Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

täuschte sich -- sie war in ein Labyrinth der Lüge
gerathen. Und wo der Ausweg!

Als wolle sie ihn suchen, hatte sie in die Wipfel
geblickt, deren Blätter im Abendwinde durcheinander¬
wogten, ohne daß sie nur eins mit den Augen ver¬
folgen können. Da hatte die Baronin jene Worte
an sie gerichtet. Und wieder betraf sie sich auf einer
Lüge. Sie mußte das Auge vor dem Blick der
Eitelbach niederschlagen. So hell und klar sah diese
sie aus ihren großen blauen Augen an. Das aus¬
druckslose Gesicht gewann durch das Gepräge der
Wahrheit einen Ausdruck, der für sie in dem Moment
überwältigend war.

"Liebe Alltag, warum zieren Sie sich denn vor
mir, sprach die Eitelbach mit dem gutmüthigsten Tone
von der Welt. Der Bonaparte mag ein noch so
böser, und unser König ein noch so guter Mensch
sein, jeder Mensch denkt doch an sich zuerst.

"Jeder!" sagte Adelheid, um nur durch ein
Wort ihrer gepreßten Brust Luft zu machen.

"So ist es schon. Ich laß mich auch gar nicht
mehr irre machen. Krieg mag schon nöthig sein
auf der Welt, meinethalben; ich kenne sie aber, die
Herren Officiere, alle, und da ist keiner, der nicht an
sein Avancement denkt, wenn er sich in den Kragen
wirft und grunzt, daß man glaubt, die Seele sollte
ihm ausgehn, von des Königs Rock und Friedrichs
Ehre, und wenn er dann auf den Hacken Kehrt
macht und eine Miene sich geben will -- Na, habe

IV. 6

täuſchte ſich — ſie war in ein Labyrinth der Lüge
gerathen. Und wo der Ausweg!

Als wolle ſie ihn ſuchen, hatte ſie in die Wipfel
geblickt, deren Blätter im Abendwinde durcheinander¬
wogten, ohne daß ſie nur eins mit den Augen ver¬
folgen können. Da hatte die Baronin jene Worte
an ſie gerichtet. Und wieder betraf ſie ſich auf einer
Lüge. Sie mußte das Auge vor dem Blick der
Eitelbach niederſchlagen. So hell und klar ſah dieſe
ſie aus ihren großen blauen Augen an. Das aus¬
drucksloſe Geſicht gewann durch das Gepräge der
Wahrheit einen Ausdruck, der für ſie in dem Moment
überwältigend war.

„Liebe Alltag, warum zieren Sie ſich denn vor
mir, ſprach die Eitelbach mit dem gutmüthigſten Tone
von der Welt. Der Bonaparte mag ein noch ſo
böſer, und unſer König ein noch ſo guter Menſch
ſein, jeder Menſch denkt doch an ſich zuerſt.

„Jeder!“ ſagte Adelheid, um nur durch ein
Wort ihrer gepreßten Bruſt Luft zu machen.

„So iſt es ſchon. Ich laß mich auch gar nicht
mehr irre machen. Krieg mag ſchon nöthig ſein
auf der Welt, meinethalben; ich kenne ſie aber, die
Herren Officiere, alle, und da iſt keiner, der nicht an
ſein Avancement denkt, wenn er ſich in den Kragen
wirft und grunzt, daß man glaubt, die Seele ſollte
ihm ausgehn, von des Königs Rock und Friedrichs
Ehre, und wenn er dann auf den Hacken Kehrt
macht und eine Miene ſich geben will — Na, habe

