Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Spion oder der Gefangene sank auch jetzt
nicht auf die Knie, er zitterte nicht, er ertrug den
kaiserlichen Blick, fest, ruhig. Vier Augen, die sich
begegneten, ohne zu zücken.

"Ihre Generale lassen die Spione hängen, ich
lasse sie laufen."

Der Gefangene stürzte dem Großmüthigen nicht
zu Füßen, er umfaßte nicht seine Knie, er küßte nicht
seine Füße. Der Angriff war fehlgeschlagen. Son¬
derbar, und doch stimmten Beide in ihren Empfin¬
dungen. Als der Kaiser jetzt wieder mit dem Tubus
an's Fenster trat, glaubte der Adjutant ein Lächeln
über seine Lippen schweben zu sehen. Auch über Bo¬
villards Gesicht flog unwillkürlich eine Bewegung,
die man so hätte deuten können.

Wieder stand im Vorübergehen, wie zufällig,
der Imperator vor dem Gefangenen still:

"Ihr König hat Krieg gegen mich angefangen;
ich weiß nicht, warum."

"Ich gehöre nicht zu den Vertrauten Seiner
Majestät, meines gnädigsten Königs, auch nicht zu
seinen Räthen," entgegnete Bovillard.

"Meine Räthe haben mir ein gedrucktes Papier
aus Erfurt gezeigt. Da steht lauter Unsinn drin.
Ich kann nicht glauben, daß der König von Preußen
darum weiß."

Der Gefangene schwieg. Der Kaiser winkte
einigen Generalen und gab ihnen leise Befehle. Es
lichtete sich vor der Hütte.

Der Spion oder der Gefangene ſank auch jetzt
nicht auf die Knie, er zitterte nicht, er ertrug den
kaiſerlichen Blick, feſt, ruhig. Vier Augen, die ſich
begegneten, ohne zu zücken.

„Ihre Generale laſſen die Spione hängen, ich
laſſe ſie laufen.“

Der Gefangene ſtürzte dem Großmüthigen nicht
zu Füßen, er umfaßte nicht ſeine Knie, er küßte nicht
ſeine Füße. Der Angriff war fehlgeſchlagen. Son¬
derbar, und doch ſtimmten Beide in ihren Empfin¬
dungen. Als der Kaiſer jetzt wieder mit dem Tubus
an's Fenſter trat, glaubte der Adjutant ein Lächeln
über ſeine Lippen ſchweben zu ſehen. Auch über Bo¬
villards Geſicht flog unwillkürlich eine Bewegung,
die man ſo hätte deuten können.

Wieder ſtand im Vorübergehen, wie zufällig,
der Imperator vor dem Gefangenen ſtill:

„Ihr König hat Krieg gegen mich angefangen;
ich weiß nicht, warum.“

„Ich gehöre nicht zu den Vertrauten Seiner
Majeſtät, meines gnädigſten Königs, auch nicht zu
ſeinen Räthen,“ entgegnete Bovillard.

„Meine Räthe haben mir ein gedrucktes Papier
aus Erfurt gezeigt. Da ſteht lauter Unſinn drin.
Ich kann nicht glauben, daß der König von Preußen
darum weiß.“

Der Gefangene ſchwieg. Der Kaiſer winkte
einigen Generalen und gab ihnen leiſe Befehle. Es
lichtete ſich vor der Hütte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0297" n="287"/>
        <p>Der Spion oder der Gefangene &#x017F;ank auch jetzt<lb/>
nicht auf die Knie, er zitterte nicht, er ertrug den<lb/>
kai&#x017F;erlichen Blick, fe&#x017F;t, ruhig. Vier Augen, die &#x017F;ich<lb/>
begegneten, ohne zu zücken.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ihre Generale la&#x017F;&#x017F;en die Spione hängen, ich<lb/>
la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie laufen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Gefangene &#x017F;türzte dem Großmüthigen nicht<lb/>
zu Füßen, er umfaßte nicht &#x017F;eine Knie, er küßte nicht<lb/>
&#x017F;eine Füße. Der Angriff war fehlge&#x017F;chlagen. Son¬<lb/>
derbar, und doch &#x017F;timmten Beide in ihren Empfin¬<lb/>
dungen. Als der Kai&#x017F;er jetzt wieder mit dem Tubus<lb/>
an's Fen&#x017F;ter trat, glaubte der Adjutant ein Lächeln<lb/>
über &#x017F;eine Lippen &#x017F;chweben zu &#x017F;ehen. Auch über Bo¬<lb/>
villards Ge&#x017F;icht flog unwillkürlich eine Bewegung,<lb/>
die man &#x017F;o hätte deuten können.</p><lb/>
        <p>Wieder &#x017F;tand im Vorübergehen, wie zufällig,<lb/>
der Imperator vor dem Gefangenen &#x017F;till:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ihr König hat Krieg gegen mich angefangen;<lb/>
ich weiß nicht, warum.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich gehöre nicht zu den Vertrauten Seiner<lb/>
Maje&#x017F;tät, meines gnädig&#x017F;ten Königs, auch nicht zu<lb/>
&#x017F;einen Räthen,&#x201C; entgegnete Bovillard.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Meine Räthe haben mir ein gedrucktes Papier<lb/>
aus Erfurt gezeigt. Da &#x017F;teht lauter Un&#x017F;inn drin.<lb/>
Ich kann nicht glauben, daß der König von Preußen<lb/>
darum weiß.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Gefangene &#x017F;chwieg. Der Kai&#x017F;er winkte<lb/>
einigen Generalen und gab ihnen lei&#x017F;e Befehle. Es<lb/>
lichtete &#x017F;ich vor der Hütte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0297] Der Spion oder der Gefangene ſank auch jetzt nicht auf die Knie, er zitterte nicht, er ertrug den kaiſerlichen Blick, feſt, ruhig. Vier Augen, die ſich begegneten, ohne zu zücken. „Ihre Generale laſſen die Spione hängen, ich laſſe ſie laufen.“ Der Gefangene ſtürzte dem Großmüthigen nicht zu Füßen, er umfaßte nicht ſeine Knie, er küßte nicht ſeine Füße. Der Angriff war fehlgeſchlagen. Son¬ derbar, und doch ſtimmten Beide in ihren Empfin¬ dungen. Als der Kaiſer jetzt wieder mit dem Tubus an's Fenſter trat, glaubte der Adjutant ein Lächeln über ſeine Lippen ſchweben zu ſehen. Auch über Bo¬ villards Geſicht flog unwillkürlich eine Bewegung, die man ſo hätte deuten können. Wieder ſtand im Vorübergehen, wie zufällig, der Imperator vor dem Gefangenen ſtill: „Ihr König hat Krieg gegen mich angefangen; ich weiß nicht, warum.“ „Ich gehöre nicht zu den Vertrauten Seiner Majeſtät, meines gnädigſten Königs, auch nicht zu ſeinen Räthen,“ entgegnete Bovillard. „Meine Räthe haben mir ein gedrucktes Papier aus Erfurt gezeigt. Da ſteht lauter Unſinn drin. Ich kann nicht glauben, daß der König von Preußen darum weiß.“ Der Gefangene ſchwieg. Der Kaiſer winkte einigen Generalen und gab ihnen leiſe Befehle. Es lichtete ſich vor der Hütte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/297
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/297>, abgerufen am 23.11.2024.