Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

gewärtigte, war Charlotte plötzlich vom Sitz aufge¬
sprungen, hatte sich übergelehnt, dem Schwager
Zügel und Peitsche entrissen, und ließ mit einem:
"Platz!" die Peitsche knallen. Das muthige Pferd,
des langen Geredes sichtlich überdrüssig, bäumte sich
mit einem Satz, der dem Wagen zwar einen Stoß
versetzte, daß die Frau Hoflackir ihre Ohnmacht ver¬
gessen mußte; aber der Peitschenhieb hatte auch den gor¬
dischen Knoten zerhauen, den zu lösen dem Herrn
Hoflackir am schwersten geworden wäre. Der Haufe,
der auf die Rodomontade schon zu Thätlichkeiten
Miene machte, flog auseinander, und Kies und
Funken stoben.

"Kikelkakel Polizei! rief Charlotte, als sie Zügel
und Peitsche dem verdutzten Herrn Schwager wieder
in die Hand warf. Darum lohnte sich's auch!" Die
aus der Ohnmacht erwachende Frau Hoflackir stöhnte:
das komme davon, wenn man sich mit gemeinen
Leuten einlasse. -- "Gemeine Leute, das geht schon,
entgegnete Charlotte, deren Herz jetzt warm wurde,
und ihre Zunge löste sich. Aber wenn gemeine Leute
wollen gebildet thun, Cousine, das ist um die Cre¬
pance zu kriegen. Die Schmiedetöchter da an der
Panke, Hufschmied war er für die Fuhrleute und
Bauern! Aber seit er den Knopfladen in der Stadt
angenommen, da sollte es oben raus. 'Ne Mamsell
läßt sich auch gleich machen, habe ich oft zu meinem
Geheimrath gesagt. Das kostet Geld und Bildung,
mit 'nen Paar Redensarten und 'nem langen Plun¬

gewärtigte, war Charlotte plötzlich vom Sitz aufge¬
ſprungen, hatte ſich übergelehnt, dem Schwager
Zügel und Peitſche entriſſen, und ließ mit einem:
„Platz!“ die Peitſche knallen. Das muthige Pferd,
des langen Geredes ſichtlich überdrüſſig, bäumte ſich
mit einem Satz, der dem Wagen zwar einen Stoß
verſetzte, daß die Frau Hoflackir ihre Ohnmacht ver¬
geſſen mußte; aber der Peitſchenhieb hatte auch den gor¬
diſchen Knoten zerhauen, den zu löſen dem Herrn
Hoflackir am ſchwerſten geworden wäre. Der Haufe,
der auf die Rodomontade ſchon zu Thätlichkeiten
Miene machte, flog auseinander, und Kies und
Funken ſtoben.