IV. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0091" n="81"/>
täu&#x017F;chte &#x017F;ich &#x2014; &#x017F;ie war in ein Labyrinth der Lüge<lb/>
gerathen. Und wo der Ausweg!</p><lb/>
        <p>Als wolle &#x017F;ie ihn &#x017F;uchen, hatte &#x017F;ie in die Wipfel<lb/>
geblickt, deren Blätter im Abendwinde durcheinander¬<lb/>
wogten, ohne daß &#x017F;ie nur eins mit den Augen ver¬<lb/>
folgen können. Da hatte die Baronin jene Worte<lb/>
an &#x017F;ie gerichtet. Und wieder betraf &#x017F;ie &#x017F;ich auf einer<lb/>
Lüge. Sie mußte das Auge vor dem Blick der<lb/>
Eitelbach nieder&#x017F;chlagen. So hell und klar &#x017F;ah die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ie aus ihren großen blauen Augen an. Das aus¬<lb/>
druckslo&#x017F;e Ge&#x017F;icht gewann durch das Gepräge der<lb/>
Wahrheit einen Ausdruck, der für &#x017F;ie in dem Moment<lb/>
überwältigend war.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Liebe Alltag, warum zieren Sie &#x017F;ich denn vor<lb/>
mir, &#x017F;prach die Eitelbach mit dem gutmüthig&#x017F;ten Tone<lb/>
von der Welt. Der Bonaparte mag ein noch &#x017F;o<lb/>&#x017F;er, und un&#x017F;er König ein noch &#x017F;o guter Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ein, jeder Men&#x017F;ch denkt doch an &#x017F;ich zuer&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jeder!&#x201C; &#x017F;agte Adelheid, um nur durch ein<lb/>
Wort ihrer gepreßten Bru&#x017F;t Luft zu machen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;So i&#x017F;t es &#x017F;chon. Ich laß mich auch gar nicht<lb/>
mehr irre machen. Krieg mag &#x017F;chon nöthig &#x017F;ein<lb/>
auf der Welt, meinethalben; ich kenne &#x017F;ie aber, die<lb/>
Herren Officiere, alle, und da i&#x017F;t keiner, der nicht an<lb/>
&#x017F;ein Avancement denkt, wenn er &#x017F;ich in den Kragen<lb/>
wirft und grunzt, daß man glaubt, die Seele &#x017F;ollte<lb/>
ihm ausgehn, von des Königs Rock und Friedrichs<lb/>
Ehre, und wenn er dann auf den Hacken Kehrt<lb/>
macht und eine Miene &#x017F;ich geben will &#x2014; Na, habe<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">IV</hi>. 6<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0091] täuſchte ſich — ſie war in ein Labyrinth der Lüge gerathen. Und wo der Ausweg! Als wolle ſie ihn ſuchen, hatte ſie in die Wipfel geblickt, deren Blätter im Abendwinde durcheinander¬ wogten, ohne daß ſie nur eins mit den Augen ver¬ folgen können. Da hatte die Baronin jene Worte an ſie gerichtet. Und wieder betraf ſie ſich auf einer Lüge. Sie mußte das Auge vor dem Blick der Eitelbach niederſchlagen. So hell und klar ſah dieſe ſie aus ihren großen blauen Augen an. Das aus¬ drucksloſe Geſicht gewann durch das Gepräge der Wahrheit einen Ausdruck, der für ſie in dem Moment überwältigend war. „Liebe Alltag, warum zieren Sie ſich denn vor mir, ſprach die Eitelbach mit dem gutmüthigſten Tone von der Welt. Der Bonaparte mag ein noch ſo böſer, und unſer König ein noch ſo guter Menſch ſein, jeder Menſch denkt doch an ſich zuerſt. „Jeder!“ ſagte Adelheid, um nur durch ein Wort ihrer gepreßten Bruſt Luft zu machen. „So iſt es ſchon. Ich laß mich auch gar nicht mehr irre machen. Krieg mag ſchon nöthig ſein auf der Welt, meinethalben; ich kenne ſie aber, die Herren Officiere, alle, und da iſt keiner, der nicht an ſein Avancement denkt, wenn er ſich in den Kragen wirft und grunzt, daß man glaubt, die Seele ſollte ihm ausgehn, von des Königs Rock und Friedrichs Ehre, und wenn er dann auf den Hacken Kehrt macht und eine Miene ſich geben will — Na, habe IV. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/91
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/91>, abgerufen am 23.11.2024.