"Sie sagen, er hätte die Thür aufgelassen. Seitdem läßt er die Thür nicht mehr auf."
"Haben Sie Verdacht gegen den alten van Asten?"
Der junge Vigilant schüttelte den Kopf: "Wenn er auch die tausend Stückfässer in Stettin auf den Buckel laden könnte, wo sollte er damit hin? Er ist ein ruinirter Mann, rein in Rothwein. Durch 'nen Pfuschmakler hat er schon unter der Hand zum hal¬ ben Preis ausgeboten. Wer will's jetzt! Gewinnen die Franzosen, so trinken die's aus und zahlen nicht, gewinnen wir, so finden Unsre über'm Rhein den Wein wohlfeiler. Vielleicht, setzte er mit schlauer Miene hinzu, soll ihm der Herr von Wandel den Medoc in was Andres verwandeln, was Käufer fin¬ det. Er ist ja ein Tausendkünstler."
"Vigiliren Sie!" schloß der Rath die Unter¬ redung.
Ja, wenn die Wände, die des Legationsraths Wohnung umschlossen, vor ihm niedergefallen wären, und er hätte einen Blick frei gehabt!
Auch der Legationsrath konnte in der Nacht nicht schlafen, auch er hörte den Kanonendonner, auch unter ihm zitterte das Bette, der Himmel leuch¬ tete, er sah die Bataillelinien hin und her schwanken und war aufgesprungen, um Herr zu werden seiner Sinne.
„Wer?“
„Der alte van Aſten.“
„Wie kam der hinein?“
„Sie ſagen, er hätte die Thür aufgelaſſen. Seitdem läßt er die Thür nicht mehr auf.“
„Haben Sie Verdacht gegen den alten van Aſten?“
Der junge Vigilant ſchüttelte den Kopf: „Wenn er auch die tauſend Stückfäſſer in Stettin auf den Buckel laden könnte, wo ſollte er damit hin? Er iſt ein ruinirter Mann, rein in Rothwein. Durch 'nen Pfuſchmakler hat er ſchon unter der Hand zum hal¬ ben Preis ausgeboten. Wer will's jetzt! Gewinnen die Franzoſen, ſo trinken die's aus und zahlen nicht, gewinnen wir, ſo finden Unſre über'm Rhein den Wein wohlfeiler. Vielleicht, ſetzte er mit ſchlauer Miene hinzu, ſoll ihm der Herr von Wandel den Medoc in was Andres verwandeln, was Käufer fin¬ det. Er iſt ja ein Tauſendkünſtler.“
„Vigiliren Sie!“ ſchloß der Rath die Unter¬ redung.
Ja, wenn die Wände, die des Legationsraths Wohnung umſchloſſen, vor ihm niedergefallen wären, und er hätte einen Blick frei gehabt!
Auch der Legationsrath konnte in der Nacht nicht ſchlafen, auch er hörte den Kanonendonner, auch unter ihm zitterte das Bette, der Himmel leuch¬ tete, er ſah die Bataillelinien hin und her ſchwanken und war aufgeſprungen, um Herr zu werden ſeiner Sinne.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0332"n="322"/><p>„Wer?“<lb/></p><p>„Der alte van Aſten.“</p><lb/><p>„Wie kam der hinein?“</p><lb/><p>„Sie ſagen, er hätte die Thür aufgelaſſen.<lb/>
Seitdem läßt er die Thür nicht mehr auf.“</p><lb/><p>„Haben Sie Verdacht gegen den alten van Aſten?“</p><lb/><p>Der junge Vigilant ſchüttelte den Kopf: „Wenn<lb/>
er auch die tauſend Stückfäſſer in Stettin auf den<lb/>
Buckel laden könnte, wo ſollte er damit hin? Er iſt<lb/>
ein ruinirter Mann, rein in Rothwein. Durch 'nen<lb/>
Pfuſchmakler hat er ſchon unter der Hand zum hal¬<lb/>
ben Preis ausgeboten. Wer will's jetzt! Gewinnen<lb/>
die Franzoſen, ſo trinken die's aus und zahlen nicht,<lb/>
gewinnen wir, ſo finden Unſre über'm Rhein den<lb/>
Wein wohlfeiler. Vielleicht, ſetzte er mit ſchlauer<lb/>
Miene hinzu, ſoll ihm der Herr von Wandel den<lb/>
Medoc in was Andres verwandeln, was Käufer fin¬<lb/>
det. Er iſt ja ein Tauſendkünſtler.“</p><lb/><p>„Vigiliren Sie!“ſchloß der Rath die Unter¬<lb/>
redung.</p><lb/><p>Ja, wenn die Wände, die des Legationsraths<lb/>
Wohnung umſchloſſen, vor ihm niedergefallen wären,<lb/>
und er hätte einen Blick frei gehabt!</p><lb/><p>Auch der Legationsrath konnte in der Nacht<lb/>
nicht ſchlafen, auch er hörte den Kanonendonner,<lb/>
auch unter ihm zitterte das Bette, der Himmel leuch¬<lb/>
tete, er ſah die Bataillelinien hin und her ſchwanken<lb/>
und war aufgeſprungen, um Herr zu werden ſeiner<lb/>
Sinne.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[322/0332]
„Wer?“
„Der alte van Aſten.“
„Wie kam der hinein?“
„Sie ſagen, er hätte die Thür aufgelaſſen.
Seitdem läßt er die Thür nicht mehr auf.“
„Haben Sie Verdacht gegen den alten van Aſten?“
Der junge Vigilant ſchüttelte den Kopf: „Wenn
er auch die tauſend Stückfäſſer in Stettin auf den
Buckel laden könnte, wo ſollte er damit hin? Er iſt
ein ruinirter Mann, rein in Rothwein. Durch 'nen
Pfuſchmakler hat er ſchon unter der Hand zum hal¬
ben Preis ausgeboten. Wer will's jetzt! Gewinnen
die Franzoſen, ſo trinken die's aus und zahlen nicht,
gewinnen wir, ſo finden Unſre über'm Rhein den
Wein wohlfeiler. Vielleicht, ſetzte er mit ſchlauer
Miene hinzu, ſoll ihm der Herr von Wandel den
Medoc in was Andres verwandeln, was Käufer fin¬
det. Er iſt ja ein Tauſendkünſtler.“
„Vigiliren Sie!“ ſchloß der Rath die Unter¬
redung.
Ja, wenn die Wände, die des Legationsraths
Wohnung umſchloſſen, vor ihm niedergefallen wären,
und er hätte einen Blick frei gehabt!
Auch der Legationsrath konnte in der Nacht
nicht ſchlafen, auch er hörte den Kanonendonner,
auch unter ihm zitterte das Bette, der Himmel leuch¬
tete, er ſah die Bataillelinien hin und her ſchwanken
und war aufgeſprungen, um Herr zu werden ſeiner
Sinne.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/332>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.