wenig als ich Sie täuschen will. Ja, ich bin im Kriege mit dieser Welt um mich her. Wenn ich nicht schon ganz gemieden, ausgestoßen bin, o glauben Sie nicht, daß es aus Menschenliebe, aus einem Rest von Achtung vor meinen Eigenschaften ist. Die ge¬ sellschaftlichen Rücksichten drücken ihren Stachel auf den zurück, der sie zuerst bricht. Das ist es allein. Darum kommt man noch in mein Haus, darum öff¬ nen sich die Flügelthüren, wo ich erscheine. Darum noch Händedrücke, plötzlich süße Mienen, wie sauer es ihnen auch wird, ein Embrassement! Ich gebe ja noch zu essen, ich habe einen Namen, mein Mann hat einen, meine Väter hatten einen. Andere führen eine glänzendere Tafel, haben höhere Titel, versam¬ meln anmuthigere Gesellschaft um sich, aber die Thü¬ ren könnten sich doch einmal schließen, man könnte hinausgestoßen werden, und dann bin ich gut genug als pis-aller. O die Menschen sind vorsichtige Re¬ chenmeister. Auch sind Einige so gütig, zu meinen, daß ich Verstand hätte, sogar einen scharfen. Ich sehe ihre Schwächen. Das ist Vielen sehr unange¬ nehm. Meine Zunge verwundet auch wohl; es ist meine Natur. Das ist vielen dieser zartgeschaffenen Seelen noch unangenehmer. Da sie mich nicht von der Welt schaffen können, was ihnen das Liebste wäre, versuchen sie, mit mir zu liebäugeln. Und das ist das Gescheiteste. Wen man fürchtet und nicht ver¬ nichten kann, muß man streicheln, bis die Gelegen¬ heit kommt, eine Fallgrube, in die man ihn hinter¬
wenig als ich Sie täuſchen will. Ja, ich bin im Kriege mit dieſer Welt um mich her. Wenn ich nicht ſchon ganz gemieden, ausgeſtoßen bin, o glauben Sie nicht, daß es aus Menſchenliebe, aus einem Reſt von Achtung vor meinen Eigenſchaften iſt. Die ge¬ ſellſchaftlichen Rückſichten drücken ihren Stachel auf den zurück, der ſie zuerſt bricht. Das iſt es allein. Darum kommt man noch in mein Haus, darum öff¬ nen ſich die Flügelthüren, wo ich erſcheine. Darum noch Händedrücke, plötzlich ſüße Mienen, wie ſauer es ihnen auch wird, ein Embraſſement! Ich gebe ja noch zu eſſen, ich habe einen Namen, mein Mann hat einen, meine Väter hatten einen. Andere führen eine glänzendere Tafel, haben höhere Titel, verſam¬ meln anmuthigere Geſellſchaft um ſich, aber die Thü¬ ren könnten ſich doch einmal ſchließen, man könnte hinausgeſtoßen werden, und dann bin ich gut genug als pis-aller. O die Menſchen ſind vorſichtige Re¬ chenmeiſter. Auch ſind Einige ſo gütig, zu meinen, daß ich Verſtand hätte, ſogar einen ſcharfen. Ich ſehe ihre Schwächen. Das iſt Vielen ſehr unange¬ nehm. Meine Zunge verwundet auch wohl; es iſt meine Natur. Das iſt vielen dieſer zartgeſchaffenen Seelen noch unangenehmer. Da ſie mich nicht von der Welt ſchaffen können, was ihnen das Liebſte wäre, verſuchen ſie, mit mir zu liebäugeln. Und das iſt das Geſcheiteſte. Wen man fürchtet und nicht ver¬ nichten kann, muß man ſtreicheln, bis die Gelegen¬ heit kommt, eine Fallgrube, in die man ihn hinter¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0070"n="60"/>
wenig als ich Sie täuſchen will. Ja, ich bin im<lb/>
Kriege mit dieſer Welt um mich her. Wenn ich nicht<lb/>ſchon ganz gemieden, ausgeſtoßen bin, o glauben Sie<lb/>
