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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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Und am Krankenbett! Da lagen gewisse Bücher,
Mendelssohns Plato, Tiedge's Urania, Fichte, Schleier¬
macher, aufgeschlagen oder mit Zeichen unter ihrem
Arbeitstisch. Je nach dem Besuch, der sich meldete,
ward eines auf den Tisch gelegt. Die Geheimräthin
galt für eine sehr belesene Frau, sie sprach mit Geist
über die Novitäten, die -- sie nicht gelesen hatte.
Walter hatte sie für sie lesen, ihr den Inhalt vor¬
tragen müssen. O er wußte Bescheid im Hause; und
wie viel hatte ihm Adelheid mitgetheilt! -- Ein Schmerz,
ein Gedanke, ein Blitz zückte durch seine Brust. Was
hat sie mit Adelheid gewollt? -- Nicht drei Tage
waren vergangen, und sie hatte sie gequält, alle ätzende
Schärfe des Verstandes auf das Kind der Natur
ausgegossen. Was war denn ihre Absicht? Sein
Herz pochte immer heftiger. Ein Möbel, den Schmuck
des Hauses, den man ankauft, um Gäste anzulocken,
verdirbt man nicht, man bemüht sich nicht, ihm die
natürliche Farbe, seinen Glanz zu rauben. Aber hatte
nicht diese Frau -- Adelheid hatte es nie ausge¬
sprochen, in ihrem Stocken, ihrem Zittern hatte er
es gelesen. Mein Gott, was hatte sie gewollt! -- Dunkle
Bilder wogten vor seiner Stirn -- der Legationsrath,
sein räthselhaftes Verhältniß zur Lupinus! Hatte sie
einen Kuppelhandel treiben wollen? -- Nein, ver¬
giften -- sie vergiften. Aber warum, womit? Weil
Unglückliche den Anblick von Glücklichen nicht ertragen
können? Weil der Adel einer reinen gottgeschaffenen
Seele zum beständigen Vorwurf für die wird, welche

Und am Krankenbett! Da lagen gewiſſe Bücher,
Mendelsſohns Plato, Tiedge's Urania, Fichte, Schleier¬
macher, aufgeſchlagen oder mit Zeichen unter ihrem
Arbeitstiſch. Je nach dem Beſuch, der ſich meldete,
ward eines auf den Tiſch gelegt. Die Geheimräthin
galt für eine ſehr beleſene Frau, ſie ſprach mit Geiſt
über die Novitäten, die — ſie nicht geleſen hatte.
Walter hatte ſie für ſie leſen, ihr den Inhalt vor¬
tragen müſſen. O er wußte Beſcheid im Hauſe; und
wie viel hatte ihm Adelheid mitgetheilt! — Ein Schmerz,
ein Gedanke, ein Blitz zückte durch ſeine Bruſt. Was
hat ſie mit Adelheid gewollt? — Nicht drei Tage
waren vergangen, und ſie hatte ſie gequält, alle ätzende
Schärfe des Verſtandes auf das Kind der Natur
ausgegoſſen. Was war denn ihre Abſicht? Sein
Herz pochte immer heftiger. Ein Möbel, den Schmuck
des Hauſes, den man ankauft, um Gäſte anzulocken,
verdirbt man nicht, man bemüht ſich nicht, ihm die
natürliche Farbe, ſeinen Glanz zu rauben. Aber hatte
nicht dieſe Frau — Adelheid hatte es nie ausge¬
ſprochen, in ihrem Stocken, ihrem Zittern hatte er
es geleſen. Mein Gott, was hatte ſie gewollt! — Dunkle
Bilder wogten vor ſeiner Stirn — der Legationsrath,
ſein räthſelhaftes Verhältniß zur Lupinus! Hatte ſie
einen Kuppelhandel treiben wollen? — Nein, ver¬
giften — ſie vergiften. Aber warum, womit? Weil
Unglückliche den Anblick von Glücklichen nicht ertragen
können? Weil der Adel einer reinen gottgeſchaffenen
Seele zum beſtändigen Vorwurf für die wird, welche

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[220/0230] Und am Krankenbett! Da lagen gewiſſe Bücher, Mendelsſohns Plato, Tiedge's Urania, Fichte, Schleier¬ macher, aufgeſchlagen oder mit Zeichen unter ihrem Arbeitstiſch. Je nach dem Beſuch, der ſich meldete, ward eines auf den Tiſch gelegt. Die Geheimräthin galt für eine ſehr beleſene Frau, ſie ſprach mit Geiſt über die Novitäten, die — ſie nicht geleſen hatte. Walter hatte ſie für ſie leſen, ihr den Inhalt vor¬ tragen müſſen. O er wußte Beſcheid im Hauſe; und wie viel hatte ihm Adelheid mitgetheilt! — Ein Schmerz, ein Gedanke, ein Blitz zückte durch ſeine Bruſt. Was hat ſie mit Adelheid gewollt? — Nicht drei Tage waren vergangen, und ſie hatte ſie gequält, alle ätzende Schärfe des Verſtandes auf das Kind der Natur ausgegoſſen. Was war denn ihre Abſicht? Sein Herz pochte immer heftiger. Ein Möbel, den Schmuck des Hauſes, den man ankauft, um Gäſte anzulocken, verdirbt man nicht, man bemüht ſich nicht, ihm die natürliche Farbe, ſeinen Glanz zu rauben. Aber hatte nicht dieſe Frau — Adelheid hatte es nie ausge¬ ſprochen, in ihrem Stocken, ihrem Zittern hatte er es geleſen. Mein Gott, was hatte ſie gewollt! — Dunkle Bilder wogten vor ſeiner Stirn — der Legationsrath, ſein räthſelhaftes Verhältniß zur Lupinus! Hatte ſie einen Kuppelhandel treiben wollen? — Nein, ver¬ giften — ſie vergiften. Aber warum, womit? Weil Unglückliche den Anblick von Glücklichen nicht ertragen können? Weil der Adel einer reinen gottgeſchaffenen Seele zum beſtändigen Vorwurf für die wird, welche

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/230>, abgerufen am 24.11.2024.