"Also darum kann sie ihn nicht leiden!" hatte zu seinem Nachbar der Kammerherr von St. Real gesagt, welcher die Cirkel der Fürstin zu frequentiren anfing, sich aber noch bescheiden im Hintergrunde hielt. Meinen Sie nicht auch, lieber Doctor Herz, daß unsre jungen Mädchen anfangen an Ueber¬ schwänglichkeit zu leiden?"
Der Doctor hatte freundlich nickend seine Hand auf die Schulter des Kammerherrn gelegt: "Wir sind Alle zu Leiden geboren; der Unterschied ist nur, daß die Einen an zu vielen Mängeln, die Andern an zu vielen Vollkommenheiten leiden. Zum Exem¬ pel, die Einen sind zu dumm und die Andern zu klug. Beide Krankheiten sind darin sich gleich, daß beide incurabel sind. Ihre Differenz aber ist, und darin werden Herr Kammerherr mir wieder Recht geben: wer überschwänglich klug ist, leidet nur für sich, der überschwänglich Dumme macht Andre leiden, denn sie müssen ihn anhören."
Auch die Baronin Eitelbach betrachtete Adelheid als eine Kranke; Adelheid litt an der Krankheit, in deren Ueberwindungsstadium sie sich selbst befand.
"Liebe Seele, hatte sie gesagt, ich kenne ja das. Sie sind verliebt, und wollen sich's nicht eingestehen."
Adelheid war aufgefahren: Sei es denn Zeit, um zu lieben, wo man nur hassen müsse! Sie hatte von der Ehre und der Noth des Vaterlandes gespro¬ chen, warm, wie es aus dem Herzen kam, in solchen Augenblicken dürfe der Mensch nicht an sich denken!
„Alſo darum kann ſie ihn nicht leiden!“ hatte zu ſeinem Nachbar der Kammerherr von St. Real geſagt, welcher die Cirkel der Fürſtin zu frequentiren anfing, ſich aber noch beſcheiden im Hintergrunde hielt. Meinen Sie nicht auch, lieber Doctor Herz, daß unſre jungen Mädchen anfangen an Ueber¬ ſchwänglichkeit zu leiden?“
Der Doctor hatte freundlich nickend ſeine Hand auf die Schulter des Kammerherrn gelegt: „Wir ſind Alle zu Leiden geboren; der Unterſchied iſt nur, daß die Einen an zu vielen Mängeln, die Andern an zu vielen Vollkommenheiten leiden. Zum Exem¬ pel, die Einen ſind zu dumm und die Andern zu klug. Beide Krankheiten ſind darin ſich gleich, daß beide incurabel ſind. Ihre Differenz aber iſt, und darin werden Herr Kammerherr mir wieder Recht geben: wer überſchwänglich klug iſt, leidet nur für ſich, der überſchwänglich Dumme macht Andre leiden, denn ſie müſſen ihn anhören.“
Auch die Baronin Eitelbach betrachtete Adelheid als eine Kranke; Adelheid litt an der Krankheit, in deren Ueberwindungsſtadium ſie ſich ſelbſt befand.
„Liebe Seele, hatte ſie geſagt, ich kenne ja das. Sie ſind verliebt, und wollen ſich's nicht eingeſtehen.“
Adelheid war aufgefahren: Sei es denn Zeit, um zu lieben, wo man nur haſſen müſſe! Sie hatte von der Ehre und der Noth des Vaterlandes geſpro¬ chen, warm, wie es aus dem Herzen kam, in ſolchen Augenblicken dürfe der Menſch nicht an ſich denken!
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„Alſo darum kann ſie ihn nicht leiden!“ hatte
zu ſeinem Nachbar der Kammerherr von St. Real
geſagt, welcher die Cirkel der Fürſtin zu frequentiren
anfing, ſich aber noch beſcheiden im Hintergrunde
hielt. Meinen Sie nicht auch, lieber Doctor Herz,
daß unſre jungen Mädchen anfangen an Ueber¬
ſchwänglichkeit zu leiden?“
Der Doctor hatte freundlich nickend ſeine Hand
auf die Schulter des Kammerherrn gelegt: „Wir
ſind Alle zu Leiden geboren; der Unterſchied iſt nur,
daß die Einen an zu vielen Mängeln, die Andern
an zu vielen Vollkommenheiten leiden. Zum Exem¬
pel, die Einen ſind zu dumm und die Andern zu
klug. Beide Krankheiten ſind darin ſich gleich, daß
beide incurabel ſind. Ihre Differenz aber iſt, und
darin werden Herr Kammerherr mir wieder Recht
geben: wer überſchwänglich klug iſt, leidet nur für
ſich, der überſchwänglich Dumme macht Andre leiden,
denn ſie müſſen ihn anhören.“
Auch die Baronin Eitelbach betrachtete Adelheid
als eine Kranke; Adelheid litt an der Krankheit, in
deren Ueberwindungsſtadium ſie ſich ſelbſt befand.
„Liebe Seele, hatte ſie geſagt, ich kenne ja das.
Sie ſind verliebt, und wollen ſich's nicht eingeſtehen.“
Adelheid war aufgefahren: Sei es denn Zeit, um
zu lieben, wo man nur haſſen müſſe! Sie hatte
von der Ehre und der Noth des Vaterlandes geſpro¬
chen, warm, wie es aus dem Herzen kam, in ſolchen
Augenblicken dürfe der Menſch nicht an ſich denken!
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/88>, abgerufen am 24.11.2024.
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