Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

hob den Arm, um den Faden vom Hals der Fürstin
loszumachen, aber -- es war die Wirkung und die
That des Momentes, jene Einwirkung unsichtbarer
Geister, die wir umsonst erklären, und, wenn erklärt,
so wäre es nichts -- die Thränen stürzten aus den
Augen der Königin, und sie drückte Adelheid an ihre
Brust. Niemand sah es, es war weite sonntägliche
Einsamkeit im Park. Die Sonne, obgleich sie Alles
sieht, ist eine schweigende Zeugin, die Käfer schwirr¬
ten, die Frösche ächzten ihr monotones Lied in den
feuchten Wiesen; vom Kirchthurm läuteten die ge¬
dämpften Glocken zum Begräbniß einer alten Frau.

Die Lippen der Fürstin berührten Adelheids
Wangen: "Ach, liebes Mädchen, wer weiß, was mor¬
gen kommt!" --

Es war da in dem Augenblick mehr zwischen
ihnen vorgegangen, als Worte aussprechen. Die
Königin sprach: "Sie schickte mir der allgütige Va¬
ter im Himmel zu einer Stunde, wo ich Trostes be¬
durfte. Was man so gefunden, läßt man so leicht
nicht wieder von sich."

Die Emotionen haben ihr ewiges, unverjähr¬
bares Recht, unter den goldenen Decken der Schlös¬
ser wie unter den Schilfdächern der Hütten; aber
hier dürfen sie austoben bis zur Erschöpfung, dort
ist ihnen ein Maaß gesteckt.

Louise war wieder die Königin geworden, als
sie weiter gingen, aber von einer Huld, welche die
Majestät überstrahlte. Sie zeigte nach dem Pavil¬

hob den Arm, um den Faden vom Hals der Fürſtin
loszumachen, aber — es war die Wirkung und die
That des Momentes, jene Einwirkung unſichtbarer
Geiſter, die wir umſonſt erklären, und, wenn erklärt,
ſo wäre es nichts — die Thränen ſtürzten aus den
Augen der Königin, und ſie drückte Adelheid an ihre
Bruſt. Niemand ſah es, es war weite ſonntägliche
Einſamkeit im Park. Die Sonne, obgleich ſie Alles
ſieht, iſt eine ſchweigende Zeugin, die Käfer ſchwirr¬
ten, die Fröſche ächzten ihr monotones Lied in den
feuchten Wieſen; vom Kirchthurm läuteten die ge¬
dämpften Glocken zum Begräbniß einer alten Frau.

Die Lippen der Fürſtin berührten Adelheids
Wangen: „Ach, liebes Mädchen, wer weiß, was mor¬
gen kommt!“ —

Es war da in dem Augenblick mehr zwiſchen
ihnen vorgegangen, als Worte ausſprechen. Die
Königin ſprach: „Sie ſchickte mir der allgütige Va¬
ter im Himmel zu einer Stunde, wo ich Troſtes be¬
durfte. Was man ſo gefunden, läßt man ſo leicht
nicht wieder von ſich.“

Die Emotionen haben ihr ewiges, unverjähr¬
bares Recht, unter den goldenen Decken der Schlöſ¬
ſer wie unter den Schilfdächern der Hütten; aber
hier dürfen ſie austoben bis zur Erſchöpfung, dort
iſt ihnen ein Maaß geſteckt.

