Aber sie erschrak über ihre eigenen Worte. Es war eine Rede, geborgt aus einer anderen Stimmung, denn sie hatte ja eben nicht an das Vaterland, sie hatte nur an sich gedacht: Wie sie dort im kurzen Röckchen unter den Platanen gespielt, unter den Brom¬ beersträuchern Hütten gebaut, der kleine grüne Fleck hinter den verkümmerten Tannen war eine Wüste gewesen, die für sie kein Ende hatte. Das Wort Waldeinsamkeit war noch nicht Gemeingut, aber sie hatte die Ahnung und den Begriff. Und dann -- durch dieselbe Allee war sie später gefahren, und wenn sie an die forschenden Blicke der Neugierigen dachte, die sie jetzt erst verstand, schoß das Blut ihr zu Kopf! Aber auch die Obristin Malchen und ihre Nichten verschwanden wieder wie neckende Spukgei¬ ster hinter den Gesträuchen, in denen die Sonne ihr Gold aussprenkelte. Wie oft war sie an der Seite der Geheimräthin hier vorüber gerollt. Warum war diese Erinnerung ihr jetzt weit schreckhafter? War¬ um rückte sie in die Ecke des Wagens, als scheue sie vor der Berührung eines Gespenstes? Verdankte sie ihr nicht viel, sehr viel, ihr ganzes geistiges Dasein dem Umgang der klugen Frau, ihren Belehrun¬ gen? Ja, vielleicht war es das, was wie ein Frost¬ fieber ihre Adern durchrieselte. Sie war die che¬ mische Säure gewesen, die aus der jungen Brust die Begeisterung, aus dem Blut die Elasticität gesogen, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Sie wäre untergegangen, das fühlte sie, in dieser kalten,
Aber ſie erſchrak über ihre eigenen Worte. Es war eine Rede, geborgt aus einer anderen Stimmung, denn ſie hatte ja eben nicht an das Vaterland, ſie hatte nur an ſich gedacht: Wie ſie dort im kurzen Röckchen unter den Platanen geſpielt, unter den Brom¬ beerſträuchern Hütten gebaut, der kleine grüne Fleck hinter den verkümmerten Tannen war eine Wüſte geweſen, die für ſie kein Ende hatte. Das Wort Waldeinſamkeit war noch nicht Gemeingut, aber ſie hatte die Ahnung und den Begriff. Und dann — durch dieſelbe Allee war ſie ſpäter gefahren, und wenn ſie an die forſchenden Blicke der Neugierigen dachte, die ſie jetzt erſt verſtand, ſchoß das Blut ihr zu Kopf! Aber auch die Obriſtin Malchen und ihre Nichten verſchwanden wieder wie neckende Spukgei¬ ſter hinter den Geſträuchen, in denen die Sonne ihr Gold ausſprenkelte. Wie oft war ſie an der Seite der Geheimräthin hier vorüber gerollt. Warum war dieſe Erinnerung ihr jetzt weit ſchreckhafter? War¬ um rückte ſie in die Ecke des Wagens, als ſcheue ſie vor der Berührung eines Geſpenſtes? Verdankte ſie ihr nicht viel, ſehr viel, ihr ganzes geiſtiges Daſein dem Umgang der klugen Frau, ihren Belehrun¬ gen? Ja, vielleicht war es das, was wie ein Froſt¬ fieber ihre Adern durchrieſelte. Sie war die che¬ miſche Säure geweſen, die aus der jungen Bruſt die Begeiſterung, aus dem Blut die Elaſticität geſogen, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Sie wäre untergegangen, das fühlte ſie, in dieſer kalten,
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Aber ſie erſchrak über ihre eigenen Worte. Es war
eine Rede, geborgt aus einer anderen Stimmung,
denn ſie hatte ja eben nicht an das Vaterland, ſie
hatte nur an ſich gedacht: Wie ſie dort im kurzen
Röckchen unter den Platanen geſpielt, unter den Brom¬
beerſträuchern Hütten gebaut, der kleine grüne Fleck
hinter den verkümmerten Tannen war eine Wüſte
geweſen, die für ſie kein Ende hatte. Das Wort
Waldeinſamkeit war noch nicht Gemeingut, aber ſie
hatte die Ahnung und den Begriff. Und dann —
durch dieſelbe Allee war ſie ſpäter gefahren, und
wenn ſie an die forſchenden Blicke der Neugierigen
dachte, die ſie jetzt erſt verſtand, ſchoß das Blut ihr
zu Kopf! Aber auch die Obriſtin Malchen und ihre
Nichten verſchwanden wieder wie neckende Spukgei¬
ſter hinter den Geſträuchen, in denen die Sonne ihr
Gold ausſprenkelte. Wie oft war ſie an der Seite
der Geheimräthin hier vorüber gerollt. Warum war
dieſe Erinnerung ihr jetzt weit ſchreckhafter? War¬
um rückte ſie in die Ecke des Wagens, als ſcheue ſie
vor der Berührung eines Geſpenſtes? Verdankte
ſie ihr nicht viel, ſehr viel, ihr ganzes geiſtiges
Daſein dem Umgang der klugen Frau, ihren Belehrun¬
gen? Ja, vielleicht war es das, was wie ein Froſt¬
fieber ihre Adern durchrieſelte. Sie war die che¬
miſche Säure geweſen, die aus der jungen Bruſt die
Begeiſterung, aus dem Blut die Elaſticität geſogen,
den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Sie
wäre untergegangen, das fühlte ſie, in dieſer kalten,
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/89>, abgerufen am 24.11.2024.
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