Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Pflicht, dem schönsten Traume meines Lebens zu ent¬
sagen?"

"Gegen sich selbst! Können Sie keinen noch
schöneren sich denken, das Bewußtsein, Ihre Tugend
und Ihr besseres Sein vor Ihren Affecten gerettet
zu haben?"

"Ich fühle in mir nicht den Beruf, eine Hei¬
lige zu werden, erwiederte Adelheid. Ich bin, was
ich bin, und will nicht mehr sein, ein Mädchen wie
andre, von nicht zu heißem und nicht zu kaltem
Blute. Ich glaube mich überwinden zu können, wenn
ich muß, wo ich aber die Nothwendigkeit nicht absehe,
glaube ich ein Recht zu haben, wie jedes lebende
Wesen, wo Gottes Sonne auf mich scheint, mich zu
freuen in ihrem Strahl."

Die Worte klangen nicht harmonisch zur Stim¬
mung der Königin, nein, es war eine kecke Disso¬
nanz, aber Louise konnte nicht zürnen; durch das
Vorangehende war sie schon anders gestimmt. Das
Gespräch hatte eine ganz andre Wendung genom¬
men, als sie beabsichtigt. Sie begnügte sich zu sa¬
gen: "Ach, wenn Sie die Seligkeit einmal kennten,
die im Entsagen liegt!"

"Ich habe einst entsagt, fiel Adelheid ein, und
kostete nur die Schmerzen der Enttäuschung, ich
empfand die Folter der Unwahrheit. Ja, Majestät,
da fühlte ich, es giebt auch eine Pflicht, uns selbst
treu zu sein und wahr. Die hatte ich verletzt, mich
versündigt gegen mich, gegen das Heiligthum meines

Pflicht, dem ſchönſten Traume meines Lebens zu ent¬
ſagen?“

„Gegen ſich ſelbſt! Können Sie keinen noch
ſchöneren ſich denken, das Bewußtſein, Ihre Tugend
und Ihr beſſeres Sein vor Ihren Affecten gerettet
zu haben?“

„Ich fühle in mir nicht den Beruf, eine Hei¬
lige zu werden, erwiederte Adelheid. Ich bin, was
ich bin, und will nicht mehr ſein, ein Mädchen wie
andre, von nicht zu heißem und nicht zu kaltem
Blute. Ich glaube mich überwinden zu können, wenn
ich muß, wo ich aber die Nothwendigkeit nicht abſehe,
glaube ich ein Recht zu haben, wie jedes lebende
Weſen, wo Gottes Sonne auf mich ſcheint, mich zu
freuen in ihrem Strahl.“

Die Worte klangen nicht harmoniſch zur Stim¬
mung der Königin, nein, es war eine kecke Diſſo¬
nanz, aber Louiſe konnte nicht zürnen; durch das
Vorangehende war ſie ſchon anders geſtimmt. Das
Geſpräch hatte eine ganz andre Wendung genom¬
men, als ſie beabſichtigt. Sie begnügte ſich zu ſa¬
gen: „Ach, wenn Sie die Seligkeit einmal kennten,
die im Entſagen liegt!“

„Ich habe einſt entſagt, fiel Adelheid ein, und
koſtete nur die Schmerzen der Enttäuſchung, ich
empfand die Folter der Unwahrheit. Ja, Majeſtät,
da fühlte ich, es giebt auch eine Pflicht, uns ſelbſt
treu zu ſein und wahr. Die hatte ich verletzt, mich
verſündigt gegen mich, gegen das Heiligthum meines

