in dem Einen hast Du Recht, da ist es besser bei Euch, daß sie die Kirchen heizen! -- Ja, ich habe es immer gesagt, wenn die Obrigkeit dafür bei uns sorgte, was hätten die Leute dann noch zu klagen! -- Nun, wer weiß, wenn ich die Augen schließe, kommt man wohl auch noch dahin! Die großen Herren hier haben immer an Anderes zu denken, was ihnen wichtiger scheint, darüber vergessen sie das Nächste." -- "An diesem heißen Augusttage ist es doch wohl nicht das Nächste, liebe Tante," entgegnete der Amerikaner. -- "Wenn wir aber nicht im Sommer für den Winter sorgen, dann ist es im Winter zu spät. Im Winter aber denken sie, nun, es ist ja noch Zeit, es kommt ja der Sommer. So wechseln Winter und Sommer und es geschieht nichts."
Es war eine bekannte alte Dame der Residenz, gleich geschätzt wegen ihrer Wohlthätigkeit und Fröm¬ migkeit, als wegen ihres klaren Geistes. Nur war sie ebenso bekannt wegen dieses Steckenpferdes, das ihr zur fixen Idee geworden. Sie meinte, die Ar¬ muth fühle sich erst recht, wenn sie in ihren Lumpen in den kalten Gotteshäusern stehe, wogegen die Verlassenen und Gedrückten mit einem ganz anderen Gefühl gegen ihren Schöpfer und ihre Mitmenschen aus den warmen Kirchen zurückkehren würden, gleich wie ein Satter gegen die Verdrießlichkeiten des Lebens geharnischt sei, wo ein Hungernder auf den ersten Angriff fällt. So wußte sie zu beweisen, daß aus dem Heizen der Kirchen nicht allein christlich
IV. 14
in dem Einen haſt Du Recht, da iſt es beſſer bei Euch, daß ſie die Kirchen heizen! — Ja, ich habe es immer geſagt, wenn die Obrigkeit dafür bei uns ſorgte, was hätten die Leute dann noch zu klagen! — Nun, wer weiß, wenn ich die Augen ſchließe, kommt man wohl auch noch dahin! Die großen Herren hier haben immer an Anderes zu denken, was ihnen wichtiger ſcheint, darüber vergeſſen ſie das Nächſte.“ — „An dieſem heißen Auguſttage iſt es doch wohl nicht das Nächſte, liebe Tante,“ entgegnete der Amerikaner. — „Wenn wir aber nicht im Sommer für den Winter ſorgen, dann iſt es im Winter zu ſpät. Im Winter aber denken ſie, nun, es iſt ja noch Zeit, es kommt ja der Sommer. So wechſeln Winter und Sommer und es geſchieht nichts.“
Es war eine bekannte alte Dame der Reſidenz, gleich geſchätzt wegen ihrer Wohlthätigkeit und Fröm¬ migkeit, als wegen ihres klaren Geiſtes. Nur war ſie ebenſo bekannt wegen dieſes Steckenpferdes, das ihr zur fixen Idee geworden. Sie meinte, die Ar¬ muth fühle ſich erſt recht, wenn ſie in ihren Lumpen in den kalten Gotteshäuſern ſtehe, wogegen die Verlaſſenen und Gedrückten mit einem ganz anderen Gefühl gegen ihren Schöpfer und ihre Mitmenſchen aus den warmen Kirchen zurückkehren würden, gleich wie ein Satter gegen die Verdrießlichkeiten des Lebens geharniſcht ſei, wo ein Hungernder auf den erſten Angriff fällt. So wußte ſie zu beweiſen, daß aus dem Heizen der Kirchen nicht allein chriſtlich
IV. 14
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0219"n="209"/>
in dem Einen haſt Du Recht, da iſt es beſſer bei<lb/>
Euch, daß ſie die Kirchen heizen! — Ja, ich habe<lb/>
