an der eingefallenen Kirchhofsmauer ließ er mich we¬ nigstens, da durfte ich knieen -- da hörte ich des Herrn Predigers Rede. Mich ließen sie keine Erde ihm in die Grube nachwerfen, aber auf mich warf der Herr Prediger -- das kann ich nicht wieder schreiben. Und es war nicht wahr -- ich habe mei¬ nen Vater nicht umgebracht! -- Und die Blicke nach¬ her, wie sie an mir vorübergingen! Gott sei Dank, dann ward es frei, der stille Abend, da lag ich über seinem Grabe, und der Lindenbaum fluchte nicht, in seinen Blättern säuselte es wie süße Lieder, und ich schlief ein, bis das Morgenroth mich aus dem Frieden weckte. Um die Mauer schlich ich von hin¬ ten nach dem Hause, wo er starb, wo ich geboren bin. War denn das ein Verbrechen, daß ich es zum letzten Mal sehen wollte! Bürgerfrauen hatten mich bemerkt. Der Rathsdiener, mit dem Schild auf der Brust, kam und sagte -- ach, was er mir sagte, ich weiß es nicht: von lüderlichem Gesindel und auf die Finger sehen, und hinausbringen, und ich hätte kein Heimathsrecht mehr!
"Nein, Louis, ich habe keine Heimath; wie ich da am rauschenden Wasser stand, da sahen keine rothen Gesichter heraus vom Bürgermeister, und nicht die häßlichen spitzen der Bürgerfrauen -- und da -- da hörte ich, daß Du glücklich wärst -- ich wußte es schon, unter der Linde auf dem Kirchhofe hatte ich Dich gesehen, und die Herrschaften, die im Wagen vor der Schenke schwätzten, derweil ihre Pferde Muth
an der eingefallenen Kirchhofsmauer ließ er mich we¬ nigſtens, da durfte ich knieen — da hörte ich des Herrn Predigers Rede. Mich ließen ſie keine Erde ihm in die Grube nachwerfen, aber auf mich warf der Herr Prediger — das kann ich nicht wieder ſchreiben. Und es war nicht wahr — ich habe mei¬ nen Vater nicht umgebracht! — Und die Blicke nach¬ her, wie ſie an mir vorübergingen! Gott ſei Dank, dann ward es frei, der ſtille Abend, da lag ich über ſeinem Grabe, und der Lindenbaum fluchte nicht, in ſeinen Blättern ſäuſelte es wie ſüße Lieder, und ich ſchlief ein, bis das Morgenroth mich aus dem Frieden weckte. Um die Mauer ſchlich ich von hin¬ ten nach dem Hauſe, wo er ſtarb, wo ich geboren bin. War denn das ein Verbrechen, daß ich es zum letzten Mal ſehen wollte! Bürgerfrauen hatten mich bemerkt. Der Rathsdiener, mit dem Schild auf der Bruſt, kam und ſagte — ach, was er mir ſagte, ich weiß es nicht: von lüderlichem Geſindel und auf die Finger ſehen, und hinausbringen, und ich hätte kein Heimathsrecht mehr!
