Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

zogen, das halbe Reich hing im Netz des Eroberers,
und nur Preußen stand allein im Winkel, ohne den
Muth, ohne den Beruf, ohne die Mittel.

Das fühlte Jeder in Preußen. Wenn eine
Ueberzeugung auf dem trocknen Boden aufschießt,
von dem wir reden, so haben Spötter behauptet, daß
sie, wie ein Unkraut, das die Wolken säen, plötzlich
die Felder überwuchert, oder wie ein Heidebrand
über Berge und Thäler sich ergießt. Dann ist kein
Widerstand mehr. Aber jeder Fanatismus berührt
in der Regel nur gewisse Kreise, nur die an der
Straße Wohnenden, die auf den Höhen Sichtbaren.
Die in den tiefen Niederungen nur sich selbst leben,
unbekümmert um was nicht ihre nächste Sorge angeht,
berührt er nur selten. Aber der Fall war hier. Des
Herzogs von Enghien Aufhebung und Füsillade hatte
nur die politisch Denkenden und Fühlenden getroffen,
was gehn den guten Bürger Staatsacte an! Darum
haben sich die zu kümmern, die dazu geboren sind,
oder dafür bezahlt werden. Aber daß er den Buch¬
händler Palm in Braunau erschießen lassen, berührte
das Gefühl des Menschen, sogar den Gedanken des
Bürgers. War Palm nicht ein Bürger, eingeschrieben
in die Bürgerrolle, der ruhig seinem Verdienste
nachgegangen und ruhig seine Abgaben gezahlt hatte?
Was ging ihn die Schrift an, die er verlegt, und
noch dazu starb er den Heldentod, weil er den nicht
nennen wollte, dem er sein Wort gegeben zu schweigen!
Das konnte Jedem "passiren!" Ist ein guter Bürger

zogen, das halbe Reich hing im Netz des Eroberers,
und nur Preußen ſtand allein im Winkel, ohne den
Muth, ohne den Beruf, ohne die Mittel.

Das fühlte Jeder in Preußen. Wenn eine
Ueberzeugung auf dem trocknen Boden aufſchießt,
von dem wir reden, ſo haben Spötter behauptet, daß
ſie, wie ein Unkraut, das die Wolken ſäen, plötzlich
die Felder überwuchert, oder wie ein Heidebrand
über Berge und Thäler ſich ergießt. Dann iſt kein
Widerſtand mehr. Aber jeder Fanatismus berührt
in der Regel nur gewiſſe Kreiſe, nur die an der
Straße Wohnenden, die auf den Höhen Sichtbaren.
Die in den tiefen Niederungen nur ſich ſelbſt leben,
unbekümmert um was nicht ihre nächſte Sorge angeht,
berührt er nur ſelten. Aber der Fall war hier. Des
Herzogs von Enghien Aufhebung und Füſillade hatte
nur die politiſch Denkenden und Fühlenden getroffen,
was gehn den guten Bürger Staatsacte an! Darum
haben ſich die zu kümmern, die dazu geboren ſind,
oder dafür bezahlt werden. Aber daß er den Buch¬
händler Palm in Braunau erſchießen laſſen, berührte
das Gefühl des Menſchen, ſogar den Gedanken des
Bürgers. War Palm nicht ein Bürger, eingeſchrieben
in die Bürgerrolle, der ruhig ſeinem Verdienſte
nachgegangen und ruhig ſeine Abgaben gezahlt hatte?
Was ging ihn die Schrift an, die er verlegt, und
noch dazu ſtarb er den Heldentod, weil er den nicht
nennen wollte, dem er ſein Wort gegeben zu ſchweigen!
Das konnte Jedem „paſſiren!“ Iſt ein guter Bürger

