Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Du warst mir sehr gleichgültig geworden, und mir
entging darum eine schöne Irländerin, auf die ich
mein Aug' geworfen. Nachher schwiegst Du nicht --
Du schriebst einen Brief -- Du schriebst Dir selbst Dein
Urtheil -- darüber kannst Du nicht klagen. Aber ich --

Er verzog das Gesicht und ballte die Faust ge¬
gen das Bild: Der Brief -- den ich fand, ist zu
Aschenstäubchen aufgelodert, aber es stand darin von
einem andern Briefe, der meiner Wachsamkeit ent¬
schlüpft war -- Molly! Molly! -- Sein Gesicht be¬
kam einen furchtbar häßlichen Ausdruck; die Zähne
fletschten zwischen den zurückgekniffenen Lippen wie die
Hauer eines Ebers, die Augen sprühten das grün¬
liche Feuer einer wilden Katze. Aber der Paroxys¬
mus der Wuth und Angst war schnell vorüber, die
aschgraue Urnenruhe lagerte sich wieder auf dem
gelben Gesichte, die Finger entklammerten sich. --
Possen! In einem Dutzend Jahren und nicht zum
Vorschein gekommen! Feuer -- Regengüsse -- Feuch¬
tigkeit -- Staub und dünnes Briefpapier! -- Lacht
Ihr, daß ich mich noch zuweilen ängstigen kann! --
Mes dames! was wollen Sie? Ich beweise Ihnen
ja das vollste Vertrauen -- Ja, Sie sehen Alles.
Sie brauchen jetzt durch kein Schlüsselloch zu obser¬
viren, ich verhänge nicht einmal Ihr Gesicht. Was
verlangen Sie mehr? Einige Galanterie? -- Mes
dames de Bruckerode, je vous assure, que tout ce
que vous voyez n'est que moutarde apres deiner, rien
qu'un dessert maigre apres un repas delicieux.
--

Du warſt mir ſehr gleichgültig geworden, und mir
entging darum eine ſchöne Irländerin, auf die ich
mein Aug' geworfen. Nachher ſchwiegſt Du nicht —
Du ſchriebſt einen Brief — Du ſchriebſt Dir ſelbſt Dein
Urtheil — darüber kannſt Du nicht klagen. Aber ich —