„Nein, Louis, ich habe keine Heimath; wie ich da am rauſchenden Waſſer ſtand, da ſahen keine rothen Geſichter heraus vom Bürgermeiſter, und nicht die häßlichen ſpitzen der Bürgerfrauen — und da — da hörte ich, daß Du glücklich wärſt — ich wußte es ſchon, unter der Linde auf dem Kirchhofe hatte ich Dich geſehen, und die Herrſchaften, die im Wagen vor der Schenke ſchwätzten, derweil ihre Pferde Muth
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0266"n="256"/>
an der eingefallenen Kirchhofsmauer ließ er mich we¬<lb/>
nigſtens, da durfte ich knieen — da hörte ich des<lb/>
Herrn Predigers Rede. Mich ließen ſie keine Erde<lb/>
ihm in die Grube nachwerfen, aber auf mich warf<lb/>
der Herr Prediger — das kann ich nicht wieder<lb/>ſchreiben. Und es war nicht wahr — ich habe mei¬<lb/>
nen Vater nicht umgebracht! — Und die Blicke nach¬<lb/>
her, wie ſie an mir vorübergingen! Gott ſei Dank,<lb/>
dann ward es frei, der ſtille Abend, da lag ich über<lb/>ſeinem Grabe, und der Lindenbaum fluchte nicht,<lb/>
in ſeinen Blättern ſäuſelte es wie ſüße Lieder, und<lb/>
ich ſchlief ein, bis das Morgenroth mich aus dem<lb/>
Frieden weckte. Um die Mauer ſchlich ich von hin¬<lb/>
ten nach dem Hauſe, wo er ſtarb, wo ich geboren<lb/>
bin. War denn das ein Verbrechen, daß ich es zum<lb/>
letzten Mal ſehen wollte! Bürgerfrauen hatten mich<lb/>
bemerkt. Der Rathsdiener, mit dem Schild auf der<lb/>
Bruſt, kam und ſagte — ach, was er mir ſagte, ich<lb/>
weiß es nicht: von lüderlichem Geſindel und auf die<lb/>
Finger ſehen, und hinausbringen, und ich hätte kein<lb/>
Heimathsrecht mehr!</p><lb/><p>„Nein, Louis, ich habe keine Heimath; wie ich<lb/>
da am rauſchenden Waſſer ſtand, da ſahen keine<lb/>
rothen Geſichter heraus vom Bürgermeiſter, und nicht<lb/>
die häßlichen ſpitzen der Bürgerfrauen — und da —<lb/>
da hörte ich, daß Du glücklich wärſt — ich wußte es<lb/>ſchon, unter der Linde auf dem Kirchhofe hatte ich<lb/>
Dich geſehen, und die Herrſchaften, die im Wagen<lb/>
vor der Schenke ſchwätzten, derweil ihre Pferde Muth<lb/></p></div></body></text></TEI>
[256/0266]
an der eingefallenen Kirchhofsmauer ließ er mich we¬
nigſtens, da durfte ich knieen — da hörte ich des
Herrn Predigers Rede. Mich ließen ſie keine Erde
ihm in die Grube nachwerfen, aber auf mich warf
der Herr Prediger — das kann ich nicht wieder
ſchreiben. Und es war nicht wahr — ich habe mei¬
nen Vater nicht umgebracht! — Und die Blicke nach¬
her, wie ſie an mir vorübergingen! Gott ſei Dank,
dann ward es frei, der ſtille Abend, da lag ich über
ſeinem Grabe, und der Lindenbaum fluchte nicht,
in ſeinen Blättern ſäuſelte es wie ſüße Lieder, und
ich ſchlief ein, bis das Morgenroth mich aus dem
Frieden weckte. Um die Mauer ſchlich ich von hin¬
ten nach dem Hauſe, wo er ſtarb, wo ich geboren
bin. War denn das ein Verbrechen, daß ich es zum
letzten Mal ſehen wollte! Bürgerfrauen hatten mich
bemerkt. Der Rathsdiener, mit dem Schild auf der
Bruſt, kam und ſagte — ach, was er mir ſagte, ich
weiß es nicht: von lüderlichem Geſindel und auf die
Finger ſehen, und hinausbringen, und ich hätte kein
Heimathsrecht mehr!
„Nein, Louis, ich habe keine Heimath; wie ich
da am rauſchenden Waſſer ſtand, da ſahen keine
rothen Geſichter heraus vom Bürgermeiſter, und nicht
die häßlichen ſpitzen der Bürgerfrauen — und da —
da hörte ich, daß Du glücklich wärſt — ich wußte es
ſchon, unter der Linde auf dem Kirchhofe hatte ich
Dich geſehen, und die Herrſchaften, die im Wagen
vor der Schenke ſchwätzten, derweil ihre Pferde Muth
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/266>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.