Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Ihnen könnte Gefahr drohen. -- Mich dünkt, man
glaubt Sie zu kennen --"

"Wer?"

"Ich nicht, rief mit Nachdruck die Gargazin.
Ich will nicht, mir graut, Sie kennen zu lernen.
Die Akademie will Sie nicht, aber für Gelegenheit
nach Rußland lassen Sie mich sorgen -- ich könnte
Ihnen eine Professur in Kasan verschaffen."

Er sah sie groß an: "Was ist's? Wissen Sie
etwas? Droht mir etwas? Ist's vorsorgende Liebe,
oder ward ich Ihnen lästig?"

"Ich könnte Sie hassen."

"Weil Sie mich nicht bekehren können."

"Nein, ich zittre, wenn ich Sie ansehe. Jetzt
begreif' ich's, wie die erhabene Katharina vor Ab¬
scheu und Wuth zittern konnte --"

"Wenn Lieblinge nicht fühlten, daß es ihre
Pflicht sei, vor ihr zu verschwinden, wo ihre Gunst
ausging. Allerdings ein großes Verbrechen der Un¬
dankbaren, durch ihren Anblick der Czarewna eine Er¬
innerung zu verursachen, die sie in angenehmeren Phan¬
tasieen störte. Es war eine sehr zartfühlende Fürstin.
Erlaucht, unser Verhältniß steht aber doch anders."

"Es steht nichts mehr, es fällt und bricht, wo
Alles bricht und kracht. Aber ich möchte nicht, daß
etwas vor meinen Augen zusammenbricht, wo ich
mir selbst Mühe gab, es zu bilden, als -- meine
Laune so war. Wollen Sie nach Kasan?"

Der Legationsrath verneigte sich zum Abschied:

Ihnen könnte Gefahr drohen. — Mich dünkt, man
glaubt Sie zu kennen —“

„Wer?“

„Ich nicht, rief mit Nachdruck die Gargazin.
Ich will nicht, mir graut, Sie kennen zu lernen.
Die Akademie will Sie nicht, aber für Gelegenheit
nach Rußland laſſen Sie mich ſorgen — ich könnte
Ihnen eine Profeſſur in Kaſan verſchaffen.“

Er ſah ſie groß an: „Was iſt's? Wiſſen Sie
etwas? Droht mir etwas? Iſt's vorſorgende Liebe,
oder ward ich Ihnen läſtig?“

„Ich könnte Sie haſſen.“

„Weil Sie mich nicht bekehren können.“

„Nein, ich zittre, wenn ich Sie anſehe. Jetzt
begreif' ich's, wie die erhabene Katharina vor Ab¬
ſcheu und Wuth zittern konnte —“

„Wenn Lieblinge nicht fühlten, daß es ihre
Pflicht ſei, vor ihr zu verſchwinden, wo ihre Gunſt
ausging. Allerdings ein großes Verbrechen der Un¬
dankbaren, durch ihren Anblick der Czarewna eine Er¬
innerung zu verurſachen, die ſie in angenehmeren Phan¬
taſieen ſtörte. Es war eine ſehr zartfühlende Fürſtin.
Erlaucht, unſer Verhältniß ſteht aber doch anders.“

„Es ſteht nichts mehr, es fällt und bricht, wo
Alles bricht und kracht. Aber ich möchte nicht, daß
etwas vor meinen Augen zuſammenbricht, wo ich
mir ſelbſt Mühe gab, es zu bilden, als — meine
Laune ſo war. Wollen Sie nach Kaſan?“

