wenn sie eine haben, ihre geheimsten Gedanken her¬ auslocken will? Wissen Sie, ob hinter dieser anschei¬ nenden Indifferenz, diesem blasirten Weltbürgerthum nicht ein Haß glimmt, wie ich ihn wünsche? Ja, dahin sind wir gekommen: bis der Deutsche nicht hassen lernt, aus vollem Herzen hassen, bis er seine philanthropischen Schwärmereien, jenen Allerwelts¬ gerechtigkeitssinn, ohne sich selbst je gerecht zu wer¬ den, nicht durch Kasteiungen und Blut sühnt, bis er nicht wieder zum Egoisten wird, ist Deutschland ver¬ loren."
"Ich glaube, Excellenz, in diesen Studien be¬ findet sich unser Volk."
"Studien! Da liegt das Elend. Studien vor einer Krisis! Der Haß, der seine Verwünschungen in's Firmament speit, thut es nicht, der Weltsturm treibt die Dünste fort, ehe es zum Gewitter kommt. Handeln! Und bis dahin ließen wir's kommen, daß wir nicht mehr offen handeln dürfen; die Tugend, die Thatkraft muß sich verbergen, hinter einer Larve agiren. Schlimm, daß es ist, aber es ist. Wir brauchen die Tugenden der Brutus, behüte uns Gott vor ihren Dolchen, aber jener zähen Festigkeit, die ihre Gefühle nicht bei jedem Gegenstand aufflackern läßt, sondern sie verschließt, im Stillen nährt, bis der Augenblick der That kam. Weshalb preisen wir jenen Mann, mit dem unsere Geschichte anfing? Spielte der römische Rittmeister in Rom den deut¬ schen Patrioten, radotirte Arminius in den Kaffee¬
wenn ſie eine haben, ihre geheimſten Gedanken her¬ auslocken will? Wiſſen Sie, ob hinter dieſer anſchei¬ nenden Indifferenz, dieſem blaſirten Weltbürgerthum nicht ein Haß glimmt, wie ich ihn wünſche? Ja, dahin ſind wir gekommen: bis der Deutſche nicht haſſen lernt, aus vollem Herzen haſſen, bis er ſeine philanthropiſchen Schwärmereien, jenen Allerwelts¬ gerechtigkeitsſinn, ohne ſich ſelbſt je gerecht zu wer¬ den, nicht durch Kaſteiungen und Blut ſühnt, bis er nicht wieder zum Egoiſten wird, iſt Deutſchland ver¬ loren.“
„Ich glaube, Excellenz, in dieſen Studien be¬ findet ſich unſer Volk.“
„Studien! Da liegt das Elend. Studien vor einer Kriſis! Der Haß, der ſeine Verwünſchungen in's Firmament ſpeit, thut es nicht, der Weltſturm treibt die Dünſte fort, ehe es zum Gewitter kommt. Handeln! Und bis dahin ließen wir's kommen, daß wir nicht mehr offen handeln dürfen; die Tugend, die Thatkraft muß ſich verbergen, hinter einer Larve agiren. Schlimm, daß es iſt, aber es iſt. Wir brauchen die Tugenden der Brutus, behüte uns Gott vor ihren Dolchen, aber jener zähen Feſtigkeit, die ihre Gefühle nicht bei jedem Gegenſtand aufflackern läßt, ſondern ſie verſchließt, im Stillen nährt, bis der Augenblick der That kam. Weshalb preiſen wir jenen Mann, mit dem unſere Geſchichte anfing? Spielte der römiſche Rittmeiſter in Rom den deut¬ ſchen Patrioten, radotirte Arminius in den Kaffee¬
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wenn ſie eine haben, ihre geheimſten Gedanken her¬
auslocken will? Wiſſen Sie, ob hinter dieſer anſchei¬
nenden Indifferenz, dieſem blaſirten Weltbürgerthum
nicht ein Haß glimmt, wie ich ihn wünſche? Ja,
dahin ſind wir gekommen: bis der Deutſche nicht
haſſen lernt, aus vollem Herzen haſſen, bis er ſeine
philanthropiſchen Schwärmereien, jenen Allerwelts¬
gerechtigkeitsſinn, ohne ſich ſelbſt je gerecht zu wer¬
den, nicht durch Kaſteiungen und Blut ſühnt, bis er
nicht wieder zum Egoiſten wird, iſt Deutſchland ver¬
loren.“
„Ich glaube, Excellenz, in dieſen Studien be¬
findet ſich unſer Volk.“
„Studien! Da liegt das Elend. Studien vor
einer Kriſis! Der Haß, der ſeine Verwünſchungen
in's Firmament ſpeit, thut es nicht, der Weltſturm
treibt die Dünſte fort, ehe es zum Gewitter kommt.
Handeln! Und bis dahin ließen wir's kommen, daß
wir nicht mehr offen handeln dürfen; die Tugend,
die Thatkraft muß ſich verbergen, hinter einer Larve
agiren. Schlimm, daß es iſt, aber es iſt. Wir
brauchen die Tugenden der Brutus, behüte uns Gott
vor ihren Dolchen, aber jener zähen Feſtigkeit, die
ihre Gefühle nicht bei jedem Gegenſtand aufflackern
läßt, ſondern ſie verſchließt, im Stillen nährt, bis
der Augenblick der That kam. Weshalb preiſen wir
jenen Mann, mit dem unſere Geſchichte anfing?
Spielte der römiſche Rittmeiſter in Rom den deut¬
ſchen Patrioten, radotirte Arminius in den Kaffee¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/242>, abgerufen am 21.11.2024.
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