"Haben Ihnen nicht die Ohren geklungen? Wenn Sie wüßten, was wir gesprochen, würde Laura bis über die Ohren roth werden."
Die Comteß meinte, es wäre sehr heiß.
"Nun möchte der Wildfang gleich an's Fenster stürzen, um sich zu erkälten. Nein, Comteß, hier ist ein Familienrath, ich stelle die Mutter vor, und alle diese Freunde werden mir beistehen Sie zu hüten."
"Ich bin Ihnen sehr obligirt -- "
"Aber das Kind weiß selbst, was ihm am Besten ist! Nicht wahr? So lese ich Ihre Gedanken, die geheimsten auch, aber -- ich verrathe nichts. Ist sie nicht ein Feenkind, wandte die Fürstin sich zu den Andern; da ist doch kein verborgenes Fältchen, nichts Angelerntes, nichts von Verstellung. -- Sehn Sie in dies Gazellenauge; nur etwas zu munter noch, leichtsinnig, flatterhaft, ein Schmetterling, der lauter Honig naschen möchte, aber mit der Zeit pflückt man Rosen, mit der Zeit wird sie auch den rechten Weg finden. Ach das macht sich Alles von selbst. -- Sehn Sie! Jetzt sollte ein Maler diesen Augenniederschlag, diese Grübchen am Kinn malen. Herzens-Engels¬ kind --"
Die Fürstin wollte sie embrassiren, aber statt des Feenkindes mit den Pfirsichwangen stand ein blasses, scharfgeschnittenes Gesicht vor ihr, statt des blühenden Hauptes mit dem phantastischen Lockenbund eine eng anschließende Haube mit Spitzen, und statt der Gazellenaugen, die gutmüthig und gedankenlos
„Haben Ihnen nicht die Ohren geklungen? Wenn Sie wüßten, was wir geſprochen, würde Laura bis über die Ohren roth werden.“
Die Comteß meinte, es wäre ſehr heiß.
„Nun möchte der Wildfang gleich an's Fenſter ſtürzen, um ſich zu erkälten. Nein, Comteß, hier iſt ein Familienrath, ich ſtelle die Mutter vor, und alle dieſe Freunde werden mir beiſtehen Sie zu hüten.“
„Ich bin Ihnen ſehr obligirt — “
„Aber das Kind weiß ſelbſt, was ihm am Beſten iſt! Nicht wahr? So leſe ich Ihre Gedanken, die geheimſten auch, aber — ich verrathe nichts. Iſt ſie nicht ein Feenkind, wandte die Fürſtin ſich zu den Andern; da iſt doch kein verborgenes Fältchen, nichts Angelerntes, nichts von Verſtellung. — Sehn Sie in dies Gazellenauge; nur etwas zu munter noch, leichtſinnig, flatterhaft, ein Schmetterling, der lauter Honig naſchen möchte, aber mit der Zeit pflückt man Roſen, mit der Zeit wird ſie auch den rechten Weg finden. Ach das macht ſich Alles von ſelbſt. — Sehn Sie! Jetzt ſollte ein Maler dieſen Augenniederſchlag, dieſe Grübchen am Kinn malen. Herzens-Engels¬ kind —“
Die Fürſtin wollte ſie embraſſiren, aber ſtatt des Feenkindes mit den Pfirſichwangen ſtand ein blaſſes, ſcharfgeſchnittenes Geſicht vor ihr, ſtatt des blühenden Hauptes mit dem phantaſtiſchen Lockenbund eine eng anſchließende Haube mit Spitzen, und ſtatt der Gazellenaugen, die gutmüthig und gedankenlos
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„Haben Ihnen nicht die Ohren geklungen? Wenn
Sie wüßten, was wir geſprochen, würde Laura bis
über die Ohren roth werden.“
Die Comteß meinte, es wäre ſehr heiß.
„Nun möchte der Wildfang gleich an's Fenſter
ſtürzen, um ſich zu erkälten. Nein, Comteß, hier iſt
ein Familienrath, ich ſtelle die Mutter vor, und alle
dieſe Freunde werden mir beiſtehen Sie zu hüten.“
„Ich bin Ihnen ſehr obligirt — “
„Aber das Kind weiß ſelbſt, was ihm am Beſten
iſt! Nicht wahr? So leſe ich Ihre Gedanken, die
geheimſten auch, aber — ich verrathe nichts. Iſt ſie
nicht ein Feenkind, wandte die Fürſtin ſich zu den
Andern; da iſt doch kein verborgenes Fältchen, nichts
Angelerntes, nichts von Verſtellung. — Sehn Sie
in dies Gazellenauge; nur etwas zu munter noch,
leichtſinnig, flatterhaft, ein Schmetterling, der lauter
Honig naſchen möchte, aber mit der Zeit pflückt man
Roſen, mit der Zeit wird ſie auch den rechten Weg
finden. Ach das macht ſich Alles von ſelbſt. — Sehn
Sie! Jetzt ſollte ein Maler dieſen Augenniederſchlag,
dieſe Grübchen am Kinn malen. Herzens-Engels¬
kind —“
Die Fürſtin wollte ſie embraſſiren, aber ſtatt
des Feenkindes mit den Pfirſichwangen ſtand ein
blaſſes, ſcharfgeſchnittenes Geſicht vor ihr, ſtatt des
blühenden Hauptes mit dem phantaſtiſchen Lockenbund
eine eng anſchließende Haube mit Spitzen, und ſtatt
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/145>, abgerufen am 21.11.2024.
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