Viertes Kapitel. Ob's edler im Gemüth, die Pfeil und Schleudern Des wüthenden Geschicks erdulden oder --
"Thorheit, zu glauben, daß ein Mensch seiner Zeit voraufgeht. Von der Strömung in der Luft werden wir gezogen, wie die Atome dem Athem zufliegen. Es ist das unergründete Gesetz in der moralischen Welt, was den Riesen wie den Zwerg regiert, und die tollste Ironie ist es, der wahn¬ sinnigste Traum unsrer trunkenen Phantasie, zu wähnen, daß wir aus eignem freien Impuls die Welt nur um eine Spanne weiter rücken!"
Zwei Genesende saßen auf einer abgelegenen Bank im Thiergarten, die laue Sommerluft ein¬ schlürfend. Der eine, den Arm in einer schwarzen Binde, -- schien seine Krankheit bereits abgeschüttelt zu haben, und das blasse Gesicht röthete sich, wäh¬ rend die Glieder oft elastisch zückten. Es war Walter. Der andre trug keine sichtliche Verwun¬ dung, aber der kräftige Geist schien mit einer physischen Mattigkeit im fortdauernden Kampf, und
Viertes Kapitel. Ob's edler im Gemüth, die Pfeil und Schleudern Des wüthenden Geſchicks erdulden oder —
„Thorheit, zu glauben, daß ein Menſch ſeiner Zeit voraufgeht. Von der Strömung in der Luft werden wir gezogen, wie die Atome dem Athem zufliegen. Es iſt das unergründete Geſetz in der moraliſchen Welt, was den Rieſen wie den Zwerg regiert, und die tollſte Ironie iſt es, der wahn¬ ſinnigſte Traum unſrer trunkenen Phantaſie, zu wähnen, daß wir aus eignem freien Impuls die Welt nur um eine Spanne weiter rücken!“
Zwei Geneſende ſaßen auf einer abgelegenen Bank im Thiergarten, die laue Sommerluft ein¬ ſchlürfend. Der eine, den Arm in einer ſchwarzen Binde, — ſchien ſeine Krankheit bereits abgeſchüttelt zu haben, und das blaſſe Geſicht röthete ſich, wäh¬ rend die Glieder oft elaſtiſch zückten. Es war Walter. Der andre trug keine ſichtliche Verwun¬ dung, aber der kräftige Geiſt ſchien mit einer phyſiſchen Mattigkeit im fortdauernden Kampf, und
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[[44]/0054]
Viertes Kapitel.
Ob's edler im Gemüth, die Pfeil und Schleudern
Des wüthenden Geſchicks erdulden oder —
„Thorheit, zu glauben, daß ein Menſch ſeiner
Zeit voraufgeht. Von der Strömung in der Luft
werden wir gezogen, wie die Atome dem Athem
zufliegen. Es iſt das unergründete Geſetz in der
moraliſchen Welt, was den Rieſen wie den Zwerg
regiert, und die tollſte Ironie iſt es, der wahn¬
ſinnigſte Traum unſrer trunkenen Phantaſie, zu
wähnen, daß wir aus eignem freien Impuls die
Welt nur um eine Spanne weiter rücken!“
Zwei Geneſende ſaßen auf einer abgelegenen
Bank im Thiergarten, die laue Sommerluft ein¬
ſchlürfend. Der eine, den Arm in einer ſchwarzen
Binde, — ſchien ſeine Krankheit bereits abgeſchüttelt
zu haben, und das blaſſe Geſicht röthete ſich, wäh¬
rend die Glieder oft elaſtiſch zückten. Es war
Walter. Der andre trug keine ſichtliche Verwun¬
dung, aber der kräftige Geiſt ſchien mit einer
phyſiſchen Mattigkeit im fortdauernden Kampf, und
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. [44]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/54>, abgerufen am 22.11.2024.
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