„Kikelkakel Polizei! rief Charlotte, als ſie Zügel
und Peitſche dem verdutzten Herrn Schwager wieder
in die Hand warf. Darum lohnte ſich's auch!“ Die
aus der Ohnmacht erwachende Frau Hoflackir ſtöhnte:
das komme davon, wenn man ſich mit gemeinen
Leuten einlaſſe. — „Gemeine Leute, das geht ſchon,
entgegnete Charlotte, deren Herz jetzt warm wurde,
und ihre Zunge löſte ſich. Aber wenn gemeine Leute
wollen gebildet thun, Couſine, das iſt um die Cre¬
pance zu kriegen. Die Schmiedetöchter da an der
Panke, Hufſchmied war er für die Fuhrleute und
Bauern! Aber ſeit er den Knopfladen in der Stadt
angenommen, da ſollte es oben raus. 'Ne Mamſell
läßt ſich auch gleich machen, habe ich oft zu meinem
Geheimrath geſagt. Das koſtet Geld und Bildung,
mit 'nen Paar Redensarten und 'nem langen Plun¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0212" n="202"/>
gewärtigte, war Charlotte plötzlich vom Sitz aufge¬<lb/>
&#x017F;prungen, hatte &#x017F;ich übergelehnt, dem Schwager<lb/>
Zügel und Peit&#x017F;che entri&#x017F;&#x017F;en, und ließ mit einem:<lb/>
&#x201E;Platz!&#x201C; die Peit&#x017F;che knallen. Das muthige Pferd,<lb/>
des langen Geredes &#x017F;ichtlich überdrü&#x017F;&#x017F;ig, bäumte &#x017F;ich<lb/>
mit einem Satz, der dem Wagen zwar einen Stoß<lb/>
ver&#x017F;etzte, daß die Frau Hoflackir ihre Ohnmacht ver¬<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en mußte; aber der Peit&#x017F;chenhieb hatte auch den gor¬<lb/>
di&#x017F;chen Knoten zerhauen, den zu lö&#x017F;en dem Herrn<lb/>
Hoflackir am &#x017F;chwer&#x017F;ten geworden wäre. Der Haufe,<lb/>
der auf die Rodomontade &#x017F;chon zu Thätlichkeiten<lb/>
Miene machte, flog auseinander, und Kies und<lb/>
Funken &#x017F;toben.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Kikelkakel Polizei! rief Charlotte, als &#x017F;ie Zügel<lb/>
und Peit&#x017F;che dem verdutzten Herrn Schwager wieder<lb/>
in die Hand warf. Darum lohnte &#x017F;ich's auch!&#x201C; Die<lb/>
aus der Ohnmacht erwachende Frau Hoflackir &#x017F;töhnte:<lb/>
das komme davon, wenn man &#x017F;ich mit gemeinen<lb/>
Leuten einla&#x017F;&#x017F;e. &#x2014; &#x201E;Gemeine Leute, das geht &#x017F;chon,<lb/>
entgegnete Charlotte, deren Herz jetzt warm wurde,<lb/>
und ihre Zunge lö&#x017F;te &#x017F;ich. Aber wenn gemeine Leute<lb/>
wollen gebildet thun, Cou&#x017F;ine, das i&#x017F;t um die Cre¬<lb/>
pance zu kriegen. Die Schmiedetöchter da an der<lb/>
Panke, Huf&#x017F;chmied war er für die Fuhrleute und<lb/>
Bauern! Aber &#x017F;eit er den Knopfladen in der Stadt<lb/>
angenommen, da &#x017F;ollte es oben raus. 'Ne Mam&#x017F;ell<lb/>
läßt &#x017F;ich auch gleich machen, habe ich oft zu meinem<lb/>
Geheimrath ge&#x017F;agt. Das ko&#x017F;tet Geld und Bildung,<lb/>
mit 'nen Paar Redensarten und 'nem langen Plun¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0212] gewärtigte, war Charlotte plötzlich vom Sitz aufge¬ ſprungen, hatte ſich übergelehnt, dem Schwager Zügel und Peitſche entriſſen, und ließ mit einem: „Platz!“ die Peitſche knallen. Das muthige Pferd, des langen Geredes ſichtlich überdrüſſig, bäumte ſich mit einem Satz, der dem Wagen zwar einen Stoß verſetzte, daß die Frau Hoflackir ihre Ohnmacht ver¬ geſſen mußte; aber der Peitſchenhieb hatte auch den gor¬ diſchen Knoten zerhauen, den zu löſen dem Herrn Hoflackir am ſchwerſten geworden wäre. Der Haufe, der auf die Rodomontade ſchon zu Thätlichkeiten Miene machte, flog auseinander, und Kies und Funken ſtoben. „Kikelkakel Polizei! rief Charlotte, als ſie Zügel und Peitſche dem verdutzten Herrn Schwager wieder in die Hand warf. Darum lohnte ſich's auch!“ Die aus der Ohnmacht erwachende Frau Hoflackir ſtöhnte: das komme davon, wenn man ſich mit gemeinen Leuten einlaſſe. — „Gemeine Leute, das geht ſchon, entgegnete Charlotte, deren Herz jetzt warm wurde, und ihre Zunge löſte ſich. Aber wenn gemeine Leute wollen gebildet thun, Couſine, das iſt um die Cre¬ pance zu kriegen. Die Schmiedetöchter da an der Panke, Hufſchmied war er für die Fuhrleute und Bauern! Aber ſeit er den Knopfladen in der Stadt angenommen, da ſollte es oben raus. 'Ne Mamſell läßt ſich auch gleich machen, habe ich oft zu meinem Geheimrath geſagt. Das koſtet Geld und Bildung, mit 'nen Paar Redensarten und 'nem langen Plun¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/212
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/212>, abgerufen am 24.11.2024.