Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Wandel schien ungewiß, welche Antwort sie er¬
wartete: "Man hat es der Geheimräthin Lupinus
verdacht, daß sie die Leiche ihres Dieners wie die
eines Familiengliedes pflegte und schmückte. Es ist
hierorts nicht Sitte."

"Man muß sich in die des Ortes fügen, sagte
befriedigt und laut die Fürstin, und richtete den
Blick nach oben. Ich werde den treuen Paulowitsch
noch oft sehen. Den irdischen Qualen enthoben,
schwebt sein verklärter Geist in die Räume des Lich¬
tes. Ob es da Hohe und Niedere, ob Herren und
Leibeigene giebt, ob wir Alle wie Atome in der Se¬
ligkeit verschmelzen, die nichts Gesondertes duldet,
Alle Accorde in dem großen Hallelujah, Glockentöne
in der ewigen Harmonie!"

Sie sprach es, sich selbst anregend, mit silber¬
reiner Stimme. Aus dem andern Zimmer respon¬
dirte das Klavier, in Phantasien, die der Stimmung
entsprachen; ein ernster Grundton, wie das Wogen
des Meeres, aber wie Schaumwellen sprützte die
Freude dann und wann auf. Es war Adelheid.

Wandel hatte, um der Stimmung auch zu ent¬
sprechen, die Hände vor sich gefaltet. Als die Für¬
stin es bemerkte, trat sie an ihn und riß seinen Arm
zurück: "Das sollen Sie nicht. Sie können gehen."

Er schien einen andern Befehl erwartet zu ha¬
ben, aber mit einer spitzen Stimme wiederholte sie:
"Gute Nacht, Herr von Wandel, ich will im Thomas
a Kempis lesen. Die Lecture interessirt Sie nicht."

Wandel ſchien ungewiß, welche Antwort ſie er¬
wartete: „Man hat es der Geheimräthin Lupinus
verdacht, daß ſie die Leiche ihres Dieners wie die
eines Familiengliedes pflegte und ſchmückte. Es iſt
hierorts nicht Sitte.“

„Man muß ſich in die des Ortes fügen, ſagte
befriedigt und laut die Fürſtin, und richtete den
Blick nach oben. Ich werde den treuen Paulowitſch
noch oft ſehen. Den irdiſchen Qualen enthoben,
ſchwebt ſein verklärter Geiſt in die Räume des Lich¬
tes. Ob es da Hohe und Niedere, ob Herren und
Leibeigene giebt, ob wir Alle wie Atome in der Se¬
ligkeit verſchmelzen, die nichts Geſondertes duldet,
Alle Accorde in dem großen Hallelujah, Glockentöne
in der ewigen Harmonie!“

Sie ſprach es, ſich ſelbſt anregend, mit ſilber¬
reiner Stimme. Aus dem andern Zimmer reſpon¬
dirte das Klavier, in Phantaſien, die der Stimmung
entſprachen; ein ernſter Grundton, wie das Wogen
des Meeres, aber wie Schaumwellen ſprützte die
Freude dann und wann auf. Es war Adelheid.

Wandel hatte, um der Stimmung auch zu ent¬
ſprechen, die Hände vor ſich gefaltet. Als die Für¬
ſtin es bemerkte, trat ſie an ihn und riß ſeinen Arm
zurück: „Das ſollen Sie nicht. Sie können gehen.“