nicht, daß es aus Menſchenliebe, aus einem Reſt<lb/>
von Achtung vor meinen Eigenſchaften iſt. Die ge¬<lb/>ſellſchaftlichen Rückſichten drücken ihren Stachel auf<lb/>
den zurück, der ſie zuerſt bricht. Das iſt es allein.<lb/>
Darum kommt man noch in mein Haus, darum öff¬<lb/>
nen ſich die Flügelthüren, wo ich erſcheine. Darum<lb/>
noch Händedrücke, plötzlich ſüße Mienen, wie ſauer<lb/>
es ihnen auch wird, ein Embraſſement! Ich gebe<lb/>
ja noch zu eſſen, ich habe einen Namen, mein Mann<lb/>
hat einen, meine Väter hatten einen. Andere führen<lb/>
eine glänzendere Tafel, haben höhere Titel, verſam¬<lb/>
meln anmuthigere Geſellſchaft um ſich, aber die Thü¬<lb/>
ren könnten ſich doch einmal ſchließen, man könnte<lb/>
hinausgeſtoßen werden, und dann bin ich gut genug<lb/>
als <hirendition="#aq">pis-aller</hi>. O die Menſchen ſind vorſichtige Re¬<lb/>
chenmeiſter. Auch ſind Einige ſo gütig, zu meinen,<lb/>
daß ich Verſtand hätte, ſogar einen ſcharfen. Ich<lb/>ſehe ihre Schwächen. Das iſt Vielen ſehr unange¬<lb/>
nehm. Meine Zunge verwundet auch wohl; es iſt<lb/>
meine Natur. Das iſt vielen dieſer zartgeſchaffenen<lb/>
Seelen noch unangenehmer. Da ſie mich nicht von<lb/>
der Welt ſchaffen können, was ihnen das Liebſte<lb/>
wäre, verſuchen ſie, mit mir zu liebäugeln. Und das iſt<lb/>
das Geſcheiteſte. Wen man fürchtet und nicht ver¬<lb/>
nichten kann, muß man ſtreicheln, bis die Gelegen¬<lb/>
heit kommt, eine Fallgrube, in die man ihn hinter¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[60/0070]
wenig als ich Sie täuſchen will. Ja, ich bin im
Kriege mit dieſer Welt um mich her. Wenn ich nicht
ſchon ganz gemieden, ausgeſtoßen bin, o glauben Sie
nicht, daß es aus Menſchenliebe, aus einem Reſt
von Achtung vor meinen Eigenſchaften iſt. Die ge¬
ſellſchaftlichen Rückſichten drücken ihren Stachel auf
den zurück, der ſie zuerſt bricht. Das iſt es allein.
Darum kommt man noch in mein Haus, darum öff¬
nen ſich die Flügelthüren, wo ich erſcheine. Darum
noch Händedrücke, plötzlich ſüße Mienen, wie ſauer
es ihnen auch wird, ein Embraſſement! Ich gebe
ja noch zu eſſen, ich habe einen Namen, mein Mann
hat einen, meine Väter hatten einen. Andere führen
eine glänzendere Tafel, haben höhere Titel, verſam¬
meln anmuthigere Geſellſchaft um ſich, aber die Thü¬
ren könnten ſich doch einmal ſchließen, man könnte
hinausgeſtoßen werden, und dann bin ich gut genug
als pis-aller. O die Menſchen ſind vorſichtige Re¬
chenmeiſter. Auch ſind Einige ſo gütig, zu meinen,
daß ich Verſtand hätte, ſogar einen ſcharfen. Ich
ſehe ihre Schwächen. Das iſt Vielen ſehr unange¬
nehm. Meine Zunge verwundet auch wohl; es iſt
meine Natur. Das iſt vielen dieſer zartgeſchaffenen
Seelen noch unangenehmer. Da ſie mich nicht von
der Welt ſchaffen können, was ihnen das Liebſte
wäre, verſuchen ſie, mit mir zu liebäugeln. Und das iſt
das Geſcheiteſte. Wen man fürchtet und nicht ver¬
nichten kann, muß man ſtreicheln, bis die Gelegen¬
heit kommt, eine Fallgrube, in die man ihn hinter¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/70>, abgerufen am 12.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.