"Wenn ich Ihnen sagte, daß er darum weiß, wäre ich ein Verräther. Ich will kein Verräther werden, lieber -- scheiden."
Er hatte sich halb umgewandt, um rasch die Hand der Geheimräthin zu ergreifen: "Leben Sie wohl," lispelte er.
"Nur Eines, -- ist Ihr Leben in Gefahr?"
"Noch nicht, aber -- Gütiger Gott! Die pein¬ liche Erwartung einer Entscheidung, in der ich täglich schwebe, verschließt mir die Lippen, wenn ich sie öffnen müßte, um Vertrauen zu gewinnen. Ich klage Nie¬ mand, Sie am wenigsten an. Im Gegentheil, Sie haben Recht, daß Sie mir dies Vertrauen nicht schen¬ ken, ganz Recht; verdammen, Sie mich als Lügner, der die Pflicht hatte zu sprechen, und wenn er den Mund öffnen sollte, ihn verschließt, als kaltherzigen Intriguanten, der mit den Gefühlen spielt, der edle Herzen zerreißt, verdammen Sie mich, Sie haben Recht, aber -- wenn es vorbei ist, widmen Sie mir eine Thräne der Theilnahme, wenn Sie erkannt, daß ich nicht anders handeln durfte."
"Wandel! sie hielt inne -- Wann, -- wann kommt die Entscheidung?"
"In einer Woche, vierzehn Tage -- höchstens ein Monat, wenn aus Warschau --"
"Aus Warschau?"
"Ich betheure Ihnen, es ist nur eine Vorsichts¬ maßregel; vielleicht zerläuft Alles wieder, wie so oft, in Luft und Wind."
„Wenn ich Ihnen ſagte, daß er darum weiß, wäre ich ein Verräther. Ich will kein Verräther werden, lieber — ſcheiden.“
Er hatte ſich halb umgewandt, um raſch die Hand der Geheimräthin zu ergreifen: „Leben Sie wohl,“ liſpelte er.
„Nur Eines, — iſt Ihr Leben in Gefahr?“
„Noch nicht, aber — Gütiger Gott! Die pein¬ liche Erwartung einer Entſcheidung, in der ich täglich ſchwebe, verſchließt mir die Lippen, wenn ich ſie öffnen müßte, um Vertrauen zu gewinnen. Ich klage Nie¬ mand, Sie am wenigſten an. Im Gegentheil, Sie haben Recht, daß Sie mir dies Vertrauen nicht ſchen¬ ken, ganz Recht; verdammen, Sie mich als Lügner, der die Pflicht hatte zu ſprechen, und wenn er den Mund öffnen ſollte, ihn verſchließt, als kaltherzigen Intriguanten, der mit den Gefühlen ſpielt, der edle Herzen zerreißt, verdammen Sie mich, Sie haben Recht, aber — wenn es vorbei iſt, widmen Sie mir eine Thräne der Theilnahme, wenn Sie erkannt, daß ich nicht anders handeln durfte.“
„Wandel! ſie hielt inne — Wann, — wann kommt die Entſcheidung?“
„In einer Woche, vierzehn Tage — höchſtens ein Monat, wenn aus Warſchau —“
„Aus Warſchau?“
„Ich betheure Ihnen, es iſt nur eine Vorſichts¬ maßregel; vielleicht zerläuft Alles wieder, wie ſo oft, in Luft und Wind.“
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„Wenn ich Ihnen ſagte, daß er darum weiß,
wäre ich ein Verräther. Ich will kein Verräther
werden, lieber — ſcheiden.“
Er hatte ſich halb umgewandt, um raſch die
Hand der Geheimräthin zu ergreifen: „Leben Sie
wohl,“ liſpelte er.
„Nur Eines, — iſt Ihr Leben in Gefahr?“
„Noch nicht, aber — Gütiger Gott! Die pein¬
liche Erwartung einer Entſcheidung, in der ich täglich
ſchwebe, verſchließt mir die Lippen, wenn ich ſie öffnen
müßte, um Vertrauen zu gewinnen. Ich klage Nie¬
mand, Sie am wenigſten an. Im Gegentheil, Sie
haben Recht, daß Sie mir dies Vertrauen nicht ſchen¬
ken, ganz Recht; verdammen, Sie mich als Lügner,
der die Pflicht hatte zu ſprechen, und wenn er den
Mund öffnen ſollte, ihn verſchließt, als kaltherzigen
Intriguanten, der mit den Gefühlen ſpielt, der edle
Herzen zerreißt, verdammen Sie mich, Sie haben
Recht, aber — wenn es vorbei iſt, widmen Sie mir
eine Thräne der Theilnahme, wenn Sie erkannt, daß
ich nicht anders handeln durfte.“
„Wandel! ſie hielt inne — Wann, — wann
kommt die Entſcheidung?“
„In einer Woche, vierzehn Tage — höchſtens
ein Monat, wenn aus Warſchau —“
„Aus Warſchau?“
„Ich betheure Ihnen, es iſt nur eine Vorſichts¬
maßregel; vielleicht zerläuft Alles wieder, wie ſo oft,
in Luft und Wind.“
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/156>, abgerufen am 16.02.2025.
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