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="4"/>
zogen, das halbe Reich hing im Netz des Eroberers,<lb/>
und nur Preußen &#x017F;tand allein im Winkel, ohne den<lb/>
Muth, ohne den Beruf, ohne die Mittel.</p><lb/>
        <p>Das fühlte Jeder in Preußen. Wenn eine<lb/>
Ueberzeugung auf dem trocknen Boden auf&#x017F;chießt,<lb/>
von dem wir reden, &#x017F;o haben Spötter behauptet, daß<lb/>
&#x017F;ie, wie ein Unkraut, das die Wolken &#x017F;äen, plötzlich<lb/>
die Felder überwuchert, oder wie ein Heidebrand<lb/>
über Berge und Thäler &#x017F;ich ergießt. Dann i&#x017F;t kein<lb/>
Wider&#x017F;tand mehr. Aber jeder Fanatismus berührt<lb/>
in der Regel nur gewi&#x017F;&#x017F;e Krei&#x017F;e, nur die an der<lb/>
Straße Wohnenden, die auf den Höhen Sichtbaren.<lb/>
Die in den tiefen Niederungen nur &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t leben,<lb/>
unbekümmert um was nicht ihre näch&#x017F;te Sorge angeht,<lb/>
berührt er nur &#x017F;elten. Aber der Fall war hier. Des<lb/>
Herzogs von Enghien Aufhebung und Fü&#x017F;illade hatte<lb/>
nur die politi&#x017F;ch Denkenden und Fühlenden getroffen,<lb/>
was gehn den guten Bürger Staatsacte an! Darum<lb/>
haben &#x017F;ich die zu kümmern, die dazu geboren &#x017F;ind,<lb/>
oder dafür bezahlt werden. Aber daß er den Buch¬<lb/>
händler Palm in Braunau er&#x017F;chießen la&#x017F;&#x017F;en, berührte<lb/>
das Gefühl des Men&#x017F;chen, &#x017F;ogar den Gedanken des<lb/>
Bürgers. War Palm nicht ein Bürger, einge&#x017F;chrieben<lb/>
in die Bürgerrolle, der ruhig &#x017F;einem Verdien&#x017F;te<lb/>
nachgegangen und ruhig &#x017F;eine Abgaben gezahlt hatte?<lb/>
Was ging ihn die Schrift an, die er verlegt, und<lb/>
noch dazu &#x017F;tarb er den Heldentod, weil er den nicht<lb/>
nennen wollte, dem er &#x017F;ein Wort gegeben zu &#x017F;chweigen!<lb/>
Das konnte Jedem &#x201E;pa&#x017F;&#x017F;iren!&#x201C; I&#x017F;t ein guter Bürger<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0014] zogen, das halbe Reich hing im Netz des Eroberers, und nur Preußen ſtand allein im Winkel, ohne den Muth, ohne den Beruf, ohne die Mittel. Das fühlte Jeder in Preußen. Wenn eine Ueberzeugung auf dem trocknen Boden aufſchießt, von dem wir reden, ſo haben Spötter behauptet, daß ſie, wie ein Unkraut, das die Wolken ſäen, plötzlich die Felder überwuchert, oder wie ein Heidebrand über Berge und Thäler ſich ergießt. Dann iſt kein Widerſtand mehr. Aber jeder Fanatismus berührt in der Regel nur gewiſſe Kreiſe, nur die an der Straße Wohnenden, die auf den Höhen Sichtbaren. Die in den tiefen Niederungen nur ſich ſelbſt leben, unbekümmert um was nicht ihre nächſte Sorge angeht, berührt er nur ſelten. Aber der Fall war hier. Des Herzogs von Enghien Aufhebung und Füſillade hatte nur die politiſch Denkenden und Fühlenden getroffen, was gehn den guten Bürger Staatsacte an! Darum haben ſich die zu kümmern, die dazu geboren ſind, oder dafür bezahlt werden. Aber daß er den Buch¬ händler Palm in Braunau erſchießen laſſen, berührte das Gefühl des Menſchen, ſogar den Gedanken des Bürgers. War Palm nicht ein Bürger, eingeſchrieben in die Bürgerrolle, der ruhig ſeinem Verdienſte nachgegangen und ruhig ſeine Abgaben gezahlt hatte? Was ging ihn die Schrift an, die er verlegt, und noch dazu ſtarb er den Heldentod, weil er den nicht nennen wollte, dem er ſein Wort gegeben zu ſchweigen! Das konnte Jedem „paſſiren!“ Iſt ein guter Bürger

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/14
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/14>, abgerufen am 23.11.2024.