Louiſe war wieder die Königin geworden, als
ſie weiter gingen, aber von einer Huld, welche die
Majeſtät überſtrahlte. Sie zeigte nach dem Pavil¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0124" n="114"/>
hob den Arm, um den Faden vom Hals der Für&#x017F;tin<lb/>
loszumachen, aber &#x2014; es war die Wirkung und die<lb/>
That des Momentes, jene Einwirkung un&#x017F;ichtbarer<lb/>
Gei&#x017F;ter, die wir um&#x017F;on&#x017F;t erklären, und, wenn erklärt,<lb/>
&#x017F;o wäre es nichts &#x2014; die Thränen &#x017F;türzten aus den<lb/>
Augen der Königin, und &#x017F;ie drückte Adelheid an ihre<lb/>
Bru&#x017F;t. Niemand &#x017F;ah es, es war weite &#x017F;onntägliche<lb/>
Ein&#x017F;amkeit im Park. Die Sonne, obgleich &#x017F;ie Alles<lb/>
&#x017F;ieht, i&#x017F;t eine &#x017F;chweigende Zeugin, die Käfer &#x017F;chwirr¬<lb/>
ten, die Frö&#x017F;che ächzten ihr monotones Lied in den<lb/>
feuchten Wie&#x017F;en; vom Kirchthurm läuteten die ge¬<lb/>
dämpften Glocken zum Begräbniß einer alten Frau.</p><lb/>
        <p>Die Lippen der Für&#x017F;tin berührten Adelheids<lb/>
Wangen: &#x201E;Ach, liebes Mädchen, wer weiß, was mor¬<lb/>
gen kommt!&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Es war da in dem Augenblick mehr zwi&#x017F;chen<lb/>
ihnen vorgegangen, als Worte aus&#x017F;prechen. Die<lb/>
Königin &#x017F;prach: &#x201E;Sie &#x017F;chickte mir der allgütige Va¬<lb/>
ter im Himmel zu einer Stunde, wo ich Tro&#x017F;tes be¬<lb/>
durfte. Was man &#x017F;o gefunden, läßt man &#x017F;o leicht<lb/>
nicht wieder von &#x017F;ich.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Emotionen haben ihr ewiges, unverjähr¬<lb/>
bares Recht, unter den goldenen Decken der Schlö&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;er wie unter den Schilfdächern der Hütten; aber<lb/>
hier dürfen &#x017F;ie austoben bis zur Er&#x017F;chöpfung, dort<lb/>
i&#x017F;t ihnen ein Maaß ge&#x017F;teckt.</p><lb/>
        <p>Loui&#x017F;e war wieder die Königin geworden, als<lb/>
&#x017F;ie weiter gingen, aber von einer Huld, welche die<lb/>
Maje&#x017F;tät über&#x017F;trahlte. Sie zeigte nach dem Pavil¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0124] hob den Arm, um den Faden vom Hals der Fürſtin loszumachen, aber — es war die Wirkung und die That des Momentes, jene Einwirkung unſichtbarer Geiſter, die wir umſonſt erklären, und, wenn erklärt, ſo wäre es nichts — die Thränen ſtürzten aus den Augen der Königin, und ſie drückte Adelheid an ihre Bruſt. Niemand ſah es, es war weite ſonntägliche Einſamkeit im Park. Die Sonne, obgleich ſie Alles ſieht, iſt eine ſchweigende Zeugin, die Käfer ſchwirr¬ ten, die Fröſche ächzten ihr monotones Lied in den feuchten Wieſen; vom Kirchthurm läuteten die ge¬ dämpften Glocken zum Begräbniß einer alten Frau. Die Lippen der Fürſtin berührten Adelheids Wangen: „Ach, liebes Mädchen, wer weiß, was mor¬ gen kommt!“ — Es war da in dem Augenblick mehr zwiſchen ihnen vorgegangen, als Worte ausſprechen. Die Königin ſprach: „Sie ſchickte mir der allgütige Va¬ ter im Himmel zu einer Stunde, wo ich Troſtes be¬ durfte. Was man ſo gefunden, läßt man ſo leicht nicht wieder von ſich.“ Die Emotionen haben ihr ewiges, unverjähr¬ bares Recht, unter den goldenen Decken der Schlöſ¬ ſer wie unter den Schilfdächern der Hütten; aber hier dürfen ſie austoben bis zur Erſchöpfung, dort iſt ihnen ein Maaß geſteckt. Louiſe war wieder die Königin geworden, als ſie weiter gingen, aber von einer Huld, welche die Majeſtät überſtrahlte. Sie zeigte nach dem Pavil¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/124
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/124>, abgerufen am 23.11.2024.