Der Capitain fuhr mit Franzbranntwein über die eiskalte Stirn des Verwundeten. Er erholte sich, er hatte sich wieder aufgerichtet. Die Krähen flat¬ terten, durch etwas erschreckt, schreiend in die Höhe; die Morgenluft strich durch die Wipfel des Holzes. Es war ein Bedürfniß, sich selbst Luft zu machen, als Louis mit tonloser Stimme vor sich hin sprach:
"In Rudolstadt, am Tage vor seinem Tode, hatte der Prinz an der fürstlichen Tafel gespeist. Die Familie nahm ihn beim Aufbruch mit sich in ihre Gemächer; er winkte mir im Abgehen, daß ich auf ihn warte. Dort warf er sich an's Klavier und überließ sich seinen Phantasieen. Er hat nie so schön gespielt. Ich stand allein in dem Saal, ein alter¬ thümlich Zimmer, es dunkelte. Ich lehnte mich an den Fensterpfeiler, und sah den Wolken zu, die über den Horizont strichen. Ich schloß wohl die Augen. Das waren Töne, die nicht die Finger den Tasten entlockten, die Seele wogte in düstern und schmerz¬ lich weichen Melodieen; er schüttete sein Innerstes aus. Die Prinzessinnen weinten. Wolken, nichts als Wolkengetreibe mit blutrothen Streifen. Da fuhr eine kalte Hand über meine Stirn, die Hand des Todes, und vom Druck öffneten sich meine Augen. Es gleitete an der Wand hin, ein Schein, ein Licht, wie ich es nie gesehen -- ein Roß in den Wolken, Pulverdampf, Staub. Es bäumte sich mit seinem Reiter -- ein Blitzschlag, oder ein Strahl, aus den Wolken niederzückend -- der Schädel spaltete -- die
Der Capitain fuhr mit Franzbranntwein über die eiskalte Stirn des Verwundeten. Er erholte ſich, er hatte ſich wieder aufgerichtet. Die Krähen flat¬ terten, durch etwas erſchreckt, ſchreiend in die Höhe; die Morgenluft ſtrich durch die Wipfel des Holzes. Es war ein Bedürfniß, ſich ſelbſt Luft zu machen, als Louis mit tonloſer Stimme vor ſich hin ſprach:
„In Rudolſtadt, am Tage vor ſeinem Tode, hatte der Prinz an der fürſtlichen Tafel geſpeiſt. Die Familie nahm ihn beim Aufbruch mit ſich in ihre Gemächer; er winkte mir im Abgehen, daß ich auf ihn warte. Dort warf er ſich an's Klavier und überließ ſich ſeinen Phantaſieen. Er hat nie ſo ſchön geſpielt. Ich ſtand allein in dem Saal, ein alter¬ thümlich Zimmer, es dunkelte. Ich lehnte mich an den Fenſterpfeiler, und ſah den Wolken zu, die über den Horizont ſtrichen. Ich ſchloß wohl die Augen. Das waren Töne, die nicht die Finger den Taſten entlockten, die Seele wogte in düſtern und ſchmerz¬ lich weichen Melodieen; er ſchüttete ſein Innerſtes aus. Die Prinzeſſinnen weinten. Wolken, nichts als Wolkengetreibe mit blutrothen Streifen. Da fuhr eine kalte Hand über meine Stirn, die Hand des Todes, und vom Druck öffneten ſich meine Augen. Es gleitete an der Wand hin, ein Schein, ein Licht, wie ich es nie geſehen — ein Roß in den Wolken, Pulverdampf, Staub. Es bäumte ſich mit ſeinem Reiter — ein Blitzſchlag, oder ein Strahl, aus den Wolken niederzückend — der Schädel ſpaltete — die
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0294"n="284"/><p>Der Capitain fuhr mit Franzbranntwein über<lb/>
die eiskalte Stirn des Verwundeten. Er erholte ſich,<lb/>
