schwachen Kräften beachtet, verbietet uns, ein Bild in den Vorgrund zu stellen, welches für viele Leser unver¬ ständlich bliebe, ohne eine vorausgeschickte Abhandlung über den Mark Brandenburgischen Unterschied zwischen Mir und Mich. So genüge denn für dieses Mal -- denn es ist wohl möglich, daß wir ihr künftig wieder begegnen -- ein Dictum, welches mit stereotypischer Genauigkeit aus den Akten jener Zeit entnommen ist. Ex ungue leonem. Madame Braunbiegler hatte das Gespräch über den betreffenden Gegenstand mit den Worten geschlossen:
"Denn heirathet er ihr och noch! Da gratulir ich. Er hat nischt und sie hat nischt. Des wird 'ne magre Kalbfleeschsuppe. Ne sage ich doch, wenn pover Volk noch dicke thun will und vornehm sind, die können mich gestohlen werden."
Madame Braunbiegler mußte sich dabei echauffirt haben; es kostete ihr immer eine Gemüthsbewegung, wenn sie von ordinairen Leuten sprach, die es den Reichen gleich thun wollten. Sie war den liberalen Ideen abgeneigt und hielt auf Standesunterschied. Der Shawl war ihr beim Echauffement von den leuchtenden Schultern gerutscht. Herr von Wandel legte ihn ihr sanft wieder um: "Sie könnten sich erkälten, gnädige Frau," flüsterte er mit der sanftesten Stimme.
Der Ritter begehrte nicht den Dank der Dame. Wie zufällig, hatte er sich auf einen Stuhl am Spiel¬ tisch niedergelassen, wo Frau Geheimräthin Lupinus schon mit der Karte in der Hand saß.
ſchwachen Kräften beachtet, verbietet uns, ein Bild in den Vorgrund zu ſtellen, welches für viele Leſer unver¬ ſtändlich bliebe, ohne eine vorausgeſchickte Abhandlung über den Mark Brandenburgiſchen Unterſchied zwiſchen Mir und Mich. So genüge denn für dieſes Mal — denn es iſt wohl möglich, daß wir ihr künftig wieder begegnen — ein Dictum, welches mit ſtereotypiſcher Genauigkeit aus den Akten jener Zeit entnommen iſt. Ex ungue leonem. Madame Braunbiegler hatte das Geſpräch über den betreffenden Gegenſtand mit den Worten geſchloſſen:
„Denn heirathet er ihr och noch! Da gratulir ich. Er hat niſcht und ſie hat niſcht. Des wird 'ne magre Kalbfleeſchſuppe. Ne ſage ich doch, wenn pover Volk noch dicke thun will und vornehm ſind, die können mich geſtohlen werden.“
Madame Braunbiegler mußte ſich dabei echauffirt haben; es koſtete ihr immer eine Gemüthsbewegung, wenn ſie von ordinairen Leuten ſprach, die es den Reichen gleich thun wollten. Sie war den liberalen Ideen abgeneigt und hielt auf Standesunterſchied. Der Shawl war ihr beim Echauffement von den leuchtenden Schultern gerutſcht. Herr von Wandel legte ihn ihr ſanft wieder um: „Sie könnten ſich erkälten, gnädige Frau,“ flüſterte er mit der ſanfteſten Stimme.
Der Ritter begehrte nicht den Dank der Dame. Wie zufällig, hatte er ſich auf einen Stuhl am Spiel¬ tiſch niedergelaſſen, wo Frau Geheimräthin Lupinus ſchon mit der Karte in der Hand ſaß.
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ſchwachen Kräften beachtet, verbietet uns, ein Bild in
den Vorgrund zu ſtellen, welches für viele Leſer unver¬
ſtändlich bliebe, ohne eine vorausgeſchickte Abhandlung
über den Mark Brandenburgiſchen Unterſchied zwiſchen
Mir und Mich. So genüge denn für dieſes Mal —
denn es iſt wohl möglich, daß wir ihr künftig wieder
begegnen — ein Dictum, welches mit ſtereotypiſcher
Genauigkeit aus den Akten jener Zeit entnommen iſt.
Ex ungue leonem. Madame Braunbiegler hatte das
Geſpräch über den betreffenden Gegenſtand mit den
Worten geſchloſſen:
„Denn heirathet er ihr och noch! Da gratulir
ich. Er hat niſcht und ſie hat niſcht. Des wird 'ne
magre Kalbfleeſchſuppe. Ne ſage ich doch, wenn
pover Volk noch dicke thun will und vornehm ſind,
die können mich geſtohlen werden.“
Madame Braunbiegler mußte ſich dabei echauffirt
haben; es koſtete ihr immer eine Gemüthsbewegung,
wenn ſie von ordinairen Leuten ſprach, die es den
Reichen gleich thun wollten. Sie war den liberalen
Ideen abgeneigt und hielt auf Standesunterſchied.
Der Shawl war ihr beim Echauffement von den
leuchtenden Schultern gerutſcht. Herr von Wandel legte
ihn ihr ſanft wieder um: „Sie könnten ſich erkälten,
gnädige Frau,“ flüſterte er mit der ſanfteſten Stimme.
Der Ritter begehrte nicht den Dank der Dame.
Wie zufällig, hatte er ſich auf einen Stuhl am Spiel¬
tiſch niedergelaſſen, wo Frau Geheimräthin Lupinus
ſchon mit der Karte in der Hand ſaß.
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/152>, abgerufen am 23.11.2024.
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