lich genug. Sie stand auf, sie sah, sie hörte nichts mehr, quer durch das Zimmer wankend, stürzte sie auf's Sopha. Thränen, um zu weinen, fand sie nicht, die Augen brannten unter den vorgehaltenen Händen. Endlich ward es ein krampfhaftes Schlucken, Schluchzen, ihre Füße klappten auf dem Boden, ihre Brust hob und senkte sich, sie holte Luft.
Wandel falzte das Papier und steckte es in die Brieftasche, die Goldrollen hatten in den Taschen nicht rechten Platz. Er schlang um einen Theil sein seidenes Tuch, legte das Pack in den Hut und wollte leise zur Thür hinaus, als -- ihm ein anderer Gedanke kam.
Er saß neben der Lupinus, als sie die Augen aufschlug.
"Noch martern!" rief sie zusammenzuckend.
"Nein, war die Antwort mit fester Stimme, nur zu stählen wünschte ich meine Freundin."
"Das Wort nicht mehr aus Ihrem Munde! Kennten Sie, was Erbarmen heißt, bäte ich Sie, mir aus den Augen, aus meiner Nähe! Ein Todten¬ gerippe könnte mit seinen hohlen Augen mich nicht so entsetzlich anstarren."
"Denken Sie, ich wäre eines, lächelte er. Ich habe ein solches stets neben mir -- eine einst heiß geliebte Freundin. Wenn ich verzweifeln wollte, das Blut gegen die Stirn preßte, wenn ich einen dummen Streich zu begehen im Begriff war -- dumm sind alle Handlungen, deren Impuls im Blute liegt -- dann drück ich ihr die Knochenhand, ich presse mich an
lich genug. Sie ſtand auf, ſie ſah, ſie hörte nichts mehr, quer durch das Zimmer wankend, ſtürzte ſie auf's Sopha. Thränen, um zu weinen, fand ſie nicht, die Augen brannten unter den vorgehaltenen Händen. Endlich ward es ein krampfhaftes Schlucken, Schluchzen, ihre Füße klappten auf dem Boden, ihre Bruſt hob und ſenkte ſich, ſie holte Luft.
Wandel falzte das Papier und ſteckte es in die Brieftaſche, die Goldrollen hatten in den Taſchen nicht rechten Platz. Er ſchlang um einen Theil ſein ſeidenes Tuch, legte das Pack in den Hut und wollte leiſe zur Thür hinaus, als — ihm ein anderer Gedanke kam.
Er ſaß neben der Lupinus, als ſie die Augen aufſchlug.
„Noch martern!“ rief ſie zuſammenzuckend.
„Nein, war die Antwort mit feſter Stimme, nur zu ſtählen wünſchte ich meine Freundin.“
„Das Wort nicht mehr aus Ihrem Munde! Kennten Sie, was Erbarmen heißt, bäte ich Sie, mir aus den Augen, aus meiner Nähe! Ein Todten¬ gerippe könnte mit ſeinen hohlen Augen mich nicht ſo entſetzlich anſtarren.“
„Denken Sie, ich wäre eines, lächelte er. Ich habe ein ſolches ſtets neben mir — eine einſt heiß geliebte Freundin. Wenn ich verzweifeln wollte, das Blut gegen die Stirn preßte, wenn ich einen dummen Streich zu begehen im Begriff war — dumm ſind alle Handlungen, deren Impuls im Blute liegt — dann drück ich ihr die Knochenhand, ich preſſe mich an
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lich genug. Sie ſtand auf, ſie ſah, ſie hörte nichts
mehr, quer durch das Zimmer wankend, ſtürzte ſie
auf's Sopha. Thränen, um zu weinen, fand ſie
nicht, die Augen brannten unter den vorgehaltenen
Händen. Endlich ward es ein krampfhaftes Schlucken,
Schluchzen, ihre Füße klappten auf dem Boden, ihre
Bruſt hob und ſenkte ſich, ſie holte Luft.
Wandel falzte das Papier und ſteckte es in die
Brieftaſche, die Goldrollen hatten in den Taſchen nicht
rechten Platz. Er ſchlang um einen Theil ſein ſeidenes
Tuch, legte das Pack in den Hut und wollte leiſe zur
Thür hinaus, als — ihm ein anderer Gedanke kam.
Er ſaß neben der Lupinus, als ſie die Augen
aufſchlug.
„Noch martern!“ rief ſie zuſammenzuckend.
„Nein, war die Antwort mit feſter Stimme, nur
zu ſtählen wünſchte ich meine Freundin.“
„Das Wort nicht mehr aus Ihrem Munde!
Kennten Sie, was Erbarmen heißt, bäte ich Sie,
mir aus den Augen, aus meiner Nähe! Ein Todten¬
gerippe könnte mit ſeinen hohlen Augen mich nicht
ſo entſetzlich anſtarren.“
„Denken Sie, ich wäre eines, lächelte er. Ich
habe ein ſolches ſtets neben mir — eine einſt heiß
geliebte Freundin. Wenn ich verzweifeln wollte, das
Blut gegen die Stirn preßte, wenn ich einen dummen
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alle Handlungen, deren Impuls im Blute liegt —
dann drück ich ihr die Knochenhand, ich preſſe mich an
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/357>, abgerufen am 17.07.2024.
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