Wandel stand am Fenster. Lärm, Unruhe, Hin- und Hergelaufe, kernige Fluchworte, dazwischen ein Geschrei, das hier in Heulen überging. Ein Reiter sprengte auf der Straße vorüber:
"Das ist der Rittmeister Dorville. Ich fürchte, er bringt Uebles vom Schlachtfelde."
Eine Stimme rief zum Fenster hinauf: "Ver¬ loren! Es ist Alles verloren." Was eine Stimme, was Stimmen! Es war Alles in der Stadt nur eine, und das war ein entsetzlicher Wehruf. Wohl denen, die ihn laut machen konnten; der stumme Schmerz ist der tiefere. Er sprengt nicht immer die Brust, aber er stopft die Adern, er wirkt einen Nieder¬ schlag, der alle Functionen der Glieder lähmt. Das Herz, das so muthig noch eben schlug, scheint still zu stehen, die Gedanken, die gradaus schossen, zittern und verirren. Es war kein lauter Aufschrei in der Stadt; kein Todeshieb, der eine Wunde geöffnet, aus der das Herzblut mit einem Mal ausströmt; es war eine Quetschung, ein Niederschlag. Ein Uhrwerk war's, dessen Räder noch gingen, aber keines griff in's andere.
Die stürzten aus den Häusern, um draußen Nachricht einzuziehen, aus dem Sprachgewirr, den Gesichtern, der Luft. Die drangen in die Häuser, um sie von denen zu erhalten, welche darum wissen mu߬ ten. Die fragten mit scheuem Entsetzen: Was ist mit uns? Die drangen: Was sollen wir thun? -- Ach, es wußte Niemand, was er thun sollte, die am wenigsten, die es wissen sollten!
Wandel ſtand am Fenſter. Lärm, Unruhe, Hin- und Hergelaufe, kernige Fluchworte, dazwiſchen ein Geſchrei, das hier in Heulen überging. Ein Reiter ſprengte auf der Straße vorüber:
„Das iſt der Rittmeiſter Dorville. Ich fürchte, er bringt Uebles vom Schlachtfelde.“
Eine Stimme rief zum Fenſter hinauf: „Ver¬ loren! Es iſt Alles verloren.“ Was eine Stimme, was Stimmen! Es war Alles in der Stadt nur eine, und das war ein entſetzlicher Wehruf. Wohl denen, die ihn laut machen konnten; der ſtumme Schmerz iſt der tiefere. Er ſprengt nicht immer die Bruſt, aber er ſtopft die Adern, er wirkt einen Nieder¬ ſchlag, der alle Functionen der Glieder lähmt. Das Herz, das ſo muthig noch eben ſchlug, ſcheint ſtill zu ſtehen, die Gedanken, die gradaus ſchoſſen, zittern und verirren. Es war kein lauter Aufſchrei in der Stadt; kein Todeshieb, der eine Wunde geöffnet, aus der das Herzblut mit einem Mal ausſtrömt; es war eine Quetſchung, ein Niederſchlag. Ein Uhrwerk war's, deſſen Räder noch gingen, aber keines griff in's andere.
Die ſtürzten aus den Häuſern, um draußen Nachricht einzuziehen, aus dem Sprachgewirr, den Geſichtern, der Luft. Die drangen in die Häuſer, um ſie von denen zu erhalten, welche darum wiſſen mu߬ ten. Die fragten mit ſcheuem Entſetzen: Was iſt mit uns? Die drangen: Was ſollen wir thun? — Ach, es wußte Niemand, was er thun ſollte, die am wenigſten, die es wiſſen ſollten!