Der Legationsrath verneigte ſich zum Abſchied:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0193" n="183"/>
Ihnen könnte Gefahr drohen. &#x2014; Mich dünkt, man<lb/>
glaubt Sie zu kennen &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wer?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich nicht, rief mit Nachdruck die Gargazin.<lb/>
Ich will nicht, mir graut, Sie kennen zu lernen.<lb/>
Die Akademie will Sie nicht, aber für Gelegenheit<lb/>
nach Rußland la&#x017F;&#x017F;en Sie mich &#x017F;orgen &#x2014; ich könnte<lb/>
Ihnen eine Profe&#x017F;&#x017F;ur in Ka&#x017F;an ver&#x017F;chaffen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;ah &#x017F;ie groß an: &#x201E;Was i&#x017F;t's? Wi&#x017F;&#x017F;en Sie<lb/>
etwas? Droht mir etwas? I&#x017F;t's vor&#x017F;orgende Liebe,<lb/>
oder ward ich Ihnen lä&#x017F;tig?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich könnte Sie ha&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weil Sie mich nicht bekehren können.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, ich zittre, wenn ich Sie an&#x017F;ehe. Jetzt<lb/>
begreif' ich's, wie die erhabene Katharina vor Ab¬<lb/>
&#x017F;cheu und Wuth zittern konnte &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenn Lieblinge nicht fühlten, daß es ihre<lb/>
Pflicht &#x017F;ei, vor ihr zu ver&#x017F;chwinden, wo ihre Gun&#x017F;t<lb/>
ausging. Allerdings ein großes Verbrechen der Un¬<lb/>
dankbaren, durch ihren Anblick der Czarewna eine Er¬<lb/>
innerung zu verur&#x017F;achen, die &#x017F;ie in angenehmeren Phan¬<lb/>
ta&#x017F;ieen &#x017F;törte. Es war eine &#x017F;ehr zartfühlende Für&#x017F;tin.<lb/>
Erlaucht, un&#x017F;er Verhältniß &#x017F;teht aber doch anders.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es &#x017F;teht nichts mehr, es fällt und bricht, wo<lb/>
Alles bricht und kracht. Aber ich möchte nicht, daß<lb/>
etwas vor meinen Augen zu&#x017F;ammenbricht, wo ich<lb/>
mir &#x017F;elb&#x017F;t Mühe gab, es zu bilden, als &#x2014; meine<lb/>
Laune &#x017F;o war. Wollen Sie nach Ka&#x017F;an?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Legationsrath verneigte &#x017F;ich zum Ab&#x017F;chied:</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0193] Ihnen könnte Gefahr drohen. — Mich dünkt, man glaubt Sie zu kennen —“ „Wer?“ „Ich nicht, rief mit Nachdruck die Gargazin. Ich will nicht, mir graut, Sie kennen zu lernen. Die Akademie will Sie nicht, aber für Gelegenheit nach Rußland laſſen Sie mich ſorgen — ich könnte Ihnen eine Profeſſur in Kaſan verſchaffen.“ Er ſah ſie groß an: „Was iſt's? Wiſſen Sie etwas? Droht mir etwas? Iſt's vorſorgende Liebe, oder ward ich Ihnen läſtig?“ „Ich könnte Sie haſſen.“ „Weil Sie mich nicht bekehren können.“ „Nein, ich zittre, wenn ich Sie anſehe. Jetzt begreif' ich's, wie die erhabene Katharina vor Ab¬ ſcheu und Wuth zittern konnte —“ „Wenn Lieblinge nicht fühlten, daß es ihre Pflicht ſei, vor ihr zu verſchwinden, wo ihre Gunſt ausging. Allerdings ein großes Verbrechen der Un¬ dankbaren, durch ihren Anblick der Czarewna eine Er¬ innerung zu verurſachen, die ſie in angenehmeren Phan¬ taſieen ſtörte. Es war eine ſehr zartfühlende Fürſtin. Erlaucht, unſer Verhältniß ſteht aber doch anders.“ „Es ſteht nichts mehr, es fällt und bricht, wo Alles bricht und kracht. Aber ich möchte nicht, daß etwas vor meinen Augen zuſammenbricht, wo ich mir ſelbſt Mühe gab, es zu bilden, als — meine Laune ſo war. Wollen Sie nach Kaſan?“ Der Legationsrath verneigte ſich zum Abſchied:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/193
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/193>, abgerufen am 23.11.2024.