es schnitt ihm hinein, tiefer, als die Herren Ausleger denken; der Schnitt steht nur zwischen den Versen, und da verstehn sie nicht zu lesen. Was hätte es nun geholfen, wenn er sich ins Schwert gestürzt? Was hatte Rom davon, daß Brutus es that! Horaz warf seinen Schild fort, machte sich auf die Behen¬ digkeit seiner Hacken, und als er stille stand, und sich den Staub abklopfte, sah er, daß der Himmel noch immer blau war und die Sonne so lau und golden auf das schöne Italien schien, als vorhin. Hätte er nun krächzen sollen wie die Eule Tacitus von ihrem alten Thurm, Zeter und Wehe über die Verderbniß der Zeit! Hat Tacitus die Zeit besser gemacht, oder die römischen Sitten, hat er Rom nur einen bessern Kaiser verschafft? Contrair, sie wurden immer schlimmer. Die Bußprediger thuns nicht, und in das Rad der Weltgeschicke greift keiner ein; das geht über die Köpfe der Völker und Königreiche. Ein Narr, wer da glaubt, daß er in die Speiche faßt, ohne zermalmt zu werden und ausgelacht obenein. Horaz schloß Frieden. Hat er darum sein Vaterland verrathen? Sein Vaterland war größer. Ubi bene ibi patria! Er sang: Beatus ille qui procul negotiis -- Sein contentam ducit vitam klang wie süße Musik unsern Vätern ins Ohr. Er ließ die laufen, quos curriculo pulverem olympicum collegisse juvat, und freute sich, von Rosen und Epheu umkränzt, am funkelnden Falerner. Er ließ den Augustus regieren, wie er Lust hatte, denn er stand unter dem bessern
es ſchnitt ihm hinein, tiefer, als die Herren Ausleger denken; der Schnitt ſteht nur zwiſchen den Verſen, und da verſtehn ſie nicht zu leſen. Was hätte es nun geholfen, wenn er ſich ins Schwert geſtürzt? Was hatte Rom davon, daß Brutus es that! Horaz warf ſeinen Schild fort, machte ſich auf die Behen¬ digkeit ſeiner Hacken, und als er ſtille ſtand, und ſich den Staub abklopfte, ſah er, daß der Himmel noch immer blau war und die Sonne ſo lau und golden auf das ſchöne Italien ſchien, als vorhin. Hätte er nun krächzen ſollen wie die Eule Tacitus von ihrem alten Thurm, Zeter und Wehe über die Verderbniß der Zeit! Hat Tacitus die Zeit beſſer gemacht, oder die römiſchen Sitten, hat er Rom nur einen beſſern Kaiſer verſchafft? Contrair, ſie wurden immer ſchlimmer. Die Bußprediger thuns nicht, und in das Rad der Weltgeſchicke greift keiner ein; das geht über die Köpfe der Völker und Königreiche. Ein Narr, wer da glaubt, daß er in die Speiche faßt, ohne zermalmt zu werden und ausgelacht obenein. Horaz ſchloß Frieden. Hat er darum ſein Vaterland verrathen? Sein Vaterland war größer. Ubi bene ibi patria! Er ſang: Beatus ille qui procul negotiis — Sein contentam ducit vitam klang wie ſüße Muſik unſern Vätern ins Ohr. Er ließ die laufen, quos curriculo pulverem olympicum collegisse juvat, und freute ſich, von Roſen und Epheu umkränzt, am funkelnden Falerner. Er ließ den Auguſtus regieren, wie er Luſt hatte, denn er ſtand unter dem beſſern
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es ſchnitt ihm hinein, tiefer, als die Herren Ausleger
denken; der Schnitt ſteht nur zwiſchen den Verſen,
und da verſtehn ſie nicht zu leſen. Was hätte es
nun geholfen, wenn er ſich ins Schwert geſtürzt?
Was hatte Rom davon, daß Brutus es that! Horaz
warf ſeinen Schild fort, machte ſich auf die Behen¬
digkeit ſeiner Hacken, und als er ſtille ſtand, und ſich
den Staub abklopfte, ſah er, daß der Himmel noch
immer blau war und die Sonne ſo lau und
golden auf das ſchöne Italien ſchien, als vorhin.
Hätte er nun krächzen ſollen wie die Eule Tacitus
von ihrem alten Thurm, Zeter und Wehe über
die Verderbniß der Zeit! Hat Tacitus die Zeit beſſer
gemacht, oder die römiſchen Sitten, hat er Rom nur
einen beſſern Kaiſer verſchafft? Contrair, ſie wurden
immer ſchlimmer. Die Bußprediger thuns nicht, und
in das Rad der Weltgeſchicke greift keiner ein;
das geht über die Köpfe der Völker und Königreiche.
Ein Narr, wer da glaubt, daß er in die Speiche faßt,
ohne zermalmt zu werden und ausgelacht obenein.
Horaz ſchloß Frieden. Hat er darum ſein Vaterland
verrathen? Sein Vaterland war größer. Ubi bene
ibi patria! Er ſang: Beatus ille qui procul negotiis —
Sein contentam ducit vitam klang wie ſüße Muſik
unſern Vätern ins Ohr. Er ließ die laufen, quos
curriculo pulverem olympicum collegisse juvat, und
freute ſich, von Roſen und Epheu umkränzt, am
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/63>, abgerufen am 11.12.2024.
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