Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Obristwachtmeister Stier von Dohleneck stieß
einen tiefen Seufzer aus, den die Cameraden zu ver¬
stehen glaubten. In Gegenwart eines höheren Officiers
müssen die Subalternen schweigen. Wenigstens ist
es nicht an ihnen, ein Gespräch anzufangen, zu len¬
ken oder andrer Meinung zu sein. So angenehm
dies für die Hochgestellten ist, hat es doch auch sein
Unangenehmes, weil sie nun genöthigt sind, immer
das Wort zu ergreifen, wenn es um sie her ver¬
stummt, und wenn der Pfingstgeist sie nicht heimge¬
sucht hat, ereignet sich auch wohl, daß sie Alltägliches
zu Tage bringen. Weil sie immer Zuhörer und immer
Zustimmung finden, und, wenn sie es wollen, immer
belacht werden müssen, glauben sie endlich, daß auch
das Alltäglichste geistreich sei, wenn es aus ihrem
Munde kommt. So hat man davon betrübende Bei¬
spiele, daß gewisse Tiraden und Banalphrasen, in
welche sie sich so verstrickt oder verliebt, daß sie die¬
selben bei jeder Gelegenheit vorbringen, ob sie passen
oder nicht, zu einem Zopf hinter ihrem Rücken wer¬
den, mit dem die nach Herzenslust spielen, bei denen
sie erstarrende Devotion voraussetzen. Es ist mit
aller Autorität ein eigen Ding. Sie geht und
braucht keine Füße, sie fliegt und braucht keine Flügel,
sie strahlt und braucht kein Licht, so lange man an
sie glaubt
; wenn man aber nicht mehr an sie glaubt,
dann sieht man sie hinken, wo sie zu fliegen meint, und
sie mag mit tausend Hohlspiegeln das Sonnenlicht
auffangen, man sieht doch nur ihre Schattenflecke.

Der Obriſtwachtmeiſter Stier von Dohleneck ſtieß
einen tiefen Seufzer aus, den die Cameraden zu ver¬
ſtehen glaubten. In Gegenwart eines höheren Officiers
müſſen die Subalternen ſchweigen. Wenigſtens iſt
es nicht an ihnen, ein Geſpräch anzufangen, zu len¬
ken oder andrer Meinung zu ſein. So angenehm
dies für die Hochgeſtellten iſt, hat es doch auch ſein
Unangenehmes, weil ſie nun genöthigt ſind, immer
das Wort zu ergreifen, wenn es um ſie her ver¬
ſtummt, und wenn der Pfingſtgeiſt ſie nicht heimge¬
ſucht hat, ereignet ſich auch wohl, daß ſie Alltägliches
zu Tage bringen. Weil ſie immer Zuhörer und immer
Zuſtimmung finden, und, wenn ſie es wollen, immer
belacht werden müſſen, glauben ſie endlich, daß auch
das Alltäglichſte geiſtreich ſei, wenn es aus ihrem
Munde kommt. So hat man davon betrübende Bei¬
ſpiele, daß gewiſſe Tiraden und Banalphraſen, in
welche ſie ſich ſo verſtrickt oder verliebt, daß ſie die¬
ſelben bei jeder Gelegenheit vorbringen, ob ſie paſſen
oder nicht, zu einem Zopf hinter ihrem Rücken wer¬
den, mit dem die nach Herzensluſt ſpielen, bei denen
ſie erſtarrende Devotion vorausſetzen. Es iſt mit
aller Autorität ein eigen Ding. Sie geht und
braucht keine Füße, ſie fliegt und braucht keine Flügel,
ſie ſtrahlt und braucht kein Licht, ſo lange man an
ſie glaubt
; wenn man aber nicht mehr an ſie glaubt,
dann ſieht man ſie hinken, wo ſie zu fliegen meint, und
ſie mag mit tauſend Hohlſpiegeln das Sonnenlicht
auffangen, man ſieht doch nur ihre Schattenflecke.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0244" n="234"/>
        <p>Der Obri&#x017F;twachtmei&#x017F;ter Stier von Dohleneck &#x017F;tieß<lb/>
einen tiefen Seufzer aus, den die Cameraden zu ver¬<lb/>
&#x017F;tehen glaubten. In Gegenwart eines höheren Officiers<lb/>&#x017F;&#x017F;en die Subalternen &#x017F;chweigen. Wenig&#x017F;tens i&#x017F;t<lb/>
es nicht an ihnen, ein Ge&#x017F;präch anzufangen, zu len¬<lb/>
ken oder andrer Meinung zu &#x017F;ein. So angenehm<lb/>
