ich in der der Gefängnisse. Es ist eigentlich derselbe Stempel, nur ursprünglicher, frischer. Das Schillersche Weltgericht finde ich hier viel conciser, concreter. Die Kreise eines Verbrechers, klein fangen sie an, um rasch größer zu werden, bis er noch schneller seine Katastrophe erreicht; dann verengen sie sich wieder, immer rascher, bis sie zur Schlinge werden. Dort sehen wir nur Stückwerk, hier Totalitäten."
"Aber nichts, was das Gefühl erhebt."
"Wie aus dem unscheinbaren Keim eine ganze Verbrecherlaufbahn entspringt, wie die erste Unter¬ lassungssünde, die Scham darüber, das Streben, es zu verbergen, eben so oft, als der Kitzel der Lust das Individuum weiter treibt, gäbe das keine An¬ schauungen, Belehrung, ja Erhebung? Da! in der großen Geschichte vertuscht man es, wie aus dem Kleinen das Ungeheure sich ballt, hier ist kein Grund dazu, die Diplomaten und Historiker fehlen, die das Schlechte schön malen, dem Albernen einen tiefen Sinn unterlegen. Die Natur giebt sich, wie sie ist, und versucht's ein Verbrecher, durch Lügen sich einen bessern Schein zu geben, so braucht man ihn nur fortlügen zu lassen, er verstrickt sich mit jedem Worte tiefer, unlösbarer, und die Wahrheit fällt wie der reife Apfel vom Baume. Und wenn mitten aus der Verworfenheit ein schöner menschlicher Zug, wie ein Licht aus bessern Welten, vorschießt, da kann dem Criminalisten eine Thräne in's Auge treten, und er kann den Verbrecher lieben, den er verdammen muß.
ich in der der Gefängniſſe. Es iſt eigentlich derſelbe Stempel, nur urſprünglicher, friſcher. Das Schillerſche Weltgericht finde ich hier viel conciſer, concreter. Die Kreiſe eines Verbrechers, klein fangen ſie an, um raſch größer zu werden, bis er noch ſchneller ſeine Kataſtrophe erreicht; dann verengen ſie ſich wieder, immer raſcher, bis ſie zur Schlinge werden. Dort ſehen wir nur Stückwerk, hier Totalitäten.“
„Aber nichts, was das Gefühl erhebt.“
„Wie aus dem unſcheinbaren Keim eine ganze Verbrecherlaufbahn entſpringt, wie die erſte Unter¬ laſſungsſünde, die Scham darüber, das Streben, es zu verbergen, eben ſo oft, als der Kitzel der Luſt das Individuum weiter treibt, gäbe das keine An¬ ſchauungen, Belehrung, ja Erhebung? Da! in der großen Geſchichte vertuſcht man es, wie aus dem Kleinen das Ungeheure ſich ballt, hier iſt kein Grund dazu, die Diplomaten und Hiſtoriker fehlen, die das Schlechte ſchön malen, dem Albernen einen tiefen Sinn unterlegen. Die Natur giebt ſich, wie ſie iſt, und verſucht's ein Verbrecher, durch Lügen ſich einen beſſern Schein zu geben, ſo braucht man ihn nur fortlügen zu laſſen, er verſtrickt ſich mit jedem Worte tiefer, unlösbarer, und die Wahrheit fällt wie der reife Apfel vom Baume. Und wenn mitten aus der Verworfenheit ein ſchöner menſchlicher Zug, wie ein Licht aus beſſern Welten, vorſchießt, da kann dem Criminaliſten eine Thräne in's Auge treten, und er kann den Verbrecher lieben, den er verdammen muß.
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ich in der der Gefängniſſe. Es iſt eigentlich derſelbe
Stempel, nur urſprünglicher, friſcher. Das Schillerſche
Weltgericht finde ich hier viel conciſer, concreter. Die
Kreiſe eines Verbrechers, klein fangen ſie an, um
raſch größer zu werden, bis er noch ſchneller ſeine
Kataſtrophe erreicht; dann verengen ſie ſich wieder,
immer raſcher, bis ſie zur Schlinge werden. Dort
ſehen wir nur Stückwerk, hier Totalitäten.“
„Aber nichts, was das Gefühl erhebt.“
„Wie aus dem unſcheinbaren Keim eine ganze
Verbrecherlaufbahn entſpringt, wie die erſte Unter¬
laſſungsſünde, die Scham darüber, das Streben, es
zu verbergen, eben ſo oft, als der Kitzel der Luſt
das Individuum weiter treibt, gäbe das keine An¬
ſchauungen, Belehrung, ja Erhebung? Da! in der
großen Geſchichte vertuſcht man es, wie aus dem
Kleinen das Ungeheure ſich ballt, hier iſt kein Grund
dazu, die Diplomaten und Hiſtoriker fehlen, die das
Schlechte ſchön malen, dem Albernen einen tiefen
Sinn unterlegen. Die Natur giebt ſich, wie ſie iſt,
und verſucht's ein Verbrecher, durch Lügen ſich einen
beſſern Schein zu geben, ſo braucht man ihn nur
fortlügen zu laſſen, er verſtrickt ſich mit jedem Worte
tiefer, unlösbarer, und die Wahrheit fällt wie der
reife Apfel vom Baume. Und wenn mitten aus der
Verworfenheit ein ſchöner menſchlicher Zug, wie ein
Licht aus beſſern Welten, vorſchießt, da kann dem
Criminaliſten eine Thräne in's Auge treten, und er
kann den Verbrecher lieben, den er verdammen muß.
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/32>, abgerufen am 27.11.2024.
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