Er verzog das Geſicht und ballte die Fauſt ge¬
gen das Bild: Der Brief — den ich fand, iſt zu
Aſchenſtäubchen aufgelodert, aber es ſtand darin von
einem andern Briefe, der meiner Wachſamkeit ent¬
ſchlüpft war — Molly! Molly! — Sein Geſicht be¬
kam einen furchtbar häßlichen Ausdruck; die Zähne
fletſchten zwiſchen den zurückgekniffenen Lippen wie die
Hauer eines Ebers, die Augen ſprühten das grün¬
liche Feuer einer wilden Katze. Aber der Paroxys¬
mus der Wuth und Angſt war ſchnell vorüber, die
aſchgraue Urnenruhe lagerte ſich wieder auf dem
gelben Geſichte, die Finger entklammerten ſich. —
Poſſen! In einem Dutzend Jahren und nicht zum
Vorſchein gekommen! Feuer — Regengüſſe — Feuch¬
tigkeit — Staub und dünnes Briefpapier! — Lacht
Ihr, daß ich mich noch zuweilen ängſtigen kann! —
Mes dames! was wollen Sie? Ich beweiſe Ihnen
ja das vollſte Vertrauen — Ja, Sie ſehen Alles.
Sie brauchen jetzt durch kein Schlüſſelloch zu obſer¬
viren, ich verhänge nicht einmal Ihr Geſicht. Was
verlangen Sie mehr? Einige Galanterie? — Mes
dames de Bruckerode, je vous assure, que tout ce
que vous voyez n'est que moutarde après dîner, rien
qu'un dessert maigre après un repas délicieux.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0314" n="304"/>
Du war&#x017F;t mir &#x017F;ehr gleichgültig geworden, und mir<lb/>
entging darum eine &#x017F;chöne Irländerin, auf die ich<lb/>
mein Aug' geworfen. Nachher &#x017F;chwieg&#x017F;t Du nicht &#x2014;<lb/>
Du &#x017F;chrieb&#x017F;t einen Brief &#x2014; Du &#x017F;chrieb&#x017F;t Dir &#x017F;elb&#x017F;t Dein<lb/>
Urtheil &#x2014; darüber kann&#x017F;t Du nicht klagen. Aber ich &#x2014;</p><lb/>
        <p>Er verzog das Ge&#x017F;icht und ballte die Fau&#x017F;t ge¬<lb/>
gen das Bild: Der Brief &#x2014; den ich fand, i&#x017F;t zu<lb/>
A&#x017F;chen&#x017F;täubchen aufgelodert, aber es &#x017F;tand darin von<lb/>
einem andern Briefe, der meiner Wach&#x017F;amkeit ent¬<lb/>
&#x017F;chlüpft war &#x2014; Molly! Molly! &#x2014; Sein Ge&#x017F;icht be¬<lb/>
kam einen furchtbar häßlichen Ausdruck; die Zähne<lb/>
flet&#x017F;chten zwi&#x017F;chen den zurückgekniffenen Lippen wie die<lb/>
Hauer eines Ebers, die Augen &#x017F;prühten das grün¬<lb/>
liche Feuer einer wilden Katze. Aber der Paroxys¬<lb/>
mus der Wuth und Ang&#x017F;t war &#x017F;chnell vorüber, die<lb/>
a&#x017F;chgraue Urnenruhe lagerte &#x017F;ich wieder auf dem<lb/>
gelben Ge&#x017F;ichte, die Finger entklammerten &#x017F;ich. &#x2014;<lb/>
Po&#x017F;&#x017F;en! In einem Dutzend Jahren und nicht zum<lb/>
Vor&#x017F;chein gekommen! Feuer &#x2014; Regengü&#x017F;&#x017F;e &#x2014; Feuch¬<lb/>
tigkeit &#x2014; Staub und dünnes Briefpapier! &#x2014; Lacht<lb/>
Ihr, daß ich mich noch zuweilen äng&#x017F;tigen kann! &#x2014;<lb/><hi rendition="#aq">Mes dames!</hi> was wollen Sie? Ich bewei&#x017F;e Ihnen<lb/>
ja das voll&#x017F;te Vertrauen &#x2014; Ja, Sie &#x017F;ehen Alles.<lb/>
Sie brauchen jetzt durch kein Schlü&#x017F;&#x017F;elloch zu ob&#x017F;er¬<lb/>
viren, ich verhänge nicht einmal Ihr Ge&#x017F;icht. Was<lb/>
verlangen Sie mehr? Einige Galanterie? &#x2014; <hi rendition="#aq">Mes<lb/>
dames de Bruckerode, je vous assure, que tout ce<lb/>
que vous voyez n'est que moutarde après dîner, rien<lb/>
qu'un dessert maigre après un repas délicieux.</hi> &#x2014;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0314] Du warſt mir ſehr gleichgültig geworden, und mir entging darum eine ſchöne Irländerin, auf die ich mein Aug' geworfen. Nachher ſchwiegſt Du nicht — Du ſchriebſt einen Brief — Du ſchriebſt Dir ſelbſt Dein Urtheil — darüber kannſt Du nicht klagen. Aber ich — Er verzog das Geſicht und ballte die Fauſt ge¬ gen das Bild: Der Brief — den ich fand, iſt zu Aſchenſtäubchen aufgelodert, aber es ſtand darin von einem andern Briefe, der meiner Wachſamkeit ent¬ ſchlüpft war — Molly! Molly! — Sein Geſicht be¬ kam einen furchtbar häßlichen Ausdruck; die Zähne fletſchten zwiſchen den zurückgekniffenen Lippen wie die Hauer eines Ebers, die Augen ſprühten das grün¬ liche Feuer einer wilden Katze. Aber der Paroxys¬ mus der Wuth und Angſt war ſchnell vorüber, die aſchgraue Urnenruhe lagerte ſich wieder auf dem gelben Geſichte, die Finger entklammerten ſich. — Poſſen! In einem Dutzend Jahren und nicht zum Vorſchein gekommen! Feuer — Regengüſſe — Feuch¬ tigkeit — Staub und dünnes Briefpapier! — Lacht Ihr, daß ich mich noch zuweilen ängſtigen kann! — Mes dames! was wollen Sie? Ich beweiſe Ihnen ja das vollſte Vertrauen — Ja, Sie ſehen Alles. Sie brauchen jetzt durch kein Schlüſſelloch zu obſer¬ viren, ich verhänge nicht einmal Ihr Geſicht. Was verlangen Sie mehr? Einige Galanterie? — Mes dames de Bruckerode, je vous assure, que tout ce que vous voyez n'est que moutarde après dîner, rien qu'un dessert maigre après un repas délicieux. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/314
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/314>, abgerufen am 23.11.2024.