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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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"Frau Geheimräthin haben vergeben," rief ein
Spieler am Tisch.

"Excus! es flimmerte mir etwas vor den
Augen."

"Sie ward auch allgemein bedauert, fuhr Fuch¬
sius fort, ertrug aber ihr Schicksal mit wunderbarer
Fassung. Sie lebte nur dem Gedächtniß ihres Mannes
und führte mit großen Opfern Alles aus, was er
angeordnet. Man betrachtete sie als eine Art Heilige.
Da fügte es der Zufall, daß durch einen Gewitter¬
regen der an einem Abhange gelegene Kirchhof von
aller Erde losgespült und durch die Gewalt des
Wassers mehre Särge den Abhang hinunter gestürzt
wurden. Darunter war auch der, worin der selige
Friedensrichter lag. Er zerbrach, und mit Erstaunen
sah man die wohl conservirte Leiche, als wenn er
noch lebte. Von einer besondern Luft konnte es nicht
herrühren, denn die andern Leichen waren zerstört.
Man fand aber bald die untrüglichen Merkmale einer
Arsenikvergiftung. Werden Sie es glauben, wenn
ich Ihnen sage, daß sich ermittelt hat, die eigene
Frau hat ihn umgebracht."

Einem unterdrückten Schrei folgte eine lange
Stille: "Aber wie ist denn das gekommen? Warum
denn? Sie hat ihn ja so geliebt!" rief die Baronin.

Fuchsius, der mit übergebeugtem Leibe auf dem
Stuhle saß, wie wohl Erzähler thun, die für eine
lange Erzählung den gesammelten Stoff wie einen
Faden aus sich herausspinnen, und dabei nicht rechts

„Frau Geheimräthin haben vergeben,“ rief ein
Spieler am Tiſch.

„Excus! es flimmerte mir etwas vor den
Augen.“

„Sie ward auch allgemein bedauert, fuhr Fuch¬
ſius fort, ertrug aber ihr Schickſal mit wunderbarer
Faſſung. Sie lebte nur dem Gedächtniß ihres Mannes
und führte mit großen Opfern Alles aus, was er
angeordnet. Man betrachtete ſie als eine Art Heilige.
Da fügte es der Zufall, daß durch einen Gewitter¬
regen der an einem Abhange gelegene Kirchhof von
aller Erde losgeſpült und durch die Gewalt des
Waſſers mehre Särge den Abhang hinunter geſtürzt
wurden. Darunter war auch der, worin der ſelige
Friedensrichter lag. Er zerbrach, und mit Erſtaunen
ſah man die wohl conſervirte Leiche, als wenn er
noch lebte. Von einer beſondern Luft konnte es nicht
herrühren, denn die andern Leichen waren zerſtört.
Man fand aber bald die untrüglichen Merkmale einer
Arſenikvergiftung. Werden Sie es glauben, wenn
ich Ihnen ſage, daß ſich ermittelt hat, die eigene
Frau hat ihn umgebracht.“

Einem unterdrückten Schrei folgte eine lange
Stille: „Aber wie iſt denn das gekommen? Warum
denn? Sie hat ihn ja ſo geliebt!“ rief die Baronin.

Fuchſius, der mit übergebeugtem Leibe auf dem
Stuhle ſaß, wie wohl Erzähler thun, die für eine
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[156/0166] „Frau Geheimräthin haben vergeben,“ rief ein Spieler am Tiſch. „Excus! es flimmerte mir etwas vor den Augen.“ „Sie ward auch allgemein bedauert, fuhr Fuch¬ ſius fort, ertrug aber ihr Schickſal mit wunderbarer Faſſung. Sie lebte nur dem Gedächtniß ihres Mannes und führte mit großen Opfern Alles aus, was er angeordnet. Man betrachtete ſie als eine Art Heilige. Da fügte es der Zufall, daß durch einen Gewitter¬ regen der an einem Abhange gelegene Kirchhof von aller Erde losgeſpült und durch die Gewalt des Waſſers mehre Särge den Abhang hinunter geſtürzt wurden. Darunter war auch der, worin der ſelige Friedensrichter lag. Er zerbrach, und mit Erſtaunen ſah man die wohl conſervirte Leiche, als wenn er noch lebte. Von einer beſondern Luft konnte es nicht herrühren, denn die andern Leichen waren zerſtört. Man fand aber bald die untrüglichen Merkmale einer Arſenikvergiftung. Werden Sie es glauben, wenn ich Ihnen ſage, daß ſich ermittelt hat, die eigene Frau hat ihn umgebracht.“ Einem unterdrückten Schrei folgte eine lange Stille: „Aber wie iſt denn das gekommen? Warum denn? Sie hat ihn ja ſo geliebt!“ rief die Baronin. Fuchſius, der mit übergebeugtem Leibe auf dem Stuhle ſaß, wie wohl Erzähler thun, die für eine lange Erzählung den geſammelten Stoff wie einen Faden aus ſich herausſpinnen, und dabei nicht rechts

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/166>, abgerufen am 25.11.2024.