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0353"n="343"/><p>Wandel ſtand am Fenſter. Lärm, Unruhe, Hin-<lb/>
und Hergelaufe, kernige Fluchworte, dazwiſchen ein<lb/>
Geſchrei, das hier in Heulen überging. Ein Reiter<lb/>ſprengte auf der Straße vorüber:</p><lb/><p>„Das iſt der Rittmeiſter Dorville. Ich fürchte,<lb/>
er bringt Uebles vom Schlachtfelde.“</p><lb/><p>Eine Stimme rief zum Fenſter hinauf: „Ver¬<lb/>
loren! Es iſt Alles verloren.“ Was <hirendition="#g">eine</hi> Stimme,<lb/>
was Stimmen! Es war Alles in der Stadt nur eine,<lb/>
und das war ein entſetzlicher Wehruf. Wohl denen,<lb/>
die ihn laut machen konnten; der ſtumme Schmerz<lb/>
iſt der tiefere. Er ſprengt nicht immer die Bruſt,<lb/>
aber er ſtopft die Adern, er wirkt einen Nieder¬<lb/>ſchlag, der alle Functionen der Glieder lähmt. Das<lb/>
Herz, das ſo muthig noch eben ſchlug, ſcheint ſtill<lb/>
zu ſtehen, die Gedanken, die gradaus ſchoſſen, zittern<lb/>
und verirren. Es war kein lauter Aufſchrei in der<lb/>
Stadt; kein Todeshieb, der eine Wunde geöffnet, aus<lb/>
der das Herzblut mit einem Mal ausſtrömt; es war<lb/>
eine Quetſchung, ein Niederſchlag. Ein Uhrwerk war's,<lb/>
deſſen Räder noch gingen, aber keines griff in's andere.</p><lb/><p><hirendition="#g">Die</hi>ſtürzten aus den Häuſern, um draußen<lb/>
Nachricht einzuziehen, aus dem Sprachgewirr, den<lb/>
Geſichtern, der Luft. <hirendition="#g">Die</hi> drangen in die Häuſer,<lb/>
um ſie von denen zu erhalten, welche darum wiſſen mu߬<lb/>
ten. <hirendition="#g">Die</hi> fragten mit ſcheuem Entſetzen: Was iſt mit<lb/>
uns? <hirendition="#g">Die</hi> drangen: Was ſollen wir thun? — Ach, es<lb/>
wußte Niemand, was er thun ſollte, die am wenigſten,<lb/>
die es wiſſen ſollten!</p><lb/></div></body></text></TEI>
[343/0353]
Wandel ſtand am Fenſter. Lärm, Unruhe, Hin-
und Hergelaufe, kernige Fluchworte, dazwiſchen ein
Geſchrei, das hier in Heulen überging. Ein Reiter
ſprengte auf der Straße vorüber:
„Das iſt der Rittmeiſter Dorville. Ich fürchte,
er bringt Uebles vom Schlachtfelde.“
Eine Stimme rief zum Fenſter hinauf: „Ver¬
loren! Es iſt Alles verloren.“ Was eine Stimme,
was Stimmen! Es war Alles in der Stadt nur eine,
und das war ein entſetzlicher Wehruf. Wohl denen,
die ihn laut machen konnten; der ſtumme Schmerz
iſt der tiefere. Er ſprengt nicht immer die Bruſt,
aber er ſtopft die Adern, er wirkt einen Nieder¬
ſchlag, der alle Functionen der Glieder lähmt. Das
Herz, das ſo muthig noch eben ſchlug, ſcheint ſtill
zu ſtehen, die Gedanken, die gradaus ſchoſſen, zittern
und verirren. Es war kein lauter Aufſchrei in der
Stadt; kein Todeshieb, der eine Wunde geöffnet, aus
der das Herzblut mit einem Mal ausſtrömt; es war
eine Quetſchung, ein Niederſchlag. Ein Uhrwerk war's,
deſſen Räder noch gingen, aber keines griff in's andere.
Die ſtürzten aus den Häuſern, um draußen
Nachricht einzuziehen, aus dem Sprachgewirr, den
Geſichtern, der Luft. Die drangen in die Häuſer,
um ſie von denen zu erhalten, welche darum wiſſen mu߬
ten. Die fragten mit ſcheuem Entſetzen: Was iſt mit
uns? Die drangen: Was ſollen wir thun? — Ach, es
wußte Niemand, was er thun ſollte, die am wenigſten,
die es wiſſen ſollten!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/353>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.