Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Sonst!"

"Sie prätendiren doch nicht, daß Napoleon
einen persönlichen Haß gegen Sie hat, daß er an
Ihrer Angst sich weiden wollte?"

"So wenig, als ich glaube, daß er den Herzog
von Enghien persönlich haßte, auch nicht den Buch¬
händler Palm."

"Sie nähren selbst einen bittern Haß gegen den
großen Mann. Das thut mir von Ihnen leid."

"Gegen den großen Mann! Nein. Es gab

Stunden, wo ich ihn bewunderte. Ja, in dieser
meiner letzten, darf ich es aussprechen, Momente,
wo ich in ihm den neuen Heiland dieser modernden
Weltordnung erblickte. Seitdem -- genug!"

"Und zweifeln Sie jetzt, daß sein Athem stark
genug ist, die langen Zeltreihen da umzublasen?"

"Die sehe ich schon am Boden liegen."

"Nun, und warum ist er Ihnen nicht mehr groß?"

"Weil er keine Größen neben sich erkennt --"

Louis verstummte. Was ein Sterbender spricht,
hat für den Anspruch auf Achtung, der selbst den
Tod vor Augen sieht.

"Besorgen Sie nicht, mich aufzubringen, Kame¬
rad; was die Deutschen denken, fängt an, uns in Frank¬
reich mehr zu interessiren, als Sie denken. Weil wir so
viel handeln, haben wir jetzt nicht Zeit zum Denken.
Sie sahen in ihm den Prometheus, warum nicht mehr?"

"Diese Sucht, alle die zu verleumden, die er
fürchtet, und selbst die, welche ihm dienten, in der

„Sonſt!“

„Sie prätendiren doch nicht, daß Napoleon
einen perſönlichen Haß gegen Sie hat, daß er an
Ihrer Angſt ſich weiden wollte?“

„So wenig, als ich glaube, daß er den Herzog
von Enghien perſönlich haßte, auch nicht den Buch¬
händler Palm.“

„Sie nähren ſelbſt einen bittern Haß gegen den
großen Mann. Das thut mir von Ihnen leid.“

„Gegen den großen Mann! Nein. Es gab

Stunden, wo ich ihn bewunderte. Ja, in dieſer
meiner letzten, darf ich es ausſprechen, Momente,
wo ich in ihm den neuen Heiland dieſer modernden
Weltordnung erblickte. Seitdem — genug!“

„Und zweifeln Sie jetzt, daß ſein Athem ſtark
genug iſt, die langen Zeltreihen da umzublaſen?“

„Die ſehe ich ſchon am Boden liegen.“

„Nun, und warum iſt er Ihnen nicht mehr groß?“

„Weil er keine Größen neben ſich erkennt —“

Louis verſtummte. Was ein Sterbender ſpricht,
hat für den Anſpruch auf Achtung, der ſelbſt den
Tod vor Augen ſieht.

„Beſorgen Sie nicht, mich aufzubringen, Kame¬
rad; was die Deutſchen denken, fängt an, uns in Frank¬
reich mehr zu intereſſiren, als Sie denken. Weil wir ſo
viel handeln, haben wir jetzt nicht Zeit zum Denken.
Sie ſahen in ihm den Prometheus, warum nicht mehr?“

„Dieſe Sucht, alle die zu verleumden, die er
fürchtet, und ſelbſt die, welche ihm dienten, in der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0290" n="280"/>
        <p>&#x201E;Son&#x017F;t!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie prätendiren doch nicht, daß Napoleon<lb/>
einen per&#x017F;önlichen Haß gegen Sie hat, daß er an<lb/>
Ihrer Ang&#x017F;t &#x017F;ich weiden wollte?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So wenig, als ich glaube, daß er den Herzog<lb/>
von Enghien per&#x017F;önlich haßte, auch nicht den Buch¬<lb/>
händler Palm.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie nähren &#x017F;elb&#x017F;t einen bittern Haß gegen den<lb/>
großen Mann. Das thut mir von Ihnen leid.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gegen den <hi rendition="#g">großen</hi> Mann! Nein. Es gab</p><lb/>
        <p>Stunden, wo ich ihn bewunderte. Ja, in die&#x017F;er<lb/>
meiner letzten, darf ich es aus&#x017F;prechen, Momente,<lb/>
wo ich in ihm den neuen Heiland die&#x017F;er modernden<lb/>
Weltordnung erblickte. Seitdem &#x2014; genug!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und zweifeln Sie jetzt, daß &#x017F;ein Athem &#x017F;tark<lb/>
genug i&#x017F;t, die langen Zeltreihen da umzubla&#x017F;en?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die &#x017F;ehe ich &#x017F;chon am Boden liegen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun, und warum i&#x017F;t er Ihnen nicht mehr groß?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weil er keine Größen neben &#x017F;ich erkennt &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>Louis ver&#x017F;tummte. Was ein Sterbender &#x017F;pricht,<lb/>
hat für den An&#x017F;pruch auf Achtung, der &#x017F;elb&#x017F;t den<lb/>
Tod vor Augen &#x017F;ieht.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Be&#x017F;orgen Sie nicht, mich aufzubringen, Kame¬<lb/>
rad; was die Deut&#x017F;chen denken, fängt an, uns in Frank¬<lb/>
reich mehr zu intere&#x017F;&#x017F;iren, als Sie denken. Weil wir &#x017F;o<lb/>
viel handeln, haben wir jetzt nicht Zeit zum Denken.<lb/>
Sie &#x017F;ahen in ihm den Prometheus, warum nicht mehr?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die&#x017F;e Sucht, alle die zu verleumden, die er<lb/>
fürchtet, und &#x017F;elb&#x017F;t die, welche ihm dienten, in der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0290] „Sonſt!“ „Sie prätendiren doch nicht, daß Napoleon einen perſönlichen Haß gegen Sie hat, daß er an Ihrer Angſt ſich weiden wollte?“ „So wenig, als ich glaube, daß er den Herzog von Enghien perſönlich haßte, auch nicht den Buch¬ händler Palm.“ „Sie nähren ſelbſt einen bittern Haß gegen den großen Mann. Das thut mir von Ihnen leid.“ „Gegen den großen Mann! Nein. Es gab Stunden, wo ich ihn bewunderte. Ja, in dieſer meiner letzten, darf ich es ausſprechen, Momente, wo ich in ihm den neuen Heiland dieſer modernden Weltordnung erblickte. Seitdem — genug!“ „Und zweifeln Sie jetzt, daß ſein Athem ſtark genug iſt, die langen Zeltreihen da umzublaſen?“ „Die ſehe ich ſchon am Boden liegen.“ „Nun, und warum iſt er Ihnen nicht mehr groß?“ „Weil er keine Größen neben ſich erkennt —“ Louis verſtummte. Was ein Sterbender ſpricht, hat für den Anſpruch auf Achtung, der ſelbſt den Tod vor Augen ſieht. „Beſorgen Sie nicht, mich aufzubringen, Kame¬ rad; was die Deutſchen denken, fängt an, uns in Frank¬ reich mehr zu intereſſiren, als Sie denken. Weil wir ſo viel handeln, haben wir jetzt nicht Zeit zum Denken. Sie ſahen in ihm den Prometheus, warum nicht mehr?“ „Dieſe Sucht, alle die zu verleumden, die er fürchtet, und ſelbſt die, welche ihm dienten, in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/290
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/290>, abgerufen am 24.11.2024.