er hatte ſich wieder aufgerichtet. Die Krähen flat¬<lb/>
terten, durch etwas erſchreckt, ſchreiend in die Höhe;<lb/>
die Morgenluft ſtrich durch die Wipfel des Holzes.<lb/>
Es war ein Bedürfniß, ſich ſelbſt Luft zu machen,<lb/>
als Louis mit tonloſer Stimme vor ſich hin ſprach:</p><lb/><p>„In Rudolſtadt, am Tage vor ſeinem Tode,<lb/>
hatte der Prinz an der fürſtlichen Tafel geſpeiſt. Die<lb/>
Familie nahm ihn beim Aufbruch mit ſich in ihre<lb/>
Gemächer; er winkte mir im Abgehen, daß ich auf<lb/>
ihn warte. Dort warf er ſich an's Klavier und<lb/>
überließ ſich ſeinen Phantaſieen. Er hat nie ſo ſchön<lb/>
geſpielt. Ich ſtand allein in dem Saal, ein alter¬<lb/>
thümlich Zimmer, es dunkelte. Ich lehnte mich an<lb/>
den Fenſterpfeiler, und ſah den Wolken zu, die über<lb/>
den Horizont ſtrichen. Ich ſchloß wohl die Augen.<lb/>
Das waren Töne, die nicht die Finger den Taſten<lb/>
entlockten, die Seele wogte in düſtern und ſchmerz¬<lb/>
lich weichen Melodieen; er ſchüttete ſein Innerſtes<lb/>
aus. Die Prinzeſſinnen weinten. Wolken, nichts<lb/>
als Wolkengetreibe mit blutrothen Streifen. Da fuhr<lb/>
eine kalte Hand über meine Stirn, die Hand des<lb/>
Todes, und vom Druck öffneten ſich meine Augen.<lb/>
Es gleitete an der Wand hin, ein Schein, ein Licht,<lb/>
wie ich es nie geſehen — ein Roß in den Wolken,<lb/>
Pulverdampf, Staub. Es bäumte ſich mit ſeinem<lb/>
Reiter — ein Blitzſchlag, oder ein Strahl, aus den<lb/>
Wolken niederzückend — der Schädel ſpaltete — die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[284/0294]
Der Capitain fuhr mit Franzbranntwein über
die eiskalte Stirn des Verwundeten. Er erholte ſich,
er hatte ſich wieder aufgerichtet. Die Krähen flat¬
terten, durch etwas erſchreckt, ſchreiend in die Höhe;
die Morgenluft ſtrich durch die Wipfel des Holzes.
Es war ein Bedürfniß, ſich ſelbſt Luft zu machen,
als Louis mit tonloſer Stimme vor ſich hin ſprach:
„In Rudolſtadt, am Tage vor ſeinem Tode,
hatte der Prinz an der fürſtlichen Tafel geſpeiſt. Die
Familie nahm ihn beim Aufbruch mit ſich in ihre
Gemächer; er winkte mir im Abgehen, daß ich auf
ihn warte. Dort warf er ſich an's Klavier und
überließ ſich ſeinen Phantaſieen. Er hat nie ſo ſchön
geſpielt. Ich ſtand allein in dem Saal, ein alter¬
thümlich Zimmer, es dunkelte. Ich lehnte mich an
den Fenſterpfeiler, und ſah den Wolken zu, die über
den Horizont ſtrichen. Ich ſchloß wohl die Augen.
Das waren Töne, die nicht die Finger den Taſten
entlockten, die Seele wogte in düſtern und ſchmerz¬
lich weichen Melodieen; er ſchüttete ſein Innerſtes
aus. Die Prinzeſſinnen weinten. Wolken, nichts
als Wolkengetreibe mit blutrothen Streifen. Da fuhr
eine kalte Hand über meine Stirn, die Hand des
Todes, und vom Druck öffneten ſich meine Augen.
Es gleitete an der Wand hin, ein Schein, ein Licht,
wie ich es nie geſehen — ein Roß in den Wolken,
Pulverdampf, Staub. Es bäumte ſich mit ſeinem
Reiter — ein Blitzſchlag, oder ein Strahl, aus den
Wolken niederzückend — der Schädel ſpaltete — die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/294>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.