"Der Legationsrath. -- Sie sind beide -- hohl, verrathe mich nicht, Louis, ausgehöhlte Gespenster. Sie haben alles menschliche Gefühl aus sich gesogen, gepreßt. -- ""Man muß die Empfindungen und Re¬ gungen, die uns stören, aus sich heraus destilliren,"" hörte ich ihn einmal sagen, und das haben sie, sie haben daraus präparirt die schöne Glätte, den glän¬ zenden Firniß, den die Welt bewundert."
"Mein Gott, woher kam Dir die Erkenntniß?"
"Weiß ich's? Sie hielten mich für das Schoo߬ kind, das man ausputzt, in den Armen schaukelt, mit Glanz und Süßigkeiten nährt, von dem man alles Unangenehme fern hält, auch die Gedanken -- und die Gedanken kamen doch, von selbst -- ich war unaussprechlich unglücklich!"
"Dich mißhandelt?"
Sie nickte: "Es waren unsichtbare, feine Geißel¬ schläge, die Luft fühlte sie kaum. Wie ein feiner, ätzender Staub auf die Lunge geworfen."
"Und Du mußtest es dulden?"
"Wie schließt man das Auge vor dem Zücken des Blitzes, das blaue Licht schießt durch die geschlosse¬ nen Lider. -- Ich mußte es dulden, ohne ihr entfliehen zu können, und es war mir auch nicht erlaubt zu klagen. Und ich mußte immer lügen -- lügen von unermeßlicher Dankbarkeit; wenn ich es nicht ausgehalten wäre ja das Urtheil der Welt über mich zusammengebrochen --"
Er warf, die Hände faltend, sein Gesicht in ihren Schooß: "Und daran war ich schuld!"
„Der Legationsrath. — Sie ſind beide — hohl, verrathe mich nicht, Louis, ausgehöhlte Geſpenſter. Sie haben alles menſchliche Gefühl aus ſich geſogen, gepreßt. — „„Man muß die Empfindungen und Re¬ gungen, die uns ſtören, aus ſich heraus deſtilliren,““ hörte ich ihn einmal ſagen, und das haben ſie, ſie haben daraus präparirt die ſchöne Glätte, den glän¬ zenden Firniß, den die Welt bewundert.“
„Mein Gott, woher kam Dir die Erkenntniß?“
„Weiß ich's? Sie hielten mich für das Schoo߬ kind, das man ausputzt, in den Armen ſchaukelt, mit Glanz und Süßigkeiten nährt, von dem man alles Unangenehme fern hält, auch die Gedanken — und die Gedanken kamen doch, von ſelbſt — ich war unausſprechlich unglücklich!“
„Dich mißhandelt?“
Sie nickte: „Es waren unſichtbare, feine Geißel¬ ſchläge, die Luft fühlte ſie kaum. Wie ein feiner, ätzender Staub auf die Lunge geworfen.“
„Und Du mußteſt es dulden?“
„Wie ſchließt man das Auge vor dem Zücken des Blitzes, das blaue Licht ſchießt durch die geſchloſſe¬ nen Lider. — Ich mußte es dulden, ohne ihr entfliehen zu können, und es war mir auch nicht erlaubt zu klagen. Und ich mußte immer lügen — lügen von unermeßlicher Dankbarkeit; wenn ich es nicht ausgehalten wäre ja das Urtheil der Welt über mich zuſammengebrochen —“
Er warf, die Hände faltend, ſein Geſicht in ihren Schooß: „Und daran war ich ſchuld!“
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„Der Legationsrath. — Sie ſind beide — hohl,
verrathe mich nicht, Louis, ausgehöhlte Geſpenſter.
Sie haben alles menſchliche Gefühl aus ſich geſogen,
gepreßt. — „„Man muß die Empfindungen und Re¬
gungen, die uns ſtören, aus ſich heraus deſtilliren,““
hörte ich ihn einmal ſagen, und das haben ſie, ſie
haben daraus präparirt die ſchöne Glätte, den glän¬
zenden Firniß, den die Welt bewundert.“
„Mein Gott, woher kam Dir die Erkenntniß?“
„Weiß ich's? Sie hielten mich für das Schoo߬
kind, das man ausputzt, in den Armen ſchaukelt,
mit Glanz und Süßigkeiten nährt, von dem man
alles Unangenehme fern hält, auch die Gedanken —
und die Gedanken kamen doch, von ſelbſt — ich
war unausſprechlich unglücklich!“
„Dich mißhandelt?“
Sie nickte: „Es waren unſichtbare, feine Geißel¬
ſchläge, die Luft fühlte ſie kaum. Wie ein feiner,
ätzender Staub auf die Lunge geworfen.“
„Und Du mußteſt es dulden?“
„Wie ſchließt man das Auge vor dem Zücken
des Blitzes, das blaue Licht ſchießt durch die geſchloſſe¬
nen Lider. — Ich mußte es dulden, ohne ihr entfliehen zu
können, und es war mir auch nicht erlaubt zu klagen.
Und ich mußte immer lügen — lügen von unermeßlicher
Dankbarkeit; wenn ich es nicht ausgehalten wäre ja das
Urtheil der Welt über mich zuſammengebrochen —“
Er warf, die Hände faltend, ſein Geſicht in
ihren Schooß: „Und daran war ich ſchuld!“
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/289>, abgerufen am 17.07.2024.
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