Als der Legationsrath langsam die Hintertreppe hinunter über den Hof ging, sah er auf dem Bal¬ con, der nach dem Garten führte, Louis Bovillard auf einer Bank ruhend. Unter Myrthen- und Oran¬ genstöcken schien er, den Kopf im Arme, auf die Töne im Zimmer zu lauschen. Oder auch nicht. Als der helle Mondenstrahl, hinter einer Wolke vorkommend, auf sein Gesicht fiel, wäre der Beobachter vor dem finstern Ausdruck erschrocken, wenn es in Wandels Art gelegen hätte, zu erschrecken. Er dachte, mit einem schlauen Blick auf den dunkeln Garten, wohin eine leichte Treppe vom Balcon führte, das ist ja ein betrübter Anfang zu einer Wonnescene, als mit einem letzten Aufschlag das Spiel endete und der Klavierdeckel zufiel. Wandel empfand so wenig ein Interesse, das zu belauschen, was auf dem Balcon vorgehen würde, als für die Penseen der Fürstin bei der Lecture des Thomas a Kempis, oder bei den Ge¬ danken, die über das Buch hinwegflogen: "Groß ist Salomo! sprach er, die Hofthür hinter sich zudrückend. Unter der Sonne geschieht nichts Neues. Und das Mirakel ist nur, daß sie um dasselbe Elend immer wieder von vorn anfangen!"
Nur die Nachtvögel hörten das Liebesgeflüster unter den Myrthen und Orangen. Der Mond be¬ gleitete es durch die Laubengänge des Gartens. Er lächelte nicht, er seufzte nicht; auch er hörte ja nur, was er durch Tausende und Tausende von Jahren gehört. Er kennt die stille Sprache des sanften Hände¬
Als der Legationsrath langſam die Hintertreppe hinunter über den Hof ging, ſah er auf dem Bal¬ con, der nach dem Garten führte, Louis Bovillard auf einer Bank ruhend. Unter Myrthen- und Oran¬ genſtöcken ſchien er, den Kopf im Arme, auf die Töne im Zimmer zu lauſchen. Oder auch nicht. Als der helle Mondenſtrahl, hinter einer Wolke vorkommend, auf ſein Geſicht fiel, wäre der Beobachter vor dem finſtern Ausdruck erſchrocken, wenn es in Wandels Art gelegen hätte, zu erſchrecken. Er dachte, mit einem ſchlauen Blick auf den dunkeln Garten, wohin eine leichte Treppe vom Balcon führte, das iſt ja ein betrübter Anfang zu einer Wonneſcene, als mit einem letzten Aufſchlag das Spiel endete und der Klavierdeckel zufiel. Wandel empfand ſo wenig ein Intereſſe, das zu belauſchen, was auf dem Balcon vorgehen würde, als für die Penſéen der Fürſtin bei der Lecture des Thomas a Kempis, oder bei den Ge¬ danken, die über das Buch hinwegflogen: „Groß iſt Salomo! ſprach er, die Hofthür hinter ſich zudrückend. Unter der Sonne geſchieht nichts Neues. Und das Mirakel iſt nur, daß ſie um daſſelbe Elend immer wieder von vorn anfangen!“
Nur die Nachtvögel hörten das Liebesgeflüſter unter den Myrthen und Orangen. Der Mond be¬ gleitete es durch die Laubengänge des Gartens. Er lächelte nicht, er ſeufzte nicht; auch er hörte ja nur, was er durch Tauſende und Tauſende von Jahren gehört. Er kennt die ſtille Sprache des ſanften Hände¬
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Als der Legationsrath langſam die Hintertreppe
hinunter über den Hof ging, ſah er auf dem Bal¬
con, der nach dem Garten führte, Louis Bovillard
auf einer Bank ruhend. Unter Myrthen- und Oran¬
genſtöcken ſchien er, den Kopf im Arme, auf die Töne
im Zimmer zu lauſchen. Oder auch nicht. Als der
helle Mondenſtrahl, hinter einer Wolke vorkommend,
auf ſein Geſicht fiel, wäre der Beobachter vor dem
finſtern Ausdruck erſchrocken, wenn es in Wandels
Art gelegen hätte, zu erſchrecken. Er dachte, mit
einem ſchlauen Blick auf den dunkeln Garten, wohin
eine leichte Treppe vom Balcon führte, das iſt ja
ein betrübter Anfang zu einer Wonneſcene, als mit
einem letzten Aufſchlag das Spiel endete und der
Klavierdeckel zufiel. Wandel empfand ſo wenig ein
Intereſſe, das zu belauſchen, was auf dem Balcon
vorgehen würde, als für die Penſéen der Fürſtin bei
der Lecture des Thomas a Kempis, oder bei den Ge¬
danken, die über das Buch hinwegflogen: „Groß iſt
Salomo! ſprach er, die Hofthür hinter ſich zudrückend.
Unter der Sonne geſchieht nichts Neues. Und das
Mirakel iſt nur, daß ſie um daſſelbe Elend immer
wieder von vorn anfangen!“
Nur die Nachtvögel hörten das Liebesgeflüſter
unter den Myrthen und Orangen. Der Mond be¬
gleitete es durch die Laubengänge des Gartens. Er
lächelte nicht, er ſeufzte nicht; auch er hörte ja nur,
was er durch Tauſende und Tauſende von Jahren
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/281>, abgerufen am 23.11.2024.
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