"Mein theuerster Herr! sprach der Legationsrath wieder mit der gewohnten Ueberlegenheit des vorneh¬ men Mannes, und auch sein Kostüm hinderte ihn nicht, die Situation, die er liebte, einzunehmen, ein Bein über das andere, den Hinterkopf mit der Lehne, die Finger der rechten Hand mit sich selbst spielend. Mein theurer Herr, wenn wir uns doch gewöhnten, die Verhältnisse zu betrachten, wie sie sind. Was sind die Menschen in ihrer Massenhaftigkeit anders, als Heerden zweibeiniger Geschöpfe, bestimmt, von Anderen, die klüger sind, geleitet zu werden. Sie wären ja wie die Schaafe, unglücklich, wenn sie kei¬ nen Bock hätten, der ihnen vorspringt. Oder hul¬ digen Sie dem Perfectibilitätsglauben, daß dieses Con¬ volut von Dummköpfen einmal Vernunft bekommen kann? Daß sich dann Alles von selbst machen werde, was jetzt die Gescheiten für die Anderen denken und abthun? Nicht einmal zu der Einsicht kommen sie, trotz der Erfahrung von so viel tausend Jahren, daß sie nicht klüger werden, als die vor ihnen waren. Lieber Herr, ich bitte Sie, wo hat die Menge denn ein Urtheil, nur über die gewöhnlichsten Dinge? Sehn Sie in's Theater, wie sie ängstlich werden, bis eine Autorität den Mund aufthut, damit sie sein Urtheil nachsprechen können. Verständigen wir uns doch nur darüber, was sind sie denn weiter als unsre Packesel; und darüber ist allein die Frage, wer ihnen seine Last aufpackt, und wer den Esel schlägt. Wozu stifteten sie Freimaurerorden, Gemeindeordnungen, eleu¬
„Mein theuerſter Herr! ſprach der Legationsrath wieder mit der gewohnten Ueberlegenheit des vorneh¬ men Mannes, und auch ſein Koſtüm hinderte ihn nicht, die Situation, die er liebte, einzunehmen, ein Bein über das andere, den Hinterkopf mit der Lehne, die Finger der rechten Hand mit ſich ſelbſt ſpielend. Mein theurer Herr, wenn wir uns doch gewöhnten, die Verhältniſſe zu betrachten, wie ſie ſind. Was ſind die Menſchen in ihrer Maſſenhaftigkeit anders, als Heerden zweibeiniger Geſchöpfe, beſtimmt, von Anderen, die klüger ſind, geleitet zu werden. Sie wären ja wie die Schaafe, unglücklich, wenn ſie kei¬ nen Bock hätten, der ihnen vorſpringt. Oder hul¬ digen Sie dem Perfectibilitätsglauben, daß dieſes Con¬ volut von Dummköpfen einmal Vernunft bekommen kann? Daß ſich dann Alles von ſelbſt machen werde, was jetzt die Geſcheiten für die Anderen denken und abthun? Nicht einmal zu der Einſicht kommen ſie, trotz der Erfahrung von ſo viel tauſend Jahren, daß ſie nicht klüger werden, als die vor ihnen waren. Lieber Herr, ich bitte Sie, wo hat die Menge denn ein Urtheil, nur über die gewöhnlichſten Dinge? Sehn Sie in's Theater, wie ſie ängſtlich werden, bis eine Autorität den Mund aufthut, damit ſie ſein Urtheil nachſprechen können. Verſtändigen wir uns doch nur darüber, was ſind ſie denn weiter als unſre Packeſel; und darüber iſt allein die Frage, wer ihnen ſeine Laſt aufpackt, und wer den Eſel ſchlägt. Wozu ſtifteten ſie Freimaurerorden, Gemeindeordnungen, eleu¬
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„Mein theuerſter Herr! ſprach der Legationsrath
wieder mit der gewohnten Ueberlegenheit des vorneh¬
men Mannes, und auch ſein Koſtüm hinderte ihn
nicht, die Situation, die er liebte, einzunehmen, ein
Bein über das andere, den Hinterkopf mit der Lehne,
die Finger der rechten Hand mit ſich ſelbſt ſpielend.
Mein theurer Herr, wenn wir uns doch gewöhnten,
die Verhältniſſe zu betrachten, wie ſie ſind. Was
ſind die Menſchen in ihrer Maſſenhaftigkeit anders,
als Heerden zweibeiniger Geſchöpfe, beſtimmt, von
Anderen, die klüger ſind, geleitet zu werden. Sie
wären ja wie die Schaafe, unglücklich, wenn ſie kei¬
nen Bock hätten, der ihnen vorſpringt. Oder hul¬
digen Sie dem Perfectibilitätsglauben, daß dieſes Con¬
volut von Dummköpfen einmal Vernunft bekommen
kann? Daß ſich dann Alles von ſelbſt machen werde,
was jetzt die Geſcheiten für die Anderen denken und
abthun? Nicht einmal zu der Einſicht kommen ſie,
trotz der Erfahrung von ſo viel tauſend Jahren, daß
ſie nicht klüger werden, als die vor ihnen waren.
Lieber Herr, ich bitte Sie, wo hat die Menge denn
ein Urtheil, nur über die gewöhnlichſten Dinge?
Sehn Sie in's Theater, wie ſie ängſtlich werden,
bis eine Autorität den Mund aufthut, damit ſie ſein
Urtheil nachſprechen können. Verſtändigen wir uns
doch nur darüber, was ſind ſie denn weiter als unſre
Packeſel; und darüber iſt allein die Frage, wer ihnen
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/327>, abgerufen am 24.11.2024.
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