dem Fenster mit den Stallmeistern und den beglei¬ tenden Officieren sprach. "Die Gefahr ist vorüber!" sagte sie, den Kopf zurückziehend. "Er stirbt!" rief Adelheid mit einer ohnmächtigen Bewegung, sich auf¬ zurichten. Dann ward sie still und blickte ruhig vor sich hin. Wer Zeit und Sinn dafür gehabt, sie zu beobachten, würde jetzt ein Lächeln auf ihrem Gesicht erblickt haben.
Wer hatte Sinn dafür, wer Zeit! Der Wa¬ gen schien sich nicht fortzubewegen: alles Peitschen und Fluchen war vergebens bei den müden Thieren. Endlich stürzten sie; es war aber am Eingang in's Dorf. Gefahr war nicht mehr, denn von der preu¬ ßischen Avantgarde war das Dorf schon besetzt. Rü¬ chel hatte einen Adjutanten der Königin nachgesandt, dessen Meldung mit der des Reiters übereinstimmte, sie müsse in Eil nach Weimar zurück, von dort seien Relais und Escorte nach Sondershausen und dem Harze für sie bereit. Aber noch fehlten die Pferde, auch am Wagen war etwas zu bessern.
Die Königin ging in's Dorf zurück. Sie sprach lebhaft mit den Officieren. Sie schien in raschen, scharfen Fragen den Sinn jeder Falte auf ihrem Ge¬ sicht entdecken zu wollen. Adelheid wankte allein. Er kam noch nicht. Sie wagte nicht zu fragen; sie stand, ohne zu wissen wie und warum, auf dem Kirchhof. Ein angelehntes Hinterpförtchen führte in die Kirche; eine einfache gothische Landkirche von Steinquadern, mit einer Balkendecke. Und doch hatten
dem Fenſter mit den Stallmeiſtern und den beglei¬ tenden Officieren ſprach. „Die Gefahr iſt vorüber!“ ſagte ſie, den Kopf zurückziehend. „Er ſtirbt!“ rief Adelheid mit einer ohnmächtigen Bewegung, ſich auf¬ zurichten. Dann ward ſie ſtill und blickte ruhig vor ſich hin. Wer Zeit und Sinn dafür gehabt, ſie zu beobachten, würde jetzt ein Lächeln auf ihrem Geſicht erblickt haben.
Wer hatte Sinn dafür, wer Zeit! Der Wa¬ gen ſchien ſich nicht fortzubewegen: alles Peitſchen und Fluchen war vergebens bei den müden Thieren. Endlich ſtürzten ſie; es war aber am Eingang in's Dorf. Gefahr war nicht mehr, denn von der preu¬ ßiſchen Avantgarde war das Dorf ſchon beſetzt. Rü¬ chel hatte einen Adjutanten der Königin nachgeſandt, deſſen Meldung mit der des Reiters übereinſtimmte, ſie müſſe in Eil nach Weimar zurück, von dort ſeien Relais und Escorte nach Sondershauſen und dem Harze für ſie bereit. Aber noch fehlten die Pferde, auch am Wagen war etwas zu beſſern.
