Das Gesicht kam ihm heut besonders spitz vor. Sie schielte ja. Fiel nicht ihr Blick seitwärts über die ganze Straße? Wie kam ihm die Vorstellung von einem Brennglas, das in der Ferne zünden soll? Er hatte niemals Zuneigung für sie empfunden. Er hatte sich ehemals selbst darum getadelt, denn er glaubte, es sei nur die Abneigung, welche kluge Männer so oft gegen kluge Frauen empfinden, aus Hochmuth oder aus Eifersucht. Er hatte diese Gefühle damals bekämpft, er hatte sich zur Freundlichkeit gezwungen gegen eine Frau, die sie ihm selbst gezeigt und später seinen Dank beanspruchte. Sie hatte seine Geliebte gerettet.
Das war längst Vergangenes. Er erröthete so¬ gar bei der Erinnerung, wie er ihren Launen ent¬ gegengekommen war. Junge Männer, wenn sie eines unpassenden Benehmens sich erinnern, gäben im Au¬ genblick dieses Unbehagens einen Theil ihres Lebens darum, die Erinnerung auszulöschen. Was ging ihn jetzt die Lupinus an? Und doch stand ihr vol¬ les Bild vor seiner Seele; das, welches im Spiegel sich wiedergiebt, und das, was kein Glas und kein Metall aufnimmt. -- Wie oft hatte er im Gespräch über ernste wissenschaftliche Gegenstände die Schärfe ihres Verstandes, ihre Phantasie im Combiniren be¬ wundert, aber es war, als ob ein bleigrauer Schleier gleich darauf die Anschauung überzog, eine ätzende Substanz, welche die eben noch blühenden Farben verzehrte; aus dem Gemälde ward ein blasser Kupfer¬ stich. Er war nie erhoben durch ihr Gespräch, er
Das Geſicht kam ihm heut beſonders ſpitz vor. Sie ſchielte ja. Fiel nicht ihr Blick ſeitwärts über die ganze Straße? Wie kam ihm die Vorſtellung von einem Brennglas, das in der Ferne zünden ſoll? Er hatte niemals Zuneigung für ſie empfunden. Er hatte ſich ehemals ſelbſt darum getadelt, denn er glaubte, es ſei nur die Abneigung, welche kluge Männer ſo oft gegen kluge Frauen empfinden, aus Hochmuth oder aus Eiferſucht. Er hatte dieſe Gefühle damals bekämpft, er hatte ſich zur Freundlichkeit gezwungen gegen eine Frau, die ſie ihm ſelbſt gezeigt und ſpäter ſeinen Dank beanſpruchte. Sie hatte ſeine Geliebte gerettet.
Das war längſt Vergangenes. Er erröthete ſo¬ gar bei der Erinnerung, wie er ihren Launen ent¬ gegengekommen war. Junge Männer, wenn ſie eines unpaſſenden Benehmens ſich erinnern, gäben im Au¬ genblick dieſes Unbehagens einen Theil ihres Lebens darum, die Erinnerung auszulöſchen. Was ging ihn jetzt die Lupinus an? Und doch ſtand ihr vol¬ les Bild vor ſeiner Seele; das, welches im Spiegel ſich wiedergiebt, und das, was kein Glas und kein Metall aufnimmt. — Wie oft hatte er im Geſpräch über ernſte wiſſenſchaftliche Gegenſtände die Schärfe ihres Verſtandes, ihre Phantaſie im Combiniren be¬ wundert, aber es war, als ob ein bleigrauer Schleier gleich darauf die Anſchauung überzog, eine ätzende Subſtanz, welche die eben noch blühenden Farben verzehrte; aus dem Gemälde ward ein blaſſer Kupfer¬ ſtich. Er war nie erhoben durch ihr Geſpräch, er
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Das Geſicht kam ihm heut beſonders ſpitz vor. Sie
ſchielte ja. Fiel nicht ihr Blick ſeitwärts über die ganze
Straße? Wie kam ihm die Vorſtellung von einem
Brennglas, das in der Ferne zünden ſoll? Er hatte
niemals Zuneigung für ſie empfunden. Er hatte ſich
ehemals ſelbſt darum getadelt, denn er glaubte, es
ſei nur die Abneigung, welche kluge Männer ſo oft
gegen kluge Frauen empfinden, aus Hochmuth oder aus
Eiferſucht. Er hatte dieſe Gefühle damals bekämpft,
er hatte ſich zur Freundlichkeit gezwungen gegen eine
Frau, die ſie ihm ſelbſt gezeigt und ſpäter ſeinen
Dank beanſpruchte. Sie hatte ſeine Geliebte gerettet.
Das war längſt Vergangenes. Er erröthete ſo¬
gar bei der Erinnerung, wie er ihren Launen ent¬
gegengekommen war. Junge Männer, wenn ſie eines
unpaſſenden Benehmens ſich erinnern, gäben im Au¬
genblick dieſes Unbehagens einen Theil ihres Lebens
darum, die Erinnerung auszulöſchen. Was ging
ihn jetzt die Lupinus an? Und doch ſtand ihr vol¬
les Bild vor ſeiner Seele; das, welches im Spiegel
ſich wiedergiebt, und das, was kein Glas und kein
Metall aufnimmt. — Wie oft hatte er im Geſpräch
über ernſte wiſſenſchaftliche Gegenſtände die Schärfe
ihres Verſtandes, ihre Phantaſie im Combiniren be¬
wundert, aber es war, als ob ein bleigrauer Schleier
gleich darauf die Anſchauung überzog, eine ätzende
Subſtanz, welche die eben noch blühenden Farben
verzehrte; aus dem Gemälde ward ein blaſſer Kupfer¬
ſtich. Er war nie erhoben durch ihr Geſpräch, er
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/227>, abgerufen am 24.11.2024.
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