"Ach, ich weiß Jemand, der würde sich zuknöpfen, wenn man ihm ins Herz sehn wollte!"
"Wer ist das?" Wandel schien über diese Wen¬ dung des Gesprächs noch weniger erfreut.
"Sie sind ein guter Mensch, Herr von Wandel, aber voller Finten. Reden Sie sich ja nicht aus, ich weiß es."
Er hatte ihre schöne Hand, die über der Divan¬ lehne lag, erfaßt und drückte sie sanft an die Lippen. "Könnten Sie in dies Herz schauen! sprach er seufzend. Finten nennt es meine Freundin. Im¬ merhin! Finten sind Spitzen, aber es sind blutende Spitzen, Dolchstiche, Dornen, die Andre hinein ge¬ drückt. Da ist der einzige, aber ein süßer Trost, daß um diese Dornen Rosen blühten."
Sie hatte die Hand ruhig seinen Küssen über¬ lassen, und schien verwundert, als er plötzlich aufstand und den Stuhl wegsetzte.
"Wohin wollen Sie denn?"
"Nach dem Lande, wo keine Rosen blühen."
"Jetzt doch nicht gleich?"
"Ich bin keine Stunde sicher, daß nicht die Pässe und Anweisungen aus Petersburg eintreffen, und dann darf meines Verweilens nicht mehr lange sein. Die Academie in Petersburg hat zu meiner Beschämung eine so dringende Vorstellung an Seine Majestät den Kaiser gerichtet, die Untersuchung der Bergwerke für so wichtig erklärt, und meine geringen Kenntnisse so hoch an¬ geschlagen, daß ich undankbar wäre, wenn ich dem ehren¬ vollen Rufe zu folgen nur einen Augenblick zauderte."
„Ach, ich weiß Jemand, der würde ſich zuknöpfen, wenn man ihm ins Herz ſehn wollte!“
„Wer iſt das?“ Wandel ſchien über dieſe Wen¬ dung des Geſprächs noch weniger erfreut.
„Sie ſind ein guter Menſch, Herr von Wandel, aber voller Finten. Reden Sie ſich ja nicht aus, ich weiß es.“
Er hatte ihre ſchöne Hand, die über der Divan¬ lehne lag, erfaßt und drückte ſie ſanft an die Lippen. „Könnten Sie in dies Herz ſchauen! ſprach er ſeufzend. Finten nennt es meine Freundin. Im¬ merhin! Finten ſind Spitzen, aber es ſind blutende Spitzen, Dolchſtiche, Dornen, die Andre hinein ge¬ drückt. Da iſt der einzige, aber ein ſüßer Troſt, daß um dieſe Dornen Roſen blühten.“
Sie hatte die Hand ruhig ſeinen Küſſen über¬ laſſen, und ſchien verwundert, als er plötzlich aufſtand und den Stuhl wegſetzte.
„Wohin wollen Sie denn?“
„Nach dem Lande, wo keine Roſen blühen.“
„Jetzt doch nicht gleich?“
„Ich bin keine Stunde ſicher, daß nicht die Päſſe und Anweiſungen aus Petersburg eintreffen, und dann darf meines Verweilens nicht mehr lange ſein. Die Academie in Petersburg hat zu meiner Beſchämung eine ſo dringende Vorſtellung an Seine Majeſtät den Kaiſer gerichtet, die Unterſuchung der Bergwerke für ſo wichtig erklärt, und meine geringen Kenntniſſe ſo hoch an¬ geſchlagen, daß ich undankbar wäre, wenn ich dem ehren¬ vollen Rufe zu folgen nur einen Augenblick zauderte.“
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„Ach, ich weiß Jemand, der würde ſich zuknöpfen,
wenn man ihm ins Herz ſehn wollte!“
„Wer iſt das?“ Wandel ſchien über dieſe Wen¬
dung des Geſprächs noch weniger erfreut.
„Sie ſind ein guter Menſch, Herr von Wandel, aber
voller Finten. Reden Sie ſich ja nicht aus, ich weiß es.“
Er hatte ihre ſchöne Hand, die über der Divan¬
lehne lag, erfaßt und drückte ſie ſanft an die Lippen.
„Könnten Sie in dies Herz ſchauen! ſprach er
ſeufzend. Finten nennt es meine Freundin. Im¬
merhin! Finten ſind Spitzen, aber es ſind blutende
Spitzen, Dolchſtiche, Dornen, die Andre hinein ge¬
drückt. Da iſt der einzige, aber ein ſüßer Troſt, daß
um dieſe Dornen Roſen blühten.“
Sie hatte die Hand ruhig ſeinen Küſſen über¬
laſſen, und ſchien verwundert, als er plötzlich aufſtand
und den Stuhl wegſetzte.
„Wohin wollen Sie denn?“
„Nach dem Lande, wo keine Roſen blühen.“
„Jetzt doch nicht gleich?“
„Ich bin keine Stunde ſicher, daß nicht die Päſſe
und Anweiſungen aus Petersburg eintreffen, und dann
darf meines Verweilens nicht mehr lange ſein. Die
Academie in Petersburg hat zu meiner Beſchämung
eine ſo dringende Vorſtellung an Seine Majeſtät den
Kaiſer gerichtet, die Unterſuchung der Bergwerke für ſo
wichtig erklärt, und meine geringen Kenntniſſe ſo hoch an¬
geſchlagen, daß ich undankbar wäre, wenn ich dem ehren¬
vollen Rufe zu folgen nur einen Augenblick zauderte.“
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/48>, abgerufen am 17.02.2025.
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