Die Königin ging in's Dorf zurück. Sie ſprach lebhaft mit den Officieren. Sie ſchien in raſchen, ſcharfen Fragen den Sinn jeder Falte auf ihrem Ge¬ ſicht entdecken zu wollen. Adelheid wankte allein. Er kam noch nicht. Sie wagte nicht zu fragen; ſie ſtand, ohne zu wiſſen wie und warum, auf dem Kirchhof. Ein angelehntes Hinterpförtchen führte in die Kirche; eine einfache gothiſche Landkirche von Steinquadern, mit einer Balkendecke. Und doch hatten
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0316"n="306"/>
dem Fenſter mit den Stallmeiſtern und den beglei¬<lb/>
tenden Officieren ſprach. „<hirendition="#g">Die</hi> Gefahr iſt vorüber!“<lb/>ſagte ſie, den Kopf zurückziehend. „Er ſtirbt!“ rief<lb/>
Adelheid mit einer ohnmächtigen Bewegung, ſich auf¬<lb/>
zurichten. Dann ward ſie ſtill und blickte ruhig vor<lb/>ſich hin. Wer Zeit und Sinn dafür gehabt, ſie zu<lb/>
beobachten, würde jetzt ein Lächeln auf ihrem Geſicht<lb/>
erblickt haben.</p><lb/><p>Wer hatte Sinn dafür, wer Zeit! Der Wa¬<lb/>
gen ſchien ſich nicht fortzubewegen: alles Peitſchen<lb/>
und Fluchen war vergebens bei den müden Thieren.<lb/>
Endlich ſtürzten ſie; es war aber am Eingang in's<lb/>
Dorf. Gefahr war nicht mehr, denn von der preu¬<lb/>
ßiſchen Avantgarde war das Dorf ſchon beſetzt. Rü¬<lb/>
chel hatte einen Adjutanten der Königin nachgeſandt,<lb/>
deſſen Meldung mit der des Reiters übereinſtimmte, ſie<lb/>
müſſe in Eil nach Weimar zurück, von dort ſeien<lb/>
Relais und Escorte nach Sondershauſen und dem<lb/>
Harze für ſie bereit. Aber noch fehlten die Pferde,<lb/>
auch am Wagen war etwas zu beſſern.</p><lb/><p>Die Königin ging in's Dorf zurück. Sie ſprach<lb/>
lebhaft mit den Officieren. Sie ſchien in raſchen,<lb/>ſcharfen Fragen den Sinn jeder Falte auf ihrem Ge¬<lb/>ſicht entdecken zu wollen. Adelheid wankte allein.<lb/>
Er kam noch nicht. Sie wagte nicht zu fragen; ſie<lb/>ſtand, ohne zu wiſſen wie und warum, auf dem<lb/>
Kirchhof. Ein angelehntes Hinterpförtchen führte in<lb/>
die Kirche; eine einfache gothiſche Landkirche von<lb/>
Steinquadern, mit einer Balkendecke. Und doch hatten<lb/></p></div></body></text></TEI>
[306/0316]
dem Fenſter mit den Stallmeiſtern und den beglei¬
tenden Officieren ſprach. „Die Gefahr iſt vorüber!“
ſagte ſie, den Kopf zurückziehend. „Er ſtirbt!“ rief
Adelheid mit einer ohnmächtigen Bewegung, ſich auf¬
zurichten. Dann ward ſie ſtill und blickte ruhig vor
ſich hin. Wer Zeit und Sinn dafür gehabt, ſie zu
beobachten, würde jetzt ein Lächeln auf ihrem Geſicht
erblickt haben.
Wer hatte Sinn dafür, wer Zeit! Der Wa¬
gen ſchien ſich nicht fortzubewegen: alles Peitſchen
und Fluchen war vergebens bei den müden Thieren.
Endlich ſtürzten ſie; es war aber am Eingang in's
Dorf. Gefahr war nicht mehr, denn von der preu¬
ßiſchen Avantgarde war das Dorf ſchon beſetzt. Rü¬
chel hatte einen Adjutanten der Königin nachgeſandt,
deſſen Meldung mit der des Reiters übereinſtimmte, ſie
müſſe in Eil nach Weimar zurück, von dort ſeien
Relais und Escorte nach Sondershauſen und dem
Harze für ſie bereit. Aber noch fehlten die Pferde,
auch am Wagen war etwas zu beſſern.
Die Königin ging in's Dorf zurück. Sie ſprach
lebhaft mit den Officieren. Sie ſchien in raſchen,
ſcharfen Fragen den Sinn jeder Falte auf ihrem Ge¬
ſicht entdecken zu wollen. Adelheid wankte allein.
Er kam noch nicht. Sie wagte nicht zu fragen; ſie
ſtand, ohne zu wiſſen wie und warum, auf dem
Kirchhof. Ein angelehntes Hinterpförtchen führte in
die Kirche; eine einfache gothiſche Landkirche von
Steinquadern, mit einer Balkendecke. Und doch hatten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/316>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.