, Excellenz, aber er hat ein Recht, von denen es zu erfahren, die der König zurückließ an ſeiner Statt. Die müſſen es wiſſen, die uns vorangehen. Und die und wir Alle haben die Verpflichtung, uns ſo zu zeigen, daß der Feind erfährt, er hat eine Stadt von Männern vor ſich, nicht von Memmen.“ Gewirkt hätte die Rede, wenn nicht zwei Um¬ ſtände die Wirkung paralyſirten. Von draußen ſchrie es: „Die Königin! die Königin flieht aus Berlin!“ — „Die Königin redet zu den Bürgern!“ Darauf eilten die Entſchloſſenſten nach dem Palais. Vielleicht war dort Rath und Hülfe. Im hintern Hofe aber hatten Andere einen Reiſewagen umgeſtürzt. Wo miſcht ſich nicht ſchlechtes Geſindel hinein, wenn der Patriotismus aufbrauſt! „Sie plündern! Herr Major, hindern Sie's! Man weiß nicht, was draus wird! — Es ſind Soldaten bei.“ Es bedurfte für den Officier kaum der Aufforderung. Die Excellenz ließ ihren Wagen im Stich, ſie hatte eine höhere Aufgabe, das Terrain war günſtiger, die Haufen gelichtet, er glaubte geneigtere Geſichter zu ſehen. Er war auf die letzte Stufe in ihren Kreis getreten: „Mitbürger! Theuerſte Freunde! Der Augenblick iſt entſetzlich, aber laſſen Sie ſich von unruhigen

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/360>, abgerufen am 23.11.2024.