es immer geſagt, wenn die Obrigkeit dafür bei uns<lb/>ſorgte, was hätten die Leute dann noch zu klagen! —<lb/>
Nun, wer weiß, wenn ich die Augen ſchließe, kommt<lb/>
man wohl auch noch dahin! Die großen Herren hier<lb/>
haben immer an Anderes zu denken, was ihnen<lb/>
wichtiger ſcheint, darüber vergeſſen ſie das Nächſte.“—<lb/>„An dieſem heißen Auguſttage iſt es doch wohl nicht<lb/>
das Nächſte, liebe Tante,“ entgegnete der Amerikaner.<lb/>—„Wenn wir aber nicht im Sommer für den<lb/>
Winter ſorgen, dann iſt es im Winter zu ſpät. Im<lb/>
Winter aber denken ſie, nun, es iſt ja noch Zeit,<lb/>
es kommt ja der Sommer. So wechſeln Winter<lb/>
und Sommer und es geſchieht nichts.“</p><lb/><p>Es war eine bekannte alte Dame der Reſidenz,<lb/>
gleich geſchätzt wegen ihrer Wohlthätigkeit und Fröm¬<lb/>
migkeit, als wegen ihres klaren Geiſtes. Nur war<lb/>ſie ebenſo bekannt wegen dieſes Steckenpferdes, das<lb/>
ihr zur fixen Idee geworden. Sie meinte, die Ar¬<lb/>
muth fühle ſich erſt recht, wenn ſie in ihren Lumpen<lb/>
in den kalten Gotteshäuſern ſtehe, wogegen die<lb/>
Verlaſſenen und Gedrückten mit einem ganz anderen<lb/>
Gefühl gegen ihren Schöpfer und ihre Mitmenſchen<lb/>
aus den warmen Kirchen zurückkehren würden, gleich<lb/>
wie ein Satter gegen die Verdrießlichkeiten des<lb/>
Lebens geharniſcht ſei, wo ein Hungernder auf den<lb/>
erſten Angriff fällt. So wußte ſie zu beweiſen, daß<lb/>
aus dem Heizen der Kirchen nicht allein chriſtlich<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">IV</hi>. 14<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[209/0219]
in dem Einen haſt Du Recht, da iſt es beſſer bei
Euch, daß ſie die Kirchen heizen! — Ja, ich habe
es immer geſagt, wenn die Obrigkeit dafür bei uns
ſorgte, was hätten die Leute dann noch zu klagen! —
Nun, wer weiß, wenn ich die Augen ſchließe, kommt
man wohl auch noch dahin! Die großen Herren hier
haben immer an Anderes zu denken, was ihnen
wichtiger ſcheint, darüber vergeſſen ſie das Nächſte.“ —
„An dieſem heißen Auguſttage iſt es doch wohl nicht
das Nächſte, liebe Tante,“ entgegnete der Amerikaner.
— „Wenn wir aber nicht im Sommer für den
Winter ſorgen, dann iſt es im Winter zu ſpät. Im
Winter aber denken ſie, nun, es iſt ja noch Zeit,
es kommt ja der Sommer. So wechſeln Winter
und Sommer und es geſchieht nichts.“
Es war eine bekannte alte Dame der Reſidenz,
gleich geſchätzt wegen ihrer Wohlthätigkeit und Fröm¬
migkeit, als wegen ihres klaren Geiſtes. Nur war
ſie ebenſo bekannt wegen dieſes Steckenpferdes, das
ihr zur fixen Idee geworden. Sie meinte, die Ar¬
muth fühle ſich erſt recht, wenn ſie in ihren Lumpen
in den kalten Gotteshäuſern ſtehe, wogegen die
Verlaſſenen und Gedrückten mit einem ganz anderen
Gefühl gegen ihren Schöpfer und ihre Mitmenſchen
aus den warmen Kirchen zurückkehren würden, gleich
wie ein Satter gegen die Verdrießlichkeiten des
Lebens geharniſcht ſei, wo ein Hungernder auf den
erſten Angriff fällt. So wußte ſie zu beweiſen, daß
aus dem Heizen der Kirchen nicht allein chriſtlich
IV. 14
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/219>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.