Er ſchien einen andern Befehl erwartet zu ha¬
ben, aber mit einer ſpitzen Stimme wiederholte ſie:
„Gute Nacht, Herr von Wandel, ich will im Thomas
a Kempis leſen. Die Lecture intereſſirt Sie nicht.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0280" n="270"/>
        <p>Wandel &#x017F;chien ungewiß, welche Antwort &#x017F;ie er¬<lb/>
wartete: &#x201E;Man hat es der Geheimräthin Lupinus<lb/>
verdacht, daß &#x017F;ie die Leiche ihres Dieners wie die<lb/>
eines Familiengliedes pflegte und &#x017F;chmückte. Es i&#x017F;t<lb/>
hierorts nicht Sitte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Man muß &#x017F;ich in die des Ortes fügen, &#x017F;agte<lb/>
befriedigt und laut die Für&#x017F;tin, und richtete den<lb/>
Blick nach oben. Ich werde den treuen Paulowit&#x017F;ch<lb/>
noch oft &#x017F;ehen. Den irdi&#x017F;chen Qualen enthoben,<lb/>
&#x017F;chwebt &#x017F;ein verklärter Gei&#x017F;t in die Räume des Lich¬<lb/>
tes. Ob es da Hohe und Niedere, ob Herren und<lb/>
Leibeigene giebt, ob wir Alle wie Atome in der Se¬<lb/>
ligkeit ver&#x017F;chmelzen, die nichts Ge&#x017F;ondertes duldet,<lb/>
Alle Accorde in dem großen Hallelujah, Glockentöne<lb/>
in der ewigen Harmonie!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;prach es, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t anregend, mit &#x017F;ilber¬<lb/>
reiner Stimme. Aus dem andern Zimmer re&#x017F;pon¬<lb/>
dirte das Klavier, in Phanta&#x017F;ien, die der Stimmung<lb/>
ent&#x017F;prachen; ein ern&#x017F;ter Grundton, wie das Wogen<lb/>
des Meeres, aber wie Schaumwellen &#x017F;prützte die<lb/>
Freude dann und wann auf. Es war Adelheid.</p><lb/>
        <p>Wandel hatte, um der Stimmung auch zu ent¬<lb/>
&#x017F;prechen, die Hände vor &#x017F;ich gefaltet. Als die Für¬<lb/>
&#x017F;tin es bemerkte, trat &#x017F;ie an ihn und riß &#x017F;einen Arm<lb/>
zurück: &#x201E;Das &#x017F;ollen <hi rendition="#g">Sie</hi> nicht. Sie können gehen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;chien einen andern Befehl erwartet zu ha¬<lb/>
ben, aber mit einer &#x017F;pitzen Stimme wiederholte &#x017F;ie:<lb/>
&#x201E;Gute Nacht, Herr von Wandel, ich will im Thomas<lb/>
a Kempis le&#x017F;en. Die Lecture intere&#x017F;&#x017F;irt Sie nicht.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0280] Wandel ſchien ungewiß, welche Antwort ſie er¬ wartete: „Man hat es der Geheimräthin Lupinus verdacht, daß ſie die Leiche ihres Dieners wie die eines Familiengliedes pflegte und ſchmückte. Es iſt hierorts nicht Sitte.“ „Man muß ſich in die des Ortes fügen, ſagte befriedigt und laut die Fürſtin, und richtete den Blick nach oben. Ich werde den treuen Paulowitſch noch oft ſehen. Den irdiſchen Qualen enthoben, ſchwebt ſein verklärter Geiſt in die Räume des Lich¬ tes. Ob es da Hohe und Niedere, ob Herren und Leibeigene giebt, ob wir Alle wie Atome in der Se¬ ligkeit verſchmelzen, die nichts Geſondertes duldet, Alle Accorde in dem großen Hallelujah, Glockentöne in der ewigen Harmonie!“ Sie ſprach es, ſich ſelbſt anregend, mit ſilber¬ reiner Stimme. Aus dem andern Zimmer reſpon¬ dirte das Klavier, in Phantaſien, die der Stimmung entſprachen; ein ernſter Grundton, wie das Wogen des Meeres, aber wie Schaumwellen ſprützte die Freude dann und wann auf. Es war Adelheid. Wandel hatte, um der Stimmung auch zu ent¬ ſprechen, die Hände vor ſich gefaltet. Als die Für¬ ſtin es bemerkte, trat ſie an ihn und riß ſeinen Arm zurück: „Das ſollen Sie nicht. Sie können gehen.“ Er ſchien einen andern Befehl erwartet zu ha¬ ben, aber mit einer ſpitzen Stimme wiederholte ſie: „Gute Nacht, Herr von Wandel, ich will im Thomas a Kempis leſen. Die Lecture intereſſirt Sie nicht.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/280
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/280>, abgerufen am 27.11.2024.