zen, die der Sturm auseinander wehte. Keine dieser Ideen, wie auch vom Morgenroth gefärbt, gewann einen Leib, den wir umarmen, keine ward eine Säule, ein Fels, an die wir uns im Sturme klammern konnten. Der edle Schiller traf das rechte Wort:
Die angebornen Bande knüpfe fest.
An's Vaterland, an's theure, schließ Dich an,
Das halte fest mit Deinem ganzen Herzen!
Hier sind die starken Wurzeln Deiner Kraft;
Dort in der fremden Welt stehst Du allein,
Ein schwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt.
Nur das Vaterland ist die Eiche, an die wir uns klammern können, nur sie hat das Recht, Opfer von uns zu fordern, das höchste, letzte auch, uns selbst. Die tausend Götzen sonst haben keines. Ihnen ge¬ genüber tritt das volle, heilige Recht des Ichs ein."
Louis kam noch nicht zurück. Das Talglicht auf dem Tische brannte immer düsterer. Sein halb ver¬ kohlter Docht beugte sich in einer Wölbung immer höher über die Flamme. Walter hatte aufmerksam dem Verbrennungsprozeß zugesehen, ohne sich gemu¬ thet zu fühlen, nach der Putzscheere zu greifen. Er brauchte kein Licht. Das ewige Gleichniß der Kerze und des Lebens gaukelte vor ihm in den matten Schwingungen der Flamme. Da fiel das dicke schwarze Knopfende von der eigenen Schwere herab auf den Zettel; der noch glimmende Schweif fing an in das mürbe Papier ein Loch zu sengen. Walter löschte, ehe es ein Brand ward. Dabei mußte er den Zet¬ tel wieder aufnehmen. Die Schriftzüge verriethen
zen, die der Sturm auseinander wehte. Keine dieſer Ideen, wie auch vom Morgenroth gefärbt, gewann einen Leib, den wir umarmen, keine ward eine Säule, ein Fels, an die wir uns im Sturme klammern konnten. Der edle Schiller traf das rechte Wort:
Die angebornen Bande knüpfe feſt.
An's Vaterland, an's theure, ſchließ Dich an,
Das halte feſt mit Deinem ganzen Herzen!
Hier ſind die ſtarken Wurzeln Deiner Kraft;
Dort in der fremden Welt ſtehſt Du allein,
Ein ſchwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt.
Nur das Vaterland iſt die Eiche, an die wir uns klammern können, nur ſie hat das Recht, Opfer von uns zu fordern, das höchſte, letzte auch, uns ſelbſt. Die tauſend Götzen ſonſt haben keines. Ihnen ge¬ genüber tritt das volle, heilige Recht des Ichs ein.“
Louis kam noch nicht zurück. Das Talglicht auf dem Tiſche brannte immer düſterer. Sein halb ver¬ kohlter Docht beugte ſich in einer Wölbung immer höher über die Flamme. Walter hatte aufmerkſam dem Verbrennungsprozeß zugeſehen, ohne ſich gemu¬ thet zu fühlen, nach der Putzſcheere zu greifen. Er brauchte kein Licht. Das ewige Gleichniß der Kerze und des Lebens gaukelte vor ihm in den matten Schwingungen der Flamme. Da fiel das dicke ſchwarze Knopfende von der eigenen Schwere herab auf den Zettel; der noch glimmende Schweif fing an in das mürbe Papier ein Loch zu ſengen. Walter löſchte, ehe es ein Brand ward. Dabei mußte er den Zet¬ tel wieder aufnehmen. Die Schriftzüge verriethen
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zen, die der Sturm auseinander wehte. Keine dieſer
Ideen, wie auch vom Morgenroth gefärbt, gewann
einen Leib, den wir umarmen, keine ward eine Säule,
ein Fels, an die wir uns im Sturme klammern
konnten. Der edle Schiller traf das rechte Wort:
Die angebornen Bande knüpfe feſt.
An's Vaterland, an's theure, ſchließ Dich an,
Das halte feſt mit Deinem ganzen Herzen!
Hier ſind die ſtarken Wurzeln Deiner Kraft;
Dort in der fremden Welt ſtehſt Du allein,
Ein ſchwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt.
Nur das Vaterland iſt die Eiche, an die wir uns
klammern können, nur ſie hat das Recht, Opfer von
uns zu fordern, das höchſte, letzte auch, uns ſelbſt.
Die tauſend Götzen ſonſt haben keines. Ihnen ge¬
genüber tritt das volle, heilige Recht des Ichs ein.“
Louis kam noch nicht zurück. Das Talglicht auf
dem Tiſche brannte immer düſterer. Sein halb ver¬
kohlter Docht beugte ſich in einer Wölbung immer
höher über die Flamme. Walter hatte aufmerkſam
dem Verbrennungsprozeß zugeſehen, ohne ſich gemu¬
thet zu fühlen, nach der Putzſcheere zu greifen. Er
brauchte kein Licht. Das ewige Gleichniß der Kerze
und des Lebens gaukelte vor ihm in den matten
Schwingungen der Flamme. Da fiel das dicke ſchwarze
Knopfende von der eigenen Schwere herab auf den
Zettel; der noch glimmende Schweif fing an in das
mürbe Papier ein Loch zu ſengen. Walter löſchte,
ehe es ein Brand ward. Dabei mußte er den Zet¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/262>, abgerufen am 20.07.2024.
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