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0143" n="133"/>
Pflicht, dem &#x017F;chön&#x017F;ten Traume meines Lebens zu ent¬<lb/>
&#x017F;agen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gegen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t! Können Sie keinen noch<lb/>
&#x017F;chöneren &#x017F;ich denken, das Bewußt&#x017F;ein, Ihre Tugend<lb/>
und Ihr be&#x017F;&#x017F;eres Sein vor Ihren Affecten gerettet<lb/>
zu haben?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich fühle in mir nicht den Beruf, eine Hei¬<lb/>
lige zu werden, erwiederte Adelheid. Ich bin, was<lb/>
ich bin, und will nicht mehr &#x017F;ein, ein Mädchen wie<lb/>
andre, von nicht zu heißem und nicht zu kaltem<lb/>
Blute. Ich glaube mich überwinden zu können, wenn<lb/>
ich muß, wo ich aber die Nothwendigkeit nicht ab&#x017F;ehe,<lb/>
glaube ich ein Recht zu haben, wie jedes lebende<lb/>
We&#x017F;en, wo Gottes Sonne auf mich &#x017F;cheint, mich zu<lb/>
freuen in ihrem Strahl.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Worte klangen nicht harmoni&#x017F;ch zur Stim¬<lb/>
mung der Königin, nein, es war eine kecke Di&#x017F;&#x017F;<lb/>
nanz, aber Loui&#x017F;e konnte nicht zürnen; durch das<lb/>
Vorangehende war &#x017F;ie &#x017F;chon anders ge&#x017F;timmt. Das<lb/>
Ge&#x017F;präch hatte eine ganz andre Wendung genom¬<lb/>
men, als &#x017F;ie beab&#x017F;ichtigt. Sie begnügte &#x017F;ich zu &#x017F;<lb/>
gen: &#x201E;Ach, wenn Sie die Seligkeit einmal kennten,<lb/>
die im Ent&#x017F;agen liegt!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich <hi rendition="#g">habe</hi> ein&#x017F;t ent&#x017F;agt, fiel Adelheid ein, und<lb/>
ko&#x017F;tete nur die Schmerzen der Enttäu&#x017F;chung, ich<lb/>
empfand die Folter der Unwahrheit. Ja, Maje&#x017F;tät,<lb/>
da fühlte ich, es giebt auch eine Pflicht, uns &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
treu zu &#x017F;ein und wahr. Die hatte ich verletzt, mich<lb/>
ver&#x017F;ündigt gegen mich, gegen das Heiligthum meines<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0143] Pflicht, dem ſchönſten Traume meines Lebens zu ent¬ ſagen?“ „Gegen ſich ſelbſt! Können Sie keinen noch ſchöneren ſich denken, das Bewußtſein, Ihre Tugend und Ihr beſſeres Sein vor Ihren Affecten gerettet zu haben?“ „Ich fühle in mir nicht den Beruf, eine Hei¬ lige zu werden, erwiederte Adelheid. Ich bin, was ich bin, und will nicht mehr ſein, ein Mädchen wie andre, von nicht zu heißem und nicht zu kaltem Blute. Ich glaube mich überwinden zu können, wenn ich muß, wo ich aber die Nothwendigkeit nicht abſehe, glaube ich ein Recht zu haben, wie jedes lebende Weſen, wo Gottes Sonne auf mich ſcheint, mich zu freuen in ihrem Strahl.“ Die Worte klangen nicht harmoniſch zur Stim¬ mung der Königin, nein, es war eine kecke Diſſo¬ nanz, aber Louiſe konnte nicht zürnen; durch das Vorangehende war ſie ſchon anders geſtimmt. Das Geſpräch hatte eine ganz andre Wendung genom¬ men, als ſie beabſichtigt. Sie begnügte ſich zu ſa¬ gen: „Ach, wenn Sie die Seligkeit einmal kennten, die im Entſagen liegt!“ „Ich habe einſt entſagt, fiel Adelheid ein, und koſtete nur die Schmerzen der Enttäuſchung, ich empfand die Folter der Unwahrheit. Ja, Majeſtät, da fühlte ich, es giebt auch eine Pflicht, uns ſelbſt treu zu ſein und wahr. Die hatte ich verletzt, mich verſündigt gegen mich, gegen das Heiligthum meines

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/143
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/143>, abgerufen am 23.11.2024.