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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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häßlicher zu machen. Doch das verstehe ich nicht
und bescheide mich deshalb. Das Große und Schöne
soll er jedoch nicht häßlich und niedrig malen, sonst
widersteht er unserm Gefühl, denn von der Dichtung
verlangen wir Frauen wenigstens, daß sie unsre Ge¬
fühle erheben und uns die ewige Schönheit ahnen
lassen soll. Aber wenn er umgekehrt das Kleinliche
und Häßliche ausschmückt, und dem Gemeinen den
Schein der Tugend und des Edelmuthes umhängt,
damit uns das gefalle, was wir meiden und verab¬
scheuen sollen, dann kommt es mir vor, als versün¬
digte er sich an seinem hohen Beruf. Wenn ich durch
die Wimpern einer edlen Fürstin eine Thräne sich
drängen sehe, weil sie bang einer schweren Zukunft
entgegen sieht, für ihre Familie, ihr Volk, ihr Land,
oder ist's eine der Freude, daß ihr Gemahl siegreich
aus dem Felde zurückkehrt, ihre Kinder ihr Freude
bereiten, ihr Erstgeborner einen ersten Zug entfaltet,
der an den Edelmuth und die Tapferkeit seiner Ahnen
erinnert -- das, dünkt mich, ist eine Thräne, die
der Dichter auffassen muß wie ein Juwel im Sonnen¬
schein. Aber entweiht er die schöne Thräne nicht,
wenn er auch alle seine unbedeutenden Personen bei
jeder Gelegenheit gerührt sein und weinen läßt, um
Kleines und Geringfügiges, und wenn er die Thräne
dann so schön ausmalt, daß die armen Leser mitwei¬
nen müssen! Sie wissen am Ende nicht recht, warum,
aber er erhält die weinerliche Stimmung, weil er
darauf rechnet, daß wir Alle schwach sind und es

häßlicher zu machen. Doch das verſtehe ich nicht
und beſcheide mich deshalb. Das Große und Schöne
ſoll er jedoch nicht häßlich und niedrig malen, ſonſt
widerſteht er unſerm Gefühl, denn von der Dichtung
verlangen wir Frauen wenigſtens, daß ſie unſre Ge¬
fühle erheben und uns die ewige Schönheit ahnen
laſſen ſoll. Aber wenn er umgekehrt das Kleinliche
und Häßliche ausſchmückt, und dem Gemeinen den
Schein der Tugend und des Edelmuthes umhängt,
damit uns das gefalle, was wir meiden und verab¬
ſcheuen ſollen, dann kommt es mir vor, als verſün¬
digte er ſich an ſeinem hohen Beruf. Wenn ich durch
die Wimpern einer edlen Fürſtin eine Thräne ſich
drängen ſehe, weil ſie bang einer ſchweren Zukunft
entgegen ſieht, für ihre Familie, ihr Volk, ihr Land,
oder iſt's eine der Freude, daß ihr Gemahl ſiegreich
aus dem Felde zurückkehrt, ihre Kinder ihr Freude
bereiten, ihr Erſtgeborner einen erſten Zug entfaltet,
der an den Edelmuth und die Tapferkeit ſeiner Ahnen
erinnert — das, dünkt mich, iſt eine Thräne, die
der Dichter auffaſſen muß wie ein Juwel im Sonnen¬
ſchein. Aber entweiht er die ſchöne Thräne nicht,
wenn er auch alle ſeine unbedeutenden Perſonen bei
jeder Gelegenheit gerührt ſein und weinen läßt, um
Kleines und Geringfügiges, und wenn er die Thräne
dann ſo ſchön ausmalt, daß die armen Leſer mitwei¬
nen müſſen! Sie wiſſen am Ende nicht recht, warum,
aber er erhält die weinerliche Stimmung, weil er
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[122/0132] häßlicher zu machen. Doch das verſtehe ich nicht und beſcheide mich deshalb. Das Große und Schöne ſoll er jedoch nicht häßlich und niedrig malen, ſonſt widerſteht er unſerm Gefühl, denn von der Dichtung verlangen wir Frauen wenigſtens, daß ſie unſre Ge¬ fühle erheben und uns die ewige Schönheit ahnen laſſen ſoll. Aber wenn er umgekehrt das Kleinliche und Häßliche ausſchmückt, und dem Gemeinen den Schein der Tugend und des Edelmuthes umhängt, damit uns das gefalle, was wir meiden und verab¬ ſcheuen ſollen, dann kommt es mir vor, als verſün¬ digte er ſich an ſeinem hohen Beruf. Wenn ich durch die Wimpern einer edlen Fürſtin eine Thräne ſich drängen ſehe, weil ſie bang einer ſchweren Zukunft entgegen ſieht, für ihre Familie, ihr Volk, ihr Land, oder iſt's eine der Freude, daß ihr Gemahl ſiegreich aus dem Felde zurückkehrt, ihre Kinder ihr Freude bereiten, ihr Erſtgeborner einen erſten Zug entfaltet, der an den Edelmuth und die Tapferkeit ſeiner Ahnen erinnert — das, dünkt mich, iſt eine Thräne, die der Dichter auffaſſen muß wie ein Juwel im Sonnen¬ ſchein. Aber entweiht er die ſchöne Thräne nicht, wenn er auch alle ſeine unbedeutenden Perſonen bei jeder Gelegenheit gerührt ſein und weinen läßt, um Kleines und Geringfügiges, und wenn er die Thräne dann ſo ſchön ausmalt, daß die armen Leſer mitwei¬ nen müſſen! Sie wiſſen am Ende nicht recht, warum, aber er erhält die weinerliche Stimmung, weil er darauf rechnet, daß wir Alle ſchwach ſind und es

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/132>, abgerufen am 23.11.2024.