dies für die Hochge&#x017F;tellten i&#x017F;t, hat es doch auch &#x017F;ein<lb/>
Unangenehmes, weil &#x017F;ie nun genöthigt &#x017F;ind, immer<lb/>
das Wort zu ergreifen, wenn es um &#x017F;ie her ver¬<lb/>
&#x017F;tummt, und wenn der Pfing&#x017F;tgei&#x017F;t &#x017F;ie nicht heimge¬<lb/>
&#x017F;ucht hat, ereignet &#x017F;ich auch wohl, daß &#x017F;ie Alltägliches<lb/>
zu Tage bringen. Weil &#x017F;ie immer Zuhörer und immer<lb/>
Zu&#x017F;timmung finden, und, wenn &#x017F;ie es wollen, immer<lb/>
belacht werden mü&#x017F;&#x017F;en, glauben &#x017F;ie endlich, daß auch<lb/>
das Alltäglich&#x017F;te gei&#x017F;treich &#x017F;ei, wenn es aus ihrem<lb/>
Munde kommt. So hat man davon betrübende Bei¬<lb/>
&#x017F;piele, daß gewi&#x017F;&#x017F;e Tiraden und Banalphra&#x017F;en, in<lb/>
welche &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;o ver&#x017F;trickt oder verliebt, daß &#x017F;ie die¬<lb/>
&#x017F;elben bei jeder Gelegenheit vorbringen, ob &#x017F;ie pa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
oder nicht, zu einem Zopf hinter ihrem Rücken wer¬<lb/>
den, mit dem die nach Herzenslu&#x017F;t &#x017F;pielen, bei denen<lb/>
&#x017F;ie er&#x017F;tarrende Devotion voraus&#x017F;etzen. Es i&#x017F;t mit<lb/>
aller Autorität ein eigen Ding. Sie geht und<lb/>
braucht keine Füße, &#x017F;ie fliegt und braucht keine Flügel,<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;trahlt und braucht kein Licht, <hi rendition="#g">&#x017F;o lange man an<lb/>
&#x017F;ie glaubt</hi>; wenn man aber nicht mehr an &#x017F;ie glaubt,<lb/>
dann &#x017F;ieht man &#x017F;ie hinken, wo &#x017F;ie zu fliegen meint, und<lb/>
&#x017F;ie mag mit tau&#x017F;end Hohl&#x017F;piegeln das Sonnenlicht<lb/>
auffangen, man &#x017F;ieht doch nur ihre Schattenflecke.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0244] Der Obriſtwachtmeiſter Stier von Dohleneck ſtieß einen tiefen Seufzer aus, den die Cameraden zu ver¬ ſtehen glaubten. In Gegenwart eines höheren Officiers müſſen die Subalternen ſchweigen. Wenigſtens iſt es nicht an ihnen, ein Geſpräch anzufangen, zu len¬ ken oder andrer Meinung zu ſein. So angenehm dies für die Hochgeſtellten iſt, hat es doch auch ſein Unangenehmes, weil ſie nun genöthigt ſind, immer das Wort zu ergreifen, wenn es um ſie her ver¬ ſtummt, und wenn der Pfingſtgeiſt ſie nicht heimge¬ ſucht hat, ereignet ſich auch wohl, daß ſie Alltägliches zu Tage bringen. Weil ſie immer Zuhörer und immer Zuſtimmung finden, und, wenn ſie es wollen, immer belacht werden müſſen, glauben ſie endlich, daß auch das Alltäglichſte geiſtreich ſei, wenn es aus ihrem Munde kommt. So hat man davon betrübende Bei¬ ſpiele, daß gewiſſe Tiraden und Banalphraſen, in welche ſie ſich ſo verſtrickt oder verliebt, daß ſie die¬ ſelben bei jeder Gelegenheit vorbringen, ob ſie paſſen oder nicht, zu einem Zopf hinter ihrem Rücken wer¬ den, mit dem die nach Herzensluſt ſpielen, bei denen ſie erſtarrende Devotion vorausſetzen. Es iſt mit aller Autorität ein eigen Ding. Sie geht und braucht keine Füße, ſie fliegt und braucht keine Flügel, ſie ſtrahlt und braucht kein Licht, ſo lange man an ſie glaubt; wenn man aber nicht mehr an ſie glaubt, dann ſieht man ſie hinken, wo ſie zu fliegen meint, und ſie mag mit tauſend Hohlſpiegeln das Sonnenlicht auffangen, man ſieht doch nur ihre Schattenflecke.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/244
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/244>, abgerufen am 22.11.2024.