Da liegt sie still, zusammengekauert, ich möchte sagen, fromm, im Centrum ihres Kreises, sie scheint zu schlafen, aber sie ist nur pensiv, sie brütet über ihr ungerechtes Loos. Warum gab die Natur den Flie¬ gen, Bremsen, Mücken, Wespen Flügel? Sie flat¬ tern, spielen in den Lüften ein gedankenloses Spiel, sie naschen an den Blumen, sie schlürfen den Sonnen¬ schein. Die Spinne ist stiefmütterlich behandelt, sie, die arbeitsame, denkende Schöpferin, muß an Mauern kriechen, in Winkeln ihr Gehänge spinnen, aus ihrer besten Kraft, nur um sich zu halten, zu existiren. Sie ist gescheut, verachtet. Soll sie nicht dem Schicksal, dem ungerechten, zürnen, nicht Grimm im Herzen tragen! Beim Allmächtigen, meine Freundin, welcher Gerechte fordert das von ihr! Sie fügt sich in das Unabänderliche, sie wartet und lauert; einmal kommt doch der Augenblick, um das Gefühl der Rache zu kühlen. Dann -- auch dann stürzt sie noch nicht wie eine Harpye auf ihr Opfer los. Sie scheint fort¬ zuschlafen, bis der unbesonnene Wildfang sich in das Netz verwickelt hat, strampelt. Dann -- Was ich plaudere! -- Da halte ich Sie ab von der Pflege des armen Kranken. -- Es wird ja ohnedem nicht mehr lange dauern. -- Sollte der Krieg losbrechen, ach Gott, eine wahre Wohlthat, wenn der liebe Gott den Dulder früher zu sich nimmt. Denken Sie den armen Gelehrten, wenn der Feind einrückte! Oder Berlin wird gestürmt; welches Loos, wenn er mit seinem noli turbare circulos meos dem französischen
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Da liegt ſie ſtill, zuſammengekauert, ich möchte ſagen, fromm, im Centrum ihres Kreiſes, ſie ſcheint zu ſchlafen, aber ſie iſt nur penſiv, ſie brütet über ihr ungerechtes Loos. Warum gab die Natur den Flie¬ gen, Bremſen, Mücken, Wespen Flügel? Sie flat¬ tern, ſpielen in den Lüften ein gedankenloſes Spiel, ſie naſchen an den Blumen, ſie ſchlürfen den Sonnen¬ ſchein. Die Spinne iſt ſtiefmütterlich behandelt, ſie, die arbeitſame, denkende Schöpferin, muß an Mauern kriechen, in Winkeln ihr Gehänge ſpinnen, aus ihrer beſten Kraft, nur um ſich zu halten, zu exiſtiren. Sie iſt geſcheut, verachtet. Soll ſie nicht dem Schickſal, dem ungerechten, zürnen, nicht Grimm im Herzen tragen! Beim Allmächtigen, meine Freundin, welcher Gerechte fordert das von ihr! Sie fügt ſich in das Unabänderliche, ſie wartet und lauert; einmal kommt doch der Augenblick, um das Gefühl der Rache zu kühlen. Dann — auch dann ſtürzt ſie noch nicht wie eine Harpye auf ihr Opfer los. Sie ſcheint fort¬ zuſchlafen, bis der unbeſonnene Wildfang ſich in das Netz verwickelt hat, ſtrampelt. Dann — Was ich plaudere! — Da halte ich Sie ab von der Pflege des armen Kranken. — Es wird ja ohnedem nicht mehr lange dauern. — Sollte der Krieg losbrechen, ach Gott, eine wahre Wohlthat, wenn der liebe Gott den Dulder früher zu ſich nimmt. Denken Sie den armen Gelehrten, wenn der Feind einrückte! Oder Berlin wird geſtürmt; welches Loos, wenn er mit ſeinem noli turbare circulos meos dem franzöſiſchen
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Da liegt ſie ſtill, zuſammengekauert, ich möchte ſagen,
fromm, im Centrum ihres Kreiſes, ſie ſcheint zu
ſchlafen, aber ſie iſt nur penſiv, ſie brütet über ihr
ungerechtes Loos. Warum gab die Natur den Flie¬
gen, Bremſen, Mücken, Wespen Flügel? Sie flat¬
tern, ſpielen in den Lüften ein gedankenloſes Spiel,
ſie naſchen an den Blumen, ſie ſchlürfen den Sonnen¬
ſchein. Die Spinne iſt ſtiefmütterlich behandelt, ſie,
die arbeitſame, denkende Schöpferin, muß an Mauern
kriechen, in Winkeln ihr Gehänge ſpinnen, aus ihrer
beſten Kraft, nur um ſich zu halten, zu exiſtiren. Sie
iſt geſcheut, verachtet. Soll ſie nicht dem Schickſal,
dem ungerechten, zürnen, nicht Grimm im Herzen
tragen! Beim Allmächtigen, meine Freundin, welcher
Gerechte fordert das von ihr! Sie fügt ſich in das
Unabänderliche, ſie wartet und lauert; einmal kommt
doch der Augenblick, um das Gefühl der Rache zu
kühlen. Dann — auch dann ſtürzt ſie noch nicht wie
eine Harpye auf ihr Opfer los. Sie ſcheint fort¬
zuſchlafen, bis der unbeſonnene Wildfang ſich in das
Netz verwickelt hat, ſtrampelt. Dann — Was ich
plaudere! — Da halte ich Sie ab von der Pflege
des armen Kranken. — Es wird ja ohnedem nicht
mehr lange dauern. — Sollte der Krieg losbrechen,
ach Gott, eine wahre Wohlthat, wenn der liebe Gott
den Dulder früher zu ſich nimmt. Denken Sie den
armen Gelehrten, wenn der Feind einrückte! Oder
Berlin wird geſtürmt; welches Loos, wenn er mit
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/349>, abgerufen